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BVB-Handballcoach André Fuhr im großen Interview: „Natürlich ist das frustrierend“

Borussia Dortmund

Mit den BVB-Handballdamen kann André Fuhr nicht an den Erfolg aus der vergangenen Saison anknüpfen. Jetzt verlassen viele Leistungsträgerinnen den Verein. Unter anderem darüber spricht er im Interview.

Dortmund (DO)

, 03.06.2022, 20:00 Uhr / Lesedauer: 5 min

André Fuhr (51) kommt überpünktlich zum verabredeten Treffpunkt am Dortmunder Phoenixsee. Der Trainer des frischgebackenen Deutschen Vizemeisters Borussia Dortmund hat – die Saison in der Handball-Bundesliga der Frauen ist gerade beendet – zum Interview mit den Ruhr Nachrichten etwas Zeit mitgebracht. Und ein paar klare Ansichten über das, was gut läuft und vor allem, was nicht.

Ihre schwarzgelbe Bilanz der letzten drei Jahre: Meister der Herzen, Meister und jetzt Vize-Meister. Ist André Fuhr ein zufriedener Trainer?

Ich finde, die Vize-Meisterschaft war das Maximum, was wir in Dortmund in dieser Saison erreichen konnten. Meister Bietigheim war outstanding in diesem Jahr – in der Kaderbreite, in der Erfahrung und noch einmal mit einer ganz anderen Qualität. Wir sind zufrieden, haben einen deutlichen Abstand zum Dritten, Vierten und Fünften. Und in der Champions League haben wir eine überragende Hinrunde gespielt. In der Summe haben wir da den deutschen Frauenhandball gut vertreten.

Geht es den BVB-Handballerinnen mit Bietigheim so wie den BVB-Kickern mit Serien-Meister Bayern München?

Ein bisschen ist das so, auch hier spielen die wirtschaftlich deutlich größeren Möglichkeiten in Bietigheim eine entscheidende Rolle. Wenn man sich die Kader anschaut, sieht man im Durchschnittsalter, in der Zahl der Länderspiele, große Unterschiede. Bei uns sind Leistungsträger noch jung, Mia Zschocke, Amelie Berger, Merel Freriks, sogar Kapitänin Alina Grijseels, von daher muss man das akzeptieren.

Schaut man da neidisch zur Konkurrenz?

Ich kann mich mit meinen Möglichkeiten immer identifizieren. Ich war jahrzehntelang in Blomberg, wusste, ich kann kein Deutscher Meister werden, hatte aber Freude an der Entwicklung des Gesamtvereins. Und jetzt bin ich hier, bin im Prinzip zwei Mal Deutscher Meister geworden (die Saison 2019/20 wurde coronabedingt ohne Titelvergabe abgebrochen, der BVB war zu dem Zeitpunkt Tabellenführer/die Red.) und jetzt einmal Vize-Meister. Ich glaube, es gibt im deutschen Sport nur Bayern München, die zehn Mal in Folge Deutscher Meister werden. Bietigheim wird jetzt nicht zehn Mal in Serie Meister.

Ist das eine Ansage?

Ja! Genauso, wie ich akzeptieren kann, dass sie jetzt besser waren, werden wir auch wieder angreifen.

Borussia Dortmund war in den vergangenen drei Jahren extrem erfolgreich, feierte 2020/21 eine Meisterschaft ohne eine einzige Saisonniederlage. Dennoch verlassen nach jeder Saison viele Spielerinnen den Klub, aktuell sind es auch wieder zehn. Warum?

Die Tendenz ist: Es ist überall da besser, wo ich gerade nicht bin. Das ist kein Dortmunder Phänomen, mit Blick in die Bundesliga sind es aktuell von 14 Vereinen zehn, elf, die zwischen sechs und zwölf Abgänge haben. Und das ist nicht gesund! Es gibt ganz viele Ursachen: Berater spielen da eine spezielle Rolle, der Markt an sich, denn jede Spielerin, die weggeht, findet wieder einen neuen Verein. Die Bereitschaft zu Veränderung ist hoch, das ist auch ein gesellschaftliches Phänomen.

Wie frustrierend ist es, deshalb in jeder Saison gefühlt bei Null wieder anfangen zu müssen?

Natürlich ist das frustrierend, immer wieder von vorn anfangen zu müssen. Man muss Abmachungen treffen auf dem Spielfeld und außerhalb, Leitplanken finden für Abwehr und Angriff. So schmerzt mich zum Beispiel sehr der Abgang unserer Kreisläuferin Merel Freriks, die sich toll bei uns entwickelt und sich eigentlich auch sehr wohl gefühlt hat. Aber in Frankreich bei Brest Bretagne kann sie das Doppelte verdienen. Da sind unsere Möglichkeiten beschränkt, solche Spielerinnen zu halten oder gar zu holen.

BVB-Kreisläuferin Merel Freriks (r.) steht am Kreis und wartet auf einen Pass.

Kreisläuferin Merel Freriks (r.) verlässt den BVB. © imago images/wolf-sportfoto

Aber Sie arbeiten doch bei Borussia Dortmund, einem Verein mit großer Strahlkraft, wie Sie selbst sagen. Wo ist das Problem?

Wir haben unglaubliches Potenzial, was wir verbessern müssten. Es spielt natürlich schon eine Rolle, ob ich Champions League spiele in Dortmund vor 300 Zuschauern oder in Bukarest vor 3000. Das ist ein Problem: Wir haben keine Fan-Kultur für Handball in Dortmund. Wir waren in der Zuschauertabelle der Frauenhandball-Bundesliga Drittletzter – und das als amtierender Deutscher Meister! Da klingeln bei mir alle Alarmglocken, und die müssen auch beim BVB klingeln. Wir müssen etwas tun.

Inwieweit ist das ein strukturelles Problem?

Ich werde schon müde, das immer wieder zu betonen, aber wir sind in den Strukturen in Deutschland – auch die Spitzenvereine Bietigheim und Dortmund – Lichtjahre hinter dem internationalen Niveau. Arena. Trainingshalle, Kraftraum, Seminarräume – also von der Infrastruktur sind wir quasi nicht wettbewerbsfähig. Wir machen noch das Beste daraus, finde ich, aber da ist die Spielerin in Budapest oder Bukarest deutlich besser aufgehoben. Diesen Wettbewerbsnachteil müssen wir kompensieren. Auch in den Gehältern können wir international nicht mithalten. Eine Spielerin, die in der Champions League Leistungsträgerin ist, ist für uns nicht bezahlbar.

Der BVB hat sich in der abgelaufenen Saison bis in die Playoffs der Champions League gespielt und hofft in der kommenden Spielzeit auf eine Wildcard, da Bietigheim als Meister gesetzt ist. Wie sehen Sie die Chancen?

Ich hoffe natürlich sehr auf einen Startplatz, denn das ist ein Wettbewerb auf höchstem Niveau und mit gegenseitigem Respekt der Mannschaften untereinander. In der Bundesliga herrscht ja eher Neid und Missgunst. Gerade hat ein Vertreter der EHF (europäischer Verband/die Red.) ein paar Eckpunkte für eine Wildcard genannt, da ging es um Struktur, Organisation, Halle, Zuschauer. Ich bin die Liste durchgegangen und hab gedacht: Okay, da brauchen wir nicht nachfragen, wir erfüllen nichts davon. Aber wir haben den Namen Borussia Dortmund und haben uns sportlich gut präsentiert, daher werden wir uns natürlich um die Wildcard bewerben.

Der BVB hat neuerdings eine Frauenfußball-Mannschaft. Beim Aufstiegsspiel aus der Kreisliga waren 1000 Zuschauer nebst einiger Vereins-Prominenz vor Ort. Fühlen Sie sich genügend unterstützt vom Gesamtverein?

Ich war auch vor Ort (lacht). Nun, ich sehe das etwas zwiegespalten, das kann man mir nicht verübeln. Ich bin in gutem Austausch mit Abteilungsleiterin Svenja Schlenker und sehe, wie viel Bewegung in der Abteilung ist, mit wie viel Energie sie das Projekt vorantreiben, und ich erinnere Svenja manchmal daran, dass wir ja Champions League sind und sie in der Kreisliga. Das führt für mich zu der Frage: Was möchte Borussia Dortmund mit dieser Frauenhandball-Mannschaft? Was sind unsere Ziele? Das war auch Thema bei meiner Vertragsverlängerung (bis 2025/die Red.).

Was würden Sie sich denn wünschen?

Eine gewisse Hauptamtlichkeit und Professionalisierung wären notwendig. Wenn man einen Blick zu den anderen Frauen-Bundesligisten wirft, sind wir auch da weit hinten. Welche Macht und Wucht der Gesamtverein hat, haben wir ja beim Champions-Heimspiel gegen Metz gesehen, als dank der Unterstützung der Fußballer mehr als 2000 Zuschauer in der Halle waren. Die Hilfe auf dieser Ebene hat sofort gezündet.

Wird Frauen-Sport bei uns stiefmütterlich behandelt?

Auf internationaler Ebene hat, so meine Erfahrung, der Frauen-Sport einen höheren Stellenwert als in Deutschland, der hinkt hier immer hinterher, obwohl der Trainingsaufwand und die Leistung in der Spitze den Männern in nichts nachstehen. Es liegt auch an mangelnden öffentlich-rechtlichen Fernsehzeiten. In Ungarn oder Dänemark werden alle Erstliga-Spiele übertragen, in Deutschland wird nicht einmal ein Weltmeisterschaftsspiel gezeigt, geschweige denn ein Champions-League-Spiel. Das hat dann wieder ökonomische Auswirkungen, und so drehst du dich im Kreis.

Trotz aller Baustellen sind Sie immer noch gerne Trainer. Otto Rehhagel hat sich als Typ einmal selbst als „demokratischer Diktator“ beschrieben. Wie sehen Sie sich?

Das Bild des Trainers, die Führung haben sich verändert in den letzten Jahren. Man muss mit Kritik anders umgehen als Trainer, trotzdem muss man kritisieren dürfen, sonst gibt es keine Entwicklung. Ich war früher sehr viel strikter und deutlich emotionaler an der Linie, und ich hatte Mannschaften, wo ich die Energie übertragen konnte. Der Ton war damals härter, das geht heute so nicht mehr, die jungen Menschen haben sich definitiv verändert. Wenn Du eine Mannschaft gegen Dich hast, brauchst Du keine Taktik mehr.

Was sollte ein Trainer sein? Ein Bessermacher?

Ich bin eher ein Entwicklungs- als ein Meistertrainer. Ich bin jahrelang über die Entwicklung gekommen, das hat auch meine Motivation ausgemacht, weil ich ja wusste, ich kann keinen Titel holen. In Dortmund ist das natürlich anders, da erwartet man Titel, das haben wir ja im Vorjahr geschafft, und dennoch war es für mich auch schön, dass sich einzelne Spielerinnen weiterentwickelt haben. Mir hat da etwas die Wertschätzung gefehlt, dass auch eine Vize-Meisterschaft ein großer Erfolg ist.