
© Jörg Heckenkammp
Reaktionen auf Bürgerentscheid: „Ein wirtschaftlicher Rückschritt für Werne“
Industriegebiet abgelehnt
Der Bürgerentscheid am Sonntag hat die Pläne für ein neues Industrie- und Gewerbegebiet vom Tisch gefegt. Gut oder schlecht für Werne? Wie geht es jetzt weiter? Wir haben Verantwortliche gefragt.
Beim Bürgerentscheid hat sich eine deutliche Mehrheit gegen die weitere Planung des Industriegebietes Nordlippestraße ausgesprochen und damit einen entsprechenden Ratsbeschluss formal ausgehebelt. Der Rat muss laut Bürgermeister Lothar Christ nicht neu beschließen, „sondern der Bürgerentscheid hebt das Votum des Stadtrates auf“.

Vertreter der verschiedenen Parteien fanden sich kurz nach Schließung der Wahllokale am Sonntagabend ab 18 Uhr im Stadthaus ein. © Felix Püschner
Darüber wird dann offiziell auf einer Ratssitzung am Mittwoch, 15. Dezember 2021, ab 17.30 Uhr im Kolpingsaal informiert. Da geht es dann auch um die Kosten des Bürgerentscheides über mehr als 80.000 Euro, die schnell genehmigt werden müssen. Das ist die formale Seite. Wie aber werten die Parteien beziehungsweise ihre Ratsfraktionen das Ergebnis, wie beurteilen sie die Auswirkungen des Planungs-Stopps?
Uta Leisentritt, stellvertretende Fraktions-Vorsitzende der CDU, lobt das „demokratische Verfahren eines Bürgerentscheides, das wir unterstützt haben“. Das Ergebnis stellte sie allerdings nicht zufrieden: „Den Ausgang haben wir uns so nicht vorgestellt.“ Der Kooperationsstandort an der Nordlippestraße sei „eine große Chance für Werne“ gewesen.
Sie bedauert, dass schon in einem so frühen Planungsstand das Aus gekommen sei. „Wir wollten ja gerade erst in die Planung einsteigen und hätten sicherlich gute Konzepte finden können, mehr war zum jetzigen Zeitpunkt ja noch nicht geplant“. Nun stelle sich die Frage, wie man Wirtschaft in Werne angesiedelt bekommt und „was können wir für die Unternehmen tun, die sich vergrößern wollen?“ Sie geht davon aus, dass sich „irgendwas neu ergeben wird“. Das Votum schade der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt.

Die Wahlbeteiligung lag bei 36 Prozent. Die Gegner des Industriegebietes hatten es geschafft, ihre Mitstreiter stark zu mobilisieren. © Felix Püschner
Bei einer relativ geringen Wahlbeteiligung von 36 Prozent hätten es die Gegner der Planung einfacher gehabt, die Menschen zu mobilisieren, sagt SPD-Fraktionssprecher Lars Hübchen. „Für ein Industriegebiet zu sein ist weniger emotional, als dagegen zu sein.“ Das sei beim Bürgerentscheid zum Solebad ganz anders gewesen, weil „das ein emotionales Thema war, das alle anging in Werne“.
Jetzt müsse man überlegen, wie man ohne ausreichendes Flächenangebot eine gute wirtschaftliche Entwicklung für Werne erreiche. „Da sehe ich auch die Initiatoren des Bürgerbegehrens in der Pflicht“, sagt Hübchen. Wenn etwas abgelehnt würde, müsse man nun daran mitarbeiten, Alternativen zu finden.
Benedikt Striepens von den Bündnisgrünen, der einzigen Fraktion, die im Rat gegen die Pläne votiert hat, sagt: „Wir bedanken uns und beglückwünschen der BIN, die für dieses Resultat viel gearbeitet hat. Wir freuen uns, dass es geklappt hat.“ Striepens spricht von einem „bemerkenswerten Wertewandel. Vor Jahren wäre solch ein Widerstand gegen Neuansiedlungen undenkbar gewesen“. Arten- und Klimaschutz, Ökologie und Nachhaltigkeit hätten offenbar einen höheren Stellenwert bekommen. Striepens: „Es zeigt sich dadurch ein Wertewandel in der Bevölkerung“.

Vertreter der Bürgerinitiative gegen das Industriegebiet verfolgen gemeinsam mit Bürgermeister Lothar Christ (r.) die Auszählung der Stimmen am Sonntagabend. © Felix Püschner
Das solche Fragestellungen nun in den Vordergrund rückten, „das ist schön“. Zur künftigen wirtschaftlichen Lage meint der Grünen-Fraktions-Chef: „Werne wäre nicht untergegangen, wenn der RVR diese Pläne nicht vorgestellt hätte.“ Man brauche weder aus Gründen höherer Gewerbesteuer-Einnahmen noch zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ein solches Industriegebiet. In beiden Feldern stehe Werne gut da. Striepens: „Jetzt muss man an die Weiterverdichtung von Flächen denken und die wenigen Flächen effektiv nutzen.“
Claudia Lange, Fraktionsvorsitzende der FDP: „Es ist gut, das es das demokratische Mittel des Bürgerentscheids gibt.“ Allerdings bedauert sie das Ergebnis, denn es sei „schade, dass die Planungen jetzt hier nicht weiterlaufen und das Industriegebiet in einer anderen Stadt entstehen wird.“ Sie hätte es „cool gefunden, ein ökologisches Industrie- und Gewerbegebiet“ zu entwickeln, das Strahlkraft über die Stadtgrenzen hinaus gehabt hätte.
Ihr täte Wirtschaftsförderer Matthias Stiller leid, „der viele Anfragen zu Ansiedlungen“ auf dem Schreibtisch habe und nun wieder bei null anfangen müsse. Für Lange ist die Ablehnung der Gewerbegebiets-Planung „ein wirtschaftlicher Rückschritt für Werne“.
Auch Reinhard Stalz von den Unabhängigen Wählern Werne (UWW) bedauert den Ausgang des Bürgerentscheids. Gleichwohl betont auch er, dass dieses Votum „auf die allerdemokratischste Weise zustande gekommen ist“, die man sich vorstellen könne. „Wir respektieren die Entscheidung der Bürger und setzen sie natürlich um, auch wenn wir uns etwas anderes gewünscht hätten“, so der Fraktionssprecher.
Werne sei momentan nicht in der Lage, neue Firmen anzusiedeln. Insofern sei die UWW für die Planung des Gebietes an der Nordlippestraße gewesen. Stalz: „Aber vielleicht gibt es in Zukunft noch neue Möglichkeiten.“
Die Linken sind über die Frage Pro oder Contra zerstritten. Während die Partei das Industriegebiet ablehnte, zeigten sich die beiden Ratsvertreter Martin Pausch und Andreas Schütte aufgeschlossen für die Pläne. Darüber kam es zum Bruch zwischen Partei- und Ratsvertretern der Linke.
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