
Karl-Heinz Schwarze vom Altstadtfreunde-Vereine erzählt die Geschichte der Werner Stadtmauer. © Felix Püschner
Auf den Spuren der Stadtmauer: Warum die Pförtner einst die Bierausfuhr stoppten
Stadtgeschichte
Von der alten Werner Stadtmauer sind heute lediglich noch die Reste der Südmauer erhalten. Dabei war sie früher aus mehreren Gründen überlebenswichtig. Genauso wie die Arbeit der Pförtner.
Die alte Stadtmauer prägte und formte fast 400 Jahre lang das Leben der Bewohner der Kleinstadt Werne. Und binnen dieser Zeit hatte die Ringmauer durchaus viele Funktionen und Aufgaben. Sie diente zwar vornehmlich dem Schutz der Stadt vor Räuberbanden und kriegerischen Überfällen, doch sie ermöglichte zudem, dass Rat und Bürgermeister zahlreiche Gebote und Verbote durchsetzen konnten.
Diese mussten die Existenzgrundlage der Bewohner sichern. Fast alle waren Selbstversorger. Um Nahrung zu beschaffen, waren Felder, Wiesen, Wälder und Gärten nötig; die lagen alle vor den Mauern in der städtischen Feldmark.
Als die Zahl der Bewohner zunahm, wurden Acker- und Weideflächen so knapp, dass die Nahrungsmittel sich erheblich verteuerten. Die Aufgabe der Stadtväter war es somit, dafür zu sorgen, dass jeder sein „Auskommen“ hatte. Zwar gab es Reiche und Arme in der Stadt, doch niemand sollte verhungern. Kriege und Missernten führten häufig zu Hungersnöten.
Die Kontrolle der erforderlichen Gebote und Verbote oblag den Torwärtern. Es gab vier Tore, und alle Bewohner mussten zu ihren Nahrungsquellen dadurch. Die Torwärter, Pförtner genannt, waren städtische Angestellte. Der Pförtner am Burgtor zählte und überprüfte die 200 bis 250 Kühe, die auf die Allmende getrieben wurden. Die Allmende war städtischer Besitz und konnte von allen nach feststehenden Regeln genutzt werden. Sie machte circa 50 Prozent der Feldmark aus.
Eigenwillige Kühe führten zu hohen Strafen
Da wuchs viel Gras. Doch das war auch nötig, denn durch das Bonentor wurde nach Osten eine zweite Herde getrieben mit ebenfalls 200 bis 250 Kühen. Nun waren die Grenzen in der Feldmark, trotz Wällen und Hecken zwischen Acker und Allmende, nicht scharf getrennt, und Rindviecher hielten sich nicht konsequent an Gebote. Ihre Besitzer unterstützten sie gern bei Übertretungen, denn das Gras beim Nachbarn war oft nahrhafter und dichter.
Kühe, die die Grenzen verletzten, wurden „verschüttet“, das heißt in einen Schüttstall an den Toren getrieben. Pförtner und Schütter, diese ebenfalls städtische Angestellte, gaben die Tiere den Besitzern erst zurück, sobald die angesagte Strafe gezahlt war. Das füllte den Stadtsäckel.

Der Altstadtfreunde-Verein hatte zu einer Führung entlang der alten Stadtmauer eingeladen. 30 Teilnehmer folgten Karl-Heinz Schwarze, dem Vorsitzenden des Vereins. Die Zuhörer brachten viel Phantasie ein, als Schwarze an zahlreichen Stationen die vielen Funktionen und Aufgaben der Ringmauer erläuterte. © Karl-Heinz Schwarze
Die Pförtner hatten viel zu kontrollieren. Sie kassierten von durchreisenden Kaufleuten Wegezoll, eine sehr wichtige Einnahmequelle der Stadt. Sie überprüften die ein- und ausgeführten Waren. In Notzeiten durfte zum Beispiel kein Bier ausgeführt werden. Keiner sollte in Werne verdursten; Bier mit geringem Alkoholgehalt war ein Grundnahrungsmittel. Brunnenwasser war ungesund. Holz war ein knappes Gut.
Diebe konnten am Tor erwischt werden. Ziegen durften zu festgelegten Zeiten nicht auf die Feldmark. Sie fraßen alles unkontrolliert ab und zertraten dabei viel. Auch der Gänsemarsch durchs Tor war verboten: wo eine Gans grast, frisst keine Kuh mehr. Schweine durften nur zu bestimmten Jahreszeiten durchgelassen werden, vornehmlich im Winter zur „Eichelhude“ im Wald. Der Katalog der Verbote war lang und ebenso der der Strafen.
Stadtviertel als militärische Einheiten
Innerhalb der Mauer war die Stadt in Viertel eingeteilt, benannt nach den vier Toren. Das Burg-, Bonen-, Stein- und das Neutorviertel bildeten nach Stadtrat und Bürgermeister je eine wirtschaftliche und politische Einheit, vor allem eine militärische. Ohne Mannschaften auf der Mauer wäre diese bei Gefahr nutzlos gewesen. Sie musste, wenn Feinde im Anmarsch waren, sehr schnell besetzt werden; das erforderte eine langfristige und gut organisierte Vorbereitung.
Für eine Kleinstadt wie Werne war der Mauerbau ein Großprojekt. Wer baute sie? In den Quellen und der Literatur heißt es immer wieder: „Der Bischof von Münster (der Landesherr) baut Werne zur Festung aus“. Im Nachklang zu Bertolt Brechts kritischem Blick müsste man fragen: „Hatte er nicht wenigstens einen Koch dabei?“

Das Urkataster von 1882 zeigt eine Rekonstruktion des Mauerrings, der Türme und Tore. © Schwarze
Laut Quellen war der Bischof 1532 in Werne. Da suchte er aber nur auf seiner Burg, die im Norden vor der Mauer stand, Schutz vor den Wiedertäufern. Die Werner haben sie gebaut, fast 100 Jahre lang, und es musste jeder anpacken ohne Rücksicht auf Rang und Vermögen; hier galt das Prinzip: „Wer nimmt, muss auch geben“.
Diejenigen die Bürgerrechte besaßen, lieferten Handdienste, die Ackerbürger mussten Spanndienste leisten. Zum Bau des Deipeturms, des zweitgrößten, heißt es im Werner Bürgerbuch (hier in neuhochdeutscher Übersetzung): „Anno Domini 1500 … wurde der neue Turm fertig aufgemauert und kostete an barem Geld 200 Mark und davon wurden nur vermauert 61 000 Mauersteine und 300 Fuder Blocksteine und 3 Ofen voll Kalk, und da blieb er noch ohne Sparren.“

Ein altes Ackerbürgerhaus an der Kleinen Burgstraße © Schwarze