Gemeindevorsteher Moritz Winkler erlebt Anschlag auf Ahauser Synagoge
Serie
In unserer Serie beleuchten wir in loser Reihenfolge Schicksale von jüdischen Familien in Ahaus. Diesmal geht es um den Ahauser Viehhändler und Metzger Moritz Winkler und seine Familie.
Heute sei an den jüdischen Viehhändler und Metzger Moritz Winkler und seine Familie erinnert, die an der Bahnhofstraße 27 wohnte.
Moritz Winkler war am 9. September 1864 in Ibbenbüren geboren worden. 1889 zog er im Alter von 24 Jahren von Ibbenbüren nach Ahaus gezogen. In erster Ehe war er mit Johanna, geb. Alexander, aus Werther bei Bielefeld verheiratet.
Schützenkönig in Ahaus
Die Ehe blieb kinderlos und seine Ehefrau starb im März 1921 mit 59 Jahren. In Ahaus engagierte Moritz Winkler sich in mehreren Vereinen, war 1895 sogar Schützenkönig im Ahauser Bürgerschützenverein.

Moritz Winkler © privat
Aus der Inschrift der Schützenplakette, die in der NS-Zeit von der Königskette verschwand, ging hervor, dass die Ehefrau des Gastwirts Harpering seine Königin war. Jüdische Schützenkönige gab es zu der Zeit auch in den Nachbarorten von Ahaus: Levi Auerbach schoss 1877 in Vreden den Vogel ab, Cosmann Cossmann 1887 in Legden und David Gottschalk 1895 in Nienborg.
Kind aus Stadtgraben gerettet
Moritz Winkler war ein geachteter Bürger in Ahaus. 1892 hatte er aus dem überfluteten Stadtgraben „einen vierjährigen Jungen vom Tode des Ertrinkens gerettet“, wie die Ahauser Kreiszeitung berichtete.
Vor und im Ersten Weltkrieg zeigte sich Moritz Winklers „vaterländischer“ Patriotismus vor allem darin, dass er bei Kaisermanövern Soldaten bei sich einquartierte und in gemeinsamen Zeitungsanzeigen mit anderen Ahauser Metzgern den Familien von Kriegsteilnehmern verbilligt Fleisch- und Wurstwaren anbot.

Sophie Winkler © privat
Seine Nachbarn kannten ihn und seine zweite Frau Sophie als sehr gesellige Menschen, wie Fotos von Karnevalsfesten der Bahnhofstraße in den 1920er-Jahren beweisen. Bis zu seinem Tod am 28. Januar 1937 im Alter von 72 Jahren war Moritz Winkler der letzte frei gewählte Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Ahaus.
Sprengstoffanschlag auf Synagoge
1934 hatte er erleben müssen, wie drei Gymnasialschüler und ein SA-Mann aus Ahaus einen Sprengstoffanschlag auf die Synagoge in der Marktstraße verübten. Deren völlige Zerstörung beim Pogrom im November 1938 hat er allerdings nicht mehr mitbekommen.

Jakob Müller © privat
Seine 20 Jahre jüngere zweite Frau Sophie, geb. Müller stammte aus Lauchröden in Thüringen. Sie holte nach dem Tod ihres Ehemannes ihren über 90-jährigen Vater Jakob Müller nach Ahaus. Als sie Ende 1939 die Möglichkeit bekam, zu ihrer Schwester Ida nach Brasilien zu flüchten, wollte sie ihren Vater nicht allein in Ahaus lassen.
Flucht nach Rio de Janeiro
Erst als die Oberin des nahe gelegenen Krankenhauses Jakob Müller Unterkunft und Versorgung bis zu seinem Tod versprach, zog Sophie nach Rio de Janeiro, wo sie noch einmal heiratete, sich aber ihre Spuren verloren.
Ihr Vater Jakob Müller starb kurz danach im Juni 1940 im Krankenhaus und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Ahaus beerdigt. Anders als sein Schwiegersohn Moritz Winkler hat Jakob Müller aber keinen Grabstein mehr bekommen. Eine geplante Deportation des 92-Jährigen soll die Oberin des Krankenhauses mutig verhindert haben.