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Im Krieg eingeschlossen: Familie von Ahauser Hebamme steckt in Charkiw fest
Ukraine-Krieg
Fast rund um die Uhr fallen Bomben und Granaten auf Charkiw. Julia Ruddes Verwandte können die Stadt nicht verlassen. Hilfe kommt nicht an. Doch es gibt auch ganz kleine gute Nachrichten.
Julia Rudde (42) klingt verzweifelt, als unsere Redaktion am Mittwochmorgen mit ihr spricht. Die Ahauserin mit Wurzeln in der Ukraine fürchtet um ihre Verwandten in der ostukrainischen Stadt Charkiw. Seit sieben Tagen sei ihre Schwester mit ihrem Kind praktisch nicht aus der U-Bahn-Station herausgekommen.
Ihre Eltern und ihre Großmutter hatten bis zuletzt ebenfalls in der schwer umkämpften Stadt ausgeharrt. Sie seien inzwischen in ein Haus der Familie in einem Dorf vor der Stadt geflohen.

Julia Ruddes Bruder Anton und seine Frau Lesia können sich am Mittwochnachmittag am Dortmunder Flughafen wieder in die Arme nehmen. Schon am Samstagmorgen hatte sie sich in der Ukraine auf den Weg nach Deutschland gemacht. © Julia Rudde
Weiter geht es für sie erst einmal nicht. „Meine Großmutter ist zu alt für eine Flucht“, sagt Julia Rudde. Eine kleine gute Nachricht hat sie dann doch noch: Ihre Schwägerin, die aus Charkiw geflohen ist, ist am Mittwochnachmittag in Deutschland gelandet. „Sie hat es geschafft und ist in Sicherheit“, sagt Julia Rudde erleichtert.
Verwandte wollen fliehen – können es aber nicht mehr
Auch ihre Schwester wolle mit ihrem Kind inzwischen fliehen. „Sie wollte eigentlich bei unseren Eltern bleiben“, erklärt Julia Rudde. Doch auch ihr werde es zu gefährlich. Das Problem: Momentan gebe es keine Chance, aus Charkiw herauszukommen. „Die Russen schießen auf alles, was sich bewegt“, sagt die Ahauserin. Hunderttausende Frauen und Kinder seien in der Stadt eingesperrt. Sie hoffe, dass ihre Schwester in Richtung moldawischer Grenze fliehen könne. Auch das Internet falle inzwischen immer häufiger aus.
Selbst Hilfstransporte würden nicht in die Stadt gelassen. „Es gab Hilfsangebote aus Georgien, aus Polen, aus Westeuropa. Davon ist noch nichts in Charkiw angekommen“, berichtet sie. Die Bomben- und Raketenangriffe würden indes immer schlimmer werden: Selbst Krankenhäuser, Schulen und die Universität seien bombardiert worden. „Was ist das für ein strategisches Ziel?“, fragt Julia Rudde im Gespräch mit unserer Redaktion.
Nach sieben Tagen ist fast ganz Charkiw beschädigt
Sie spricht von einem Genozid an den Ukrainern. „Nach sieben Tagen Krieg sind fast alle Gebäude in der Stadt beschädigt“, erzählt sie. Flugzeuge würden den ganzen Tag über der Stadt kreisen und Bomben fallen lassen. Sie sei völlig entsetzt, wie schnell das gehe. „Bei anderen Kriegen, über die in den Nachrichten berichtet wurde, hat es Wochen oder Monate gedauert, bis die Städte so aussahen“, gibt sie ihren Eindruck wieder.

Die Regale in den Supermärkten werden nicht mehr aufgefüllt. Auch in Apotheken und sogar Krankenhäusern geht langsam der Nachschub aus. Hilfslieferungen würden einfach nicht ankommen, sagt Julia Rudde. Solange es Internet und Telefon zulassen, steht sie in ständigem Kontakt mit ihren Angehörigen. © picture alliance/dpa/AP
Dennoch würden viele Russen – auch hier in Deutschland – immer noch nicht glauben, was in der Ukraine passiert. „Die sagen mir offen ins Gesicht, dass die Bilder gefälscht seien“, sagt Julia Rudde. Dabei habe sie die Bilder aus ihrer alten Nachbarschaft von Bekannten oder Angehörigen bekommen.
Geld direkt in die Ukraine zu spenden, bringe nichts: „Man kann mit Geld vor Ort nichts machen. Die Geschäfte und Apotheken sind leer“, berichtet sie.
Welle der Hilfsbereitschaft in Ahaus ist angerollt
Unabhängig davon ist auch in Ahaus die Welle der Hilfsbereitschaft angerollt: „Unsere Ehrenamtlichen sind mehr als startbereit“, sagt Carmen Esposito-Stumberger von der Caritas. Sie koordiniert den Einsatz der Integrationslotsen. Aktuell würden dort keine Spenden gesammelt. „Wir warten auf Informationen vom Deutschen Roten Kreuz“, erklärt sie. Gleichzeitig gebe es eine ganze Reihe von Menschen, die nur darauf warten, dass Flüchtlinge aus der Ukraine im Westmünsterland eintreffen. „Wir haben schon etliche Menschen registriert, die Flüchtlinge bei sich aufnehmen würden“, sagt Carmen Esposito-Stumberger. Auch Dolmetscher hätten sich schon gemeldet.
Kreis möchte Hilfen koordinieren
- Der Kreis Borken möchte die Hilfe für die Ukraine koordinieren. Dafür wurde die „Koordinierungsstelle Ukraine“ eingerichtet. Sie ist erreichbar unter Tel. 02861/681-2500 (montags bis freitags, 9 bis 17 Uhr) oder per E-Mail: ukraine-hilfe@kreis-borken.de.
- Weitere Informationen stellt der Kreis online bereit: https://kreis-borken.de/de/newspublic/ukraine-hilfe/
Sachspenden kann auch die Drehscheibe in Ahaus aktuell nicht im großen Stil annehmen. „Unsere Lager sind voll“, erklärt Rudolf Schmitz.
Flüchtlinge kommen auf private Initiative im Kreis Borken an
Inzwischen kommen immer mehr Flüchtlinge im ganzen Kreis an: „Im Moment aber noch durch private Initiative und Aufnahmen“, erklärt Karlheinz Gördes, Pressesprecher des Kreises Borken. Einen Überblick hat der Kreis noch nicht.
„Wir gehen im Moment noch von Einzelpersonen aus, die uns nach und nach gemeldet werden“, sagt er. Von staatlicher Seite würden aktuell noch keine Flüchtlinge zugewiesen. Wie lange das noch so gehe, könne er natürlich nicht abschätzen.
Ursprünglich Münsteraner aber seit 2014 Wahl-Ahauser und hier zuhause. Ist gerne auch mal ungewöhnlich unterwegs und liebt den Blick hinter Kulissen oder normalerweise verschlossene Türen. Scheut keinen Konflikt, lässt sich aber mit guten Argumenten auch von einer anderen Meinung überzeugen.
