In Ahaus und Umgebung gab es im vergangenen Jahr sehr viele Austritte aus der Kirche. Stefan Jürgens, leitender Pfarrer der katholischen Kirchengemeinden St. Mariä Himmelfahrt in Ahaus, versucht alles, um die Leute zu erreichen. Auch in Coronazeiten, wie hier digital.

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Gewaltiger Anstieg: Immer mehr Menschen wenden sich von der Kirche ab

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Der Stellenwert der Kirche scheint in der Gesellschaft immer mehr abzunehmen – auch im Westmünsterland. Doch warum? Wir haben mit Pfarrer Stefan Jürgens aus Ahaus über die Ursachen gesprochen.

Ahaus

, 13.01.2022, 12:00 Uhr / Lesedauer: 2 min

Kirchenaustritt, ja oder nein? Mit zunehmender Dauer scheinen sich mittlerweile immer mehr Menschen mit dieser Frage auseinanderzusetzen. In Ahaus und Umgebung hat es deshalb zuletzt einen rapiden Anstieg der Austrittszahlen gegeben – Tendenz steigend. Doch was sind eigentlich die Gründe dafür?

Wie das Amtsgericht Ahaus auf Nachfrage der Münsterland Zeitung mitteilte, sind im Jahr 2021 insgesamt 911 Menschen aus der Kirche ausgetreten. 2020 waren es noch 552 – ein Anstieg um fast 100 Prozent. Das Amtsgericht Ahaus zählt die Austritte für die Städte Ahaus, Stadtlohn und Vreden sowie für die Gemeinden Heek, Legden und Schöppingen im nördlichen Kreis Borken.

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Norbert Sicking, Rechtspfleger des Amtsgerichts in Ahaus, sagt zu den Zahlen Folgendes: „Das ist natürlich eine signifikante Steigung.“ Die genauen Austrittszahlen auf die einzelnen Ortschaften „runterzubrechen“, sei allerdings nicht möglich. Auch gebe es keine Angaben zu den jeweiligen Konfessionen der Menschen, die seit dem 1. Januar dieses Jahres nun nicht mehr Mitglied der Kirchengemeinschaft sind.

Vielerlei Gründe für die Austritte

Im Gespräch mit der Redaktion reagierte Stefan Jürgens, leitender Pfarrer der katholischen Kirchengemeinden St. Mariä Himmelfahrt in Ahaus und Alstätte-Ottenstein, betroffen: „Die Zahl stimmt mich natürlich traurig, weil ich den Glauben für etwas sehr Wichtiges halte.“

Die Gründe für einen Kirchenaustritt seien aus seiner Sicht ganz verschieden. Zum einen spiele sicherlich der finanzielle Aspekt eine große Rolle – der Kirchensteuersatz liegt bundesweit (bis auf Baden-Württemberg mit acht Prozent) bei neun Prozent der Lohn- bzw. Einkommensteuer. Hinzu kommen ein großer Vertrauensverlust und der Frust gegenüber der Kirchenleitung – mit dem Hauptaugenmerk auf den Papst und die Bischöfe.

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Außerdem habe die Kirche an Bedeutung verloren, als Institution allemal, aber auch als Glaubensgemeinschaft. „Das war in den früheren Generationen anders“, so Stefan Jürgens. Vieles sei heutzutage nicht mehr so plausibel, oft fehle vor allem die Identifikation mit der Kirche, meint Stefan Jürgens weiter. Deswegen vermutet er: „Auch in Zukunft werden die Austrittszahlen steigen. Ich glaube, dass Europa in 50 Jahren ohne gesellschaftlich relevantes Christentum sein wird.“

Lohnt die Überzeugungsarbeit?

Denn wenn der Schritt des Austritts erst einmal vollzogen ist, dann gebe es meistens auch kein Zurück mehr. „Die Menschen, die nicht mehr Teil der Kirche sein möchten, bekommen nach ihrem Austritt einen Brief mit einem Gesprächsangebot zugesandt. Allerdings melden sich nur etwa fünf Prozent auch zurück. Das dürfte ruhig mehr sein.“

Für den Pfarrer stellen sich zwei wesentliche Fragen. Glauben die Menschen trotz eines Austritts noch? Wenn dem nicht so ist, dann sei der Schritt konsequent. Oder sind die Menschen einfach nur frustriert und treten deshalb aus der Kirche aus? Dann sei ein Versuch, die jeweilige Person noch einmal vom Gegenteil zu überzeugen, durchaus sinnvoll.

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„Ich finde die Auseinandersetzung immer gut“, sagt Stefan Jürgens. Wichtig sei vor allem, dass die Kirche beweise, dass der Glaube eine Relevanz für das heutige Leben habe. „Die Kirche war mal ein Global Player. Wenn die Menschen heute glauben, dann aus Überzeugung.“ Es müsse einfach die Botschaft von Jesus Christus glaubhaft vermittelt werden.