Ahauser Jude Josef Cohen baute sich in Chile ein neues Leben auf

Serie

In unserer Serie beleuchten wir in loser Reihenfolge Schicksale von jüdischen Familien in Ahaus. Diesmal geht es um Josef Cohen und seine Familie. Der damals 15-Jährige entkam nach Chile.

Ahaus

11.10.2022, 12:00 Uhr / Lesedauer: 2 min

Josef Cohen und seine jüdische Familie hatten ihr Zuhause an der Wüllener Straße 8 in Ahaus. Josef Cohen, der vor 98 Jahren geboren wurde, war der einzige Sohn des Textilkaufmanns Julius Cohen. Dieser führte ein Bekleidungshaus und starb 1929 im Alter von 52 Jahren. Seine Frau Emilie, geb. Gumpert war eine Nachbarin der Cohens und verwitwet, als sie Julius Cohen kennenlernte.

Emilie führte das Textilkaufhaus nach dem Tod ihres Mannes bis zur erzwungenen Geschäftsaufgabe 1935 zusammen mit ihrem Schwager, dem Hutmacher Moritz Cohen, weiter. Julius Cohen war von 1919 bis 1924 Mitglied des Ahauser Stadtrats. Außerdem engagierte er sich in der Kommission für Notstandsarbeiten, die nach dem Ersten Weltkrieg Hilfe für bedürftige Familien organisierte.

Kleiderbügel geben Zeugnis

Viele Ahauser kauften bei der hoch angesehenen Familie Cohen ihre Kleidung. Noch heute geben Kleiderbügel in etlichen Ahauser Haushalten Zeugnis von dem Laden. Julius‘ und Emilies Sohn Josef besuchte zusammen mit seinem Cousin Werner Gumpert seit 1934 die Rektoratsschule in Ahaus, die zur Mittleren Reife führte und zum Besuch der gymnasialen Oberstufe berechtigte.

Emilie Cohen

Emilie Cohen © privat

Noch im April 1938 hatte Josef Cohen seine Barmizwa, das Fest der religiösen Volljährigkeit, in der Ahauser Synagoge gefeiert. Schließlich musste er erleben, wie in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 diese niedergebrannt, die Einrichtung im Laden seiner Eltern zertrümmert und seine Verwandten schwer misshandelt wurden.

Ein paar Tage später wurde Josef Cohen zwangsweise aus der Schule entlassen. Diese Ereignisse hat Josef Cohen nie verwunden, was er auch bei seinem einzigen Besuch in Ahaus im Jahr 1990 und in späteren Briefen deutlich machte. Nach dem Pogrom schafften es die Cohens nicht, ihr Haus zu verkaufen, so dass das Finanzamt Ahaus es 1941 beschlagnahmte und an einen Ahauser Kaufmann veräußerte.

Per Schiff nach Chile

Ende November 1939 gelang es Emilie und Josef Cohen, zusammen mit der verwandten Familie Gumpert auf einem Schiff ab Genua nach Chile zu entkommen, wo nach einer strapaziösen Überfahrt Josef Cohens 52-jährige Mutter Emilie Anfang des Jahres 1940 in einem Auffanglager verstarb.

Der 15-jährige Josef Cohen – alleinstehend, ohne Geld und Kenntnis der Landessprache – arbeitete zunächst in der Landwirtschaft und lernte später in Santiago seine Frau Ingeborg (gebürtig aus der Nähe von Osnabrück) kennen. Die Cohens betrieben eine Konditorei, haben drei Kinder und sechs Enkel. Am 6. Oktober 2014 starb Josef Cohen in Chile – er wurde 90 Jahre alt.

Josefs Sohn Marcelo und seine Frau Cecilia haben schon mehrmals Ahaus besucht. Josefs Tanten Frieda und Johanna sowie seine Onkel Moritz und Leonhard Cohen wurden im Ghetto Riga ermordet. Seine Ahauser Cousinen Marga und Miriam Cohen überlebten wie durch ein Wunder das Ghetto, ein Konzentrationslager und den anschließenden „Todesmarsch“.

AN SCHICKSALE DER VERSCHLEPPTEN AHAUSER ERINNERN

In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv und auf Initiative des VHS-Arbeitskreises Ahauser Geschichte 1933-1945 veröffentlichen wir in loser Folge die Geschichten und Schicksale der Ahauser, die während des Holocausts aus Ahaus verschleppt wurden. Damit wollen wir einen kleinen Teil dazu beitragen, das Andenken an diese Menschen wachzuhalten.
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