
© Markus Gehring
Orgel in der Josefskirche in Ahaus hat aus dem letzten Loch gepfiffen
Kirchenorgel
Für Sicco Steendam ist es ein riesiges Puzzle. Der Niederländer baut gerade die Kirchenorgel in der Josefskirche ab – und danach in seiner Werkstatt wieder auf. Den Bauplan hat er im Kopf.
Eine Kirche ohne Orgel? Die meisten Kirchgänger können sich das nur schwer vorstellen. Schließlich müssen sie dann im Gottesdienst die Kirchenlieder allein mit ihrem Gesang tragen. In der Josefskirche an der Fuistingstraße wird die Orgel gerade abgebaut.
Das hat aber weniger damit zu tun, dass dort besonders gut gesungen wird. Vielmehr ist die Orgel zu groß für das künftige Kirchenschiff – oder der Kirchenraum ist zu klein für die Orgel, je nach Sichtweise.
Kirchenraum wird verkleinert
Die Josefskirche soll voraussichtlich ab Sommer dieses Jahres umgebaut werden. Der für Gottesdienste, Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen zur Verfügung stehende Raum wird um gut die Hälfte verkleinert.
Von der Orgelbühne bis zum Taufbecken sollen Leichtbauwände eingezogen werden. Der Einbau bietet Platz für Gruppenräume, die die Kirchengemeinde nach dem Verkauf des benachbarten Josef-Cardijn-Hauses benötigt.
„Eine Orgel sollte eigentlich für immer sein“, sagt Sicco Steendam, der noch bis Ende dieser Woche mit zwei Mitarbeitern die Kirchenorgel in der Josefskirche abbaut. Der 62-jährige Niederländer ist Orgelbauer und Chef der Firma Orgelmakerij Steendam. „Heute wissen wir, dass das anders ist“, sagt Steendam und meint damit Kirchenschließungen und den Abbau der Instrumente.
Europaweit unterwegs
Im Alter von 19 Jahren fing Sicco Steendam als Orgelbauer an. An die 100 Kirchenorgeln hat der Niederländer in seinem Berufsleben bislang auf- und abgebaut. Etwa 30 Kirchenorgeln hat er in seiner Firma in Roodeschool, dem nördlichsten Dorf der Niederlande, selbst gefertigt. Steendam baut, restauriert und renoviert europaweit Orgeln.

Die Josefskirche soll voraussichtlich ab Sommer umgebaut werden. In das Kirchenschiff werden Gruppenräume eingezogen. © Markus Gehring
Die Orgel in der Josefskirche sei um 1960 gebaut worden, erklärt Sicco Steendam. Gefertigt hat sie die Osnabrücker Orgelbaufirma Kreienbrink. „Die Pfeifen sind voll Kerzenruß, aber sonst ist sie in einem ganz guten Zustand“, berichtet Sicco Steendam. „Sonst hätte es sich auch nicht gelohnt, sie zu kaufen.“
Mehrere tausend Einzelteile
Der Niederländer erwarb die Orgel von der katholischen Kirchengemeinde. Etwa zwei Wochen dauert es, bis die „Königin der Instrumente“ in mehrere tausend Einzelteile zerlegt ist. Nicht alle davon werden beschriftet. Sicco Steendam hat den „Bauplan“ im Kopf. „Aber nicht allzu lange, ich muss sie schnell wieder komplett aufbauen.“
Das macht er in seiner Werkstatt. Dort fertigt er unter anderem ein neues Gehäuse für die Orgel und schaut sich die über 1500 Orgelpfeifen ganz genau an – von der wenige Zentimeter langen Metallpfeife bis zur mehrere Meter langen Holzpfeife.
Ungefähr bis Ende März dauern diese Arbeiten. Dem Aufbau in den Niederlanden folgt dann der erneute Abbau, denn die Orgel geht danach noch einmal auf die Reise. Steendam hat die Ahauser Orgel an eine Kirchengemeinde in Polen verkauft. Die Orgel baut er dort in einer Kirche im Ort Brzeny wieder auf.
Aufbau in Polen
Der Kontakt zur Gemeinde kam über einen mit Steendam befreundeten polnischen Organisten zustande. „Ich habe ihn angerufen und gesagt, es wäre sehr schade, wenn man diese Orgel verschrotten würde.“
Ein Schicksal, das in jüngerer Vergangenheit schon diverse Kirchenorgeln traf. Die Orgelpfeifen aus Metall wurden eingeschmolzen, das Gehäuse im schlimmsten Fall als Brennholz genutzt. „Die Kirche in Brzeny ist so groß wie die Josefskirche“, sagt Sicco Steendam. „Dort ist genug Platz für die Orgel.“
Mangels finanzieller Mittel für eine große Orgel nutzte die Kirchengemeinde bislang ein Keyboard, davor war es ein Harmonium.
Touren mit dem Transporter
Voraussichtlich Ende April hat der Niederländer die Orgel in Polen wieder errichtet. Bis dahin stehen noch diverse Touren mit seinem Transporter von Ahaus nach Roodeschool und von dort nach Brzeny an.
Einem Spediteur vertraut der Orgelbauer die kostbaren Einzelteile nicht an. „Wir fahren alle Touren selber.“ Bei Speditionen müsse alles „schnell, schnell“ gehen, erläutert Sicco Steendam. „Ich packe lieber mit Verstand ein.“
Wie es in der Josefskirche nach dem Umbau in Sachen Orgelbegleitung weitergeht, darüber macht sich die katholische Kirchengemeinde schon Gedanken. Eine Möglichkeit, die genannte wurde: die ersatzweise in St. Marien zum Einsatz gekommene Kirchenorgel in St. Josef aufzustellen. Doch es könnte in der verkleinerten Josefskirche auch musikalisch eine Nummer kleiner gehen: mit einem Keyboard.
Christian Bödding, Jahrgang 1966, ist bekennender Westfale, aber kein Sturkopf. Er schreibt gerne tiefgründig und am liebsten über lokale Themen, über die sich andere nach der Lektüre seiner Texte aufregen.
