
© Felix Püschner
Museum Werne leergeräumt: Viel Platz für neuen Blick auf die Geschichte
Stadtmuseum
Im ersten Obergeschoss des Karl-Pollender-Stadtmuseums herrscht gerade gähnende Leere. Das liegt aber nicht daran, dass das Museum coronabedingt geschlossen ist.
Besucher kann das Karl-Pollender-Stadtmuseum coronabedingt aktuell nicht empfangen. Die Fensterläden und Türen sind seit mehreren Wochen im Zuge des Teil-Lockdowns geschlossen. Und doch polterte es in dieser Zeit ordentlich im ersten Obergeschoss des Gebäudes. Inzwischen herrscht dort gähnende Leere. Wer dahinter jedoch finstere Machenschaften vermutet, der irrt sich. Denn Einbrecher waren hier nicht am Werk.
Museumsleiterin Dr. Constanze Döhrer schaut zufrieden aus. Vermutlich lächelt sie sogar hinter ihrer Maske, während sie durch die Räume im Obergeschoss geht. Denn die Leere hat auch ihr Gutes. Es gibt - einmal mehr - reichlich Platz für Neues. Nachdem im Sommer bereits der neue Bürgerraum im Erdgeschoss eröffnet wurde, hat nun der zweite Abschnitt der Museumsumgestaltung begonnen. Eine Etage darüber eben. 140.000 Euro stehen zur Verfügung - 126.000 Euro davon kommen aus dem Landesprogramm „Heimat-Zeugnis“, den Restbetrag zahlt die Stadt.
Neue Ausstellung auf 140 Quadratmetern
Milchkannen, Pferdegeschirr, Butterstampfer, Webstuhl und Co. wanderten in den vergangenen beiden Wochen peu à peu aus dem Museum ins städtische Depot. Sogar die riesige Kaltmangel - ein schlesisches Exponat aus dem 18. Jahrhundert - wurde in zweitägiger Arbeit demontiert und von sechs kräftigen Speditionsmitarbeitern hinausgeschafft.
Abgesehen von ein paar Podesten steht auf den 140 Quadratmetern Ausstellungsfläche lediglich noch der alte Kachelofen der Firma Moormann aus dem 19. Jahrhundert. „Und er wird auch weiterhin Teil der Ausstellung sein“, sagt Döhrer.
Ansonsten erinnert aktuell nur der knarrende Holzboden an das, was sich hier bis vor Kurzem befand. Die bisherigen Exponate spiegelten vor allem die münsterländische Vergangenheit der Lippestadt wider. Heißt: Landwirtschaft und altes Handwerk dominierten. Und weil das, was man in einem Stadtmuseum so zu sehen bekommt, ja auch immer einen Hinweis auf die „Identität“ der Stadt gibt, wurde vielen Besuchern schnell klar: Werne - das gehört ganz klar zum Münsterland.
Tut es aber nicht, zumindest nicht nur, nicht mehr und erst recht nicht in dem Ausmaß, wie es in der bisherigen Ausstellung vermittelt wurde - in etwa so lautete die Argumentation, die Politik und Verwaltung schon vor längerer Zeit dazu veranlassten, eine Neukonzeption anzustoßen. Bei dieser soll unter anderem dem Bergbau mehr Platz eingeräumt werden.
Vor allem aber sollen Themen wie der Erste und Zweite Weltkrieg stärker in den Vordergrund rücken. Genau genommen geht es um einen Zeitraum von gut 200 Jahren. Und um Kontraste - kulturell und politisch. Da treffen Landwirtschaft und Kloster auf Zeche und Kurbad. Da treffen die Preußen auf Napoleon. Und da trifft, wie Döhrer es ausdrückt, „Religiosität auf Weltlichkeit“.
Bezug zur NS-Zeit: Ein Hut als sprechendes Objekt
Natürlich soll auch im ersten Obergeschoss wieder alles deutlich moderner präsentiert werden als zuletzt. Der coronabedingt gefühlt noch gar nicht so recht auf Betriebstemperatur gekommene neue Bürgerraum im Erdgeschoss dient dabei als Vorbild. Bildschirme, auf denen Videos zu sehen sind, Tonaufnahmen, spielerische digitale Elemente - all das sei auch im Obergeschoss möglich, so Döhrer: „Wir haben zum Beispiel den Film von der Bahnhofseröffnung. Und wir wollen vor allem sprechende Gegenstände zeigen.“
Was das bedeuten soll? Als Beispiel nennt die Museumsleiterin den Hut von Cäcilie Gumpert, Jüdin, geboren 1865 in Werne, deportiert und ermordet im KZ. Familie Gumpert betrieb einst einen Hutladen in der Lippestadt. Am Morgen nach der Pogromnacht im Jahr 1938 fand sich in der Zeitung lediglich eine kleine Meldung, die auf die schrecklichen Ereignisse vom Vortag hindeutete: Es seien verschiedene Hüte, die sich bei dem Juden Gumpert zum Umarbeitung befanden, gefunden worden, heißt es. Die Eigentümer mögen diese doch bitte in der Geschäftsstelle der NSDAP abholen.
An solchen Exponaten kann man Geschichte(n) besonders gut erzählen, sie aufarbeiten, Parallelen zur Gegenwart erkennen. Auch der Sekretär von Marga Spiegel wird deswegen im Museum zu sehen sein. Und das Arztbesteck von Dr. Hövener. Und Waffen aus den Kriegsjahren 1870/71. Und viele andere solcher sprechenden Dinge. Als Döhrer sie auf Nachfrage aufzählt, bekommt man den Eindruck, es würde nach dem Umbau in der ersten Etage noch voller als zuvor. „Nein, das hört sich jetzt vielleicht so an, aber es wird nicht so sein“, versichert die Museumsleiterin.
Das liege in erster Linie daran, dass weniger Gegenstände pro Thema zu sehen sein werden als bislang. Zudem sollen die Exponate häufiger wechseln - zwischen Museum und Depot, das es als kleine Variante sogar in einem der Räume geben soll. Einfach um den Besuchern zu zeigen: Wir haben noch deutlich mehr zu bieten, als das, was Ihr hier gerade seht.

Keine Sorge - ist alles noch da. Die Exponate wurden fein säuberlich verpackt und ins städtische Depot gebracht, um Platz für die Neugestaltung zu schaffen. © Stadtmuseum
Ein Gestalter hat bereits Entwürfe für die neuen Räume angefertigt, das erste Konzept soll zeitnah auf der Homepage das Stadtmuseums zu finden sein. Das heißt aber nicht, dass alles bereits in Stein gemeißelt ist, wie Döhrer betont. Man setze wie schon beim Bürgerraum auf Feedback und kreativen Input aus der Bevölkerung.
Workshops, bei denen die Teilnehmer über die konkrete Umgestaltung diskutieren und zum Beispiel vorschlagen können, welche Exponate bleiben sollen und auf welche man - zumindest vorübergehend - verzichten kann, werden diesmal aber aber wohl nicht in gleicher Weise möglich sein. Viele Menschen in einem Raum - das lässt die Pandemie nun mal nicht zu.
Bürger sollen wieder an Gestaltung beteiligt werden
Durch Online-Workshops könnte man den Partizipationsgedanken möglicherweise trotzdem fortführen. Anmerkungen und Anregungen sollen Wernes Bürger über die Homepage aber auf jeden Fall geben können. Und dass sie zumindest ein paar analoge Fragebögen im Museum auslegt, möchte Döhrer Stand jetzt auch nicht ausschließen.
Worauf sie hingegen gerne verzichten würde, ist, dass sich die Arbeiten zu sehr in die Länge ziehen. Laut aktuellem Zeitplan soll schon im Jahr 2022 auch im ersten Obergeschoss wieder Publikumsverkehr herrschen. Ein andere Art von Gepolter. Wahrscheinlich ein schöneres.

Die Zerlegung der großen Kaltmangel erwies sich als kompliziert. 40 Jahre hatte des Gerät hier gestanden. Zwei Tage benötigte ein gelernter Schlosser für den Abbau. © Stadtmuseum
Der Aufbau der neuen Ausstellung
- Die neue Ausstellung wird Exponate bereithalten, die teilweise bereits vor der Umgestaltung im Museum zu sehen waren, aber auch solche, die schon seit Längerem im Depot der Stadt verstaut sind.
- Der größte Raum im Obergeschoss wird thematisch vor allem kriegerische Auseinandersetzungen behandeln. Pickelhaube, Waffen und Orden aus dem Deutsch-Französischen Krieg und Gegenstände, die die Einzelschicksale jüdischer und nicht-jüdischer Bürger erzählen, sollen hier unter anderem ausgestellt werden. Auch die Verwendung von Massenmedien zur Verbreitung von Ideologien wird aufgegriffen.
- Im nächsten Raum werden Bergbau und Solebad thematisiert - mit Exponaten wie Grubenlampen und Werkzeugen, Dokumenten des Zechenanstichs 1899, Dr. Höveners Arztbesteck, einem Stuhl aus dem Vincenzstift, Liegestühlen - auch aus dem neuen Solebad. Döhrer: „Wir wollen auch hier die Brücke zur Gegenwart schlagen“.
- Die Themen Landwirtschaft und Handwerk verschwinden natürlich nicht aus dem Museum - allerdings werden die Exponate in Kontrast zu solchen gestellt, die für die aufstrebende Industrie stehen, etwa die Fässer der Firma Moormann.
- Außerdem soll das Thema Infrastruktur aufgegriffen werden, zum Beispiel mit Blick auf die Geschichte des Bahnhofs. Und auch die Entwicklung der Medien soll ihren Platz in der neuen Ausstellung finden: Vom Radio und Telefon über das Kino bis hin zu Zeitungen. Ebenso sollen verschiedene Haushaltsgeräte, Rathaus-Kronleuchter und eine hydraulische Wäschepresse zu sehen sein.
Geboren 1984 in Dortmund, studierte Soziologie und Germanistik in Bochum und ist seit 2018 Redakteur bei Lensing Media.
