Straßennamen nach jüdischen Opfern? Das sagt die Stadt zum Bürgervorschlag

Warum tragen Wernes Straßen nicht die Namen von jüdischen Mitbürgern?
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Dutzende Stolpersteine erinnern heute an die einstigen jüdischen Bewohner Wernes. Viele dieser Menschen wurden in der Zeit des Nationalsozialismus in Konzentrationslager deportiert und ermordet. Besagte Steine, Gedenktafeln und der jüdische Friedhof sind mehr als 80 Jahre später die letzten Spuren jüdischen Lebens in der Lippestadt.

Wenn es nach Clemens Overmann geht, könnte sich das bald womöglich ändern. Denn Overmann denkt darüber nach, einen alten Antrag wieder aus der Schublade zu holen. Bereits vor 35 Jahren forderte er, Straßen nach den jüdischen Werner Holocaust-Opfern zu benennen. Seine persönliche Freundschaft zu Heinrich Salomon spielte dabei eine wichtige Rolle.

Salomon konnte als einer von wenigen Werner Juden der NS-Terrorherrschaft im „Dritten Reich“ entkommen. Dennoch besuchte er in der Nachkriegszeit mehrfach seine geliebte Heimatstadt und reichte die Hand zur Versöhnung. Er könne vergeben, aber nicht vergessen, sagte Salomon immer wieder. Im Jahr 1992 starb er. Eine Straße wurde jedoch nie nach ihm benannt. Aber warum eigentlich nicht?

Name Salomon „immer mal wieder Thema“

„Der Name Heinrich Salomon war immer mal wieder Thema“, sagt Norbert Hölscher aus dem Kulturdezernat der Stadt, während er durch alte Akten blättert. Darin ist dokumentiert, dass besagtes Thema unter anderem 2006 und 2010 noch einmal auf der politischen Agenda stand. Grüne Jugend, Jungsozialisten und Antifa hatten sogar eine Liste mit fast 300 Unterschriften eingereicht, damit der Name Salomon auf einem der Straßenschilder auftaucht. Auch dieser Vorstoß blieb ohne Erfolg. Wie schon in den späten 1980er Jahren.

Norbert Hölscher vom Kulturdezernat der Stadt zeigt auf einen Stadtplan von Werne.
Norbert Hölscher vom Kulturdezernat der Stadt mit einem Stadtplan von Werne. © Felix Püschner

„Es wurde gesagt, man werde sich damit beschäftigen“, formuliert es Hölscher mit Blick auf die Protokolle vorsichtig. „Man“ bedeutet in diesem Fall die Politik. Denn die entscheidet letztlich darüber, wie die Straßen der Lippestadt benannt werden. Dafür gibt es einen speziellen Arbeitskreis. Die Stadt selbst kann lediglich Vorschläge und Anregungen geben - so wie jeder normale Bürger auch. Und sie ist natürlich für die Bearbeitung zuständig.

Im Jahr 2006 wurden in Werne auf Anregung des Stadtmuseums die ersten Stolpersteine verlegt. Die Aktion überschnitt sich also mit dem damaligen Straßennamen-Vorschlag. Dennoch - oder vielleicht gerade deswegen - tat sich auf den Straßenschildern nichts. Später hieß es, man wolle die Namen der jüdischen Bürger künftig bei der Benennung von Straßen in Neubaugebieten berücksichtigen. Tat man dann allerdings doch nicht.

Blick in die Straße am Schwanenplatz. Zu sehen sind das Straßenschild, Häuser und ein Auto.
Die Straße "Am Schwanenplatz" ist noch nicht sonderlich alt. Hier habe man eine "historische Chance verpasst", sagt Clemens Overmann. © Felix Püschner

Dabei existieren in Werne durchaus Straßen und Wege, die an den Holocaust erinnern. Hölscher verweist hier auf das Baugebiet Hustebecke. Dort gibt es beispielsweise die Nikolaus-Groß-Straße und den Bernhard-Sickmann-Weg. Die Familie Sickmann hatte ihren Anteil an der Rettung der jüdischen Familie Spiegel vor der Verfolgung durch die Nazis. Der Widerstandskämpfer Nikolaus Groß wurde 2001 sogar vom Papst seliggesprochen.

Sonderlich strikte Regeln gibt es bei der Benennung von Straßen nicht. Eher so etwas wie Richt- und Leitlinien, auf die man sich geeinigt hat, ohne dass sie Gesetzescharakter hätten. „Oft haben die Straßennamen zum Beispiel Ortsbezüge oder sind nach historischen Persönlichkeiten wie Bürgermeistern benannt“, erklärt Hölscher.

Bürgermeister und Firmen als Namensgeber

Die Bürgermeister-Ohm-Straße ist so ein Fall. Die Straße im Neubaugebiet Baaken wurde hingegen jüngst nach Anna Beul benannt, der ersten Ratsfrau in der Geschichte Wernes. Der Vorschlag kam von der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt. Wenn es um historische Aspekte geht, holt sich Hölscher in der Regel Unterstützung ins Boot - etwa die Museumsleitung.

Vor allem, wenn es um den Zusammenhang zwischen Straßenname und Umgebung geht, liegt dieser jedoch ohnehin oft auf der Hand. So muss man nicht unbedingt durch die Kastanienstraße gegangen sein, um zu wissen, welche Bäume dort vorwiegend zu sehen sind. Auch die Herkunft von Straßennamen wie Bellingholz oder Roggenmarkt lässt sich gut erschließen. Und zu erahnen, was sich an der Amazonstraße befindet, ist ebenfalls keine Kunst.

Diese Stolpersteine liegen vor dem einstigen Haus der Familie Salomon an der Burgstraße.
Diese Stolpersteine liegen vor dem einstigen Haus der Familie Salomon an der Burgstraße. © Felix Püschner

Neben Neubenennungen gibt es allerdings auch Fälle, in denen eine Straße umbenannt wird. Das Christophorus-Krankenhaus etwa hatte einst die Anschrift „Goetheweg 34“. Inzwischen muss man ins Navi „Am See 1“ eingeben, um dort hin zu gelangen. Die Zufahrt zum Krankenhaus wurde vor etwa zehn Jahren umbenannt. Letztlich aus Marketinggründen: Die Lage am See - den es dort ja auch gibt - sei ein echtes Alleinstellungsmerkmal, hieß es seinerzeit.

Dass ganze Straßen und Wege umbenannt werden, geschieht tatsächlich nur äußerst selten. Wenn beispielsweise herauskommt, dass der Namensgeber eine NS-Vergangenheit hatte, ändern Städte und Gemeinden schon mal das Straßenschild. Oder sie versehen es zumindest mit einem Zusatz. Das ist auch in Werne bereits passiert.

Wagenfeld-Straße wegen NS-Bezug umgewidmet

So wurde die Wagenfeldstraße vor einigen Jahren umgewidmet und erhielt ein entsprechendes Zusatzschild. Sie war ursprünglich nach Karl Wagenfeld benannt. Der 1939 verstorbene Heimatdichter hatte jedoch offen Sympathien und Unterstützung für die NS-Ideologie gezeigt. Seit der Umwidmung fungiert Produktdesigner Wilhelm Wagenfeld als Namensgeber der Straße.

Nach den Werner Opfern des Holocaust ist hingegen bis heute keine Straße benannt. Dabei hätte es durchaus Möglichkeiten gegeben. „Als man die Straße 'Am Schwanenplatz' gebaut und benannt hat, hat man eine historische Chance verpasst“, sagt Clemens Overmann. Denn: „Einen Schwan gab es dort nie“. Stattdessen grenzt die Straße nahezu an das Grundstück, auf dem bis heute das Haus der Familie Salomon steht.

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