Ob es ungewöhnlich ist, Kfz-Meisterin zu sein, darüber hat Yvonne Jasper noch nie groß nachgedacht. Sie hat es einfach gemacht. Weil sie es kann und will – und über Machosprüche lachen kann.
Yvonne Jasper schneidet mit dem Cuttermesser einen Karton auf und nimmt eine gerade gelieferte Felge heraus. Ein kurzer, prüfender Blick, dann wandert das gute Stück ins Regal. Im Autohaus von Otger Lensker an der Bahnhofstraße managt sie den Laden und die Werkstatt. Als Kfz-Meisterin kennt sie sich aus.
Eine Meisterin in der Kfz-Branche – selten im Münsterland. „Seit dem 1. Januar 2009 haben zwei Kraftfahrzeugtechnikermeisterinnen aus dem Kreis Borken ihre Meisterprüfung vor der Handwerkskammer Münster abgelegt“, liefert Vera von Dietlein von der Handwerkskammer Münster eine Zahl aus den vergangenen zehn Jahren. Yvonne Jasper aber wirkt beim Erstgespräch erstaunt, dass ihr beruflicher Werdegang interessant sein soll für einen Artikel.
„Ich wollte Testfahrerin werden“
Für sie ist das nichts Besonderes, für sie stand schon früh fest, dass sie etwas mit Autos machen wollte, etwas mit Technik, mit den Händen. „Ich bin mit zehn Jahren angefangen, Auto zu fahren“, erzählt die 37-Jährige. Natürlich nur dort, wo es erlaubt war. Ihr Vater war schließlich Fahrschullehrer und ihr Lehrmeister.
„Ich wollte dann Testfahrerin werden“, sagt sie und schmunzelt. Den ganzen Tag Autofahren – das war eine tolle Vorstellung. Die Träumerei hatte dann nur ein paar Jahre später ein Ende: Da war sie 15, und ihr Vater meinte, dass drei Wochen von den sechs Wochen Sommerferien ganz gut zum Arbeiten genutzt werden könnten.
Yvonne Jasper, gebürtig aus Rathenow/Brandenburg, ist Anfang der 90er-Jahre mit ihrer Familie nach Borken gezogen, war damals Schülerin des Gymnasiums Remigianum. Ihr Vater kannte die Borkener Werkstätten, und bei Mitsubishi Neumann fand er seinerzeit offene Ohren fürs Schülerpraktikum seiner Tochter. „So einfach war das gar nicht, damals galt es ja noch, dass es für Frauen eigene Toiletten geben musste“, erinnert sich Yvonne Jasper. Diese Vorgabe für Betriebe gibt es heute nicht mehr, weder für Toiletten noch für Sozialräume.
Sie unterbricht das Gespräch kurz, ein Kunde kommt herein. Sein Auto ist erst in 20 Minuten fertig – sie bittet ihn, Platz zu nehmen und wirft den Wasserkocher an. Ein Cappuccino versüßt ihm die Wartezeit. Ist das weibliche Kundenfreundlichkeit? „Nein“, sagt sie, „das ist nicht nur bei mir so, das machen die Kollegen auch.“
Am Ende des Praktikums stand das Angebot zur Ausbildung
Zurück zum Praktikum. „Ich war abends total fertig. Den ganzen Tag stehen, das war ich nicht gewöhnt“, erinnert sie sich. Und wie haben die (männlichen) Kollegen bei Neumann reagiert? „Die hatten schon öfter Praktikantinnen gehabt, das war für die nicht komisch“, meint sie. Sie hat nicht nur hinter den Mitarbeitern gestanden und drei Wochen lang zugeguckt. Nicht nur Reinigungsarbeiten durfte sie erledigen, Zylinderköpfe hat sie geschliffen... Sie hat sich dabei nicht schlecht angestellt. Denn der Chef sagte am Ende der drei Wochen zu ihr: „Mach kein Abi, mach lieber eine Ausbildung.“ Sie fand den Gedanken gut. Ihre Eltern ließen ihr freie Hand. Yvonne Jasper entschied sich für die Ausbildung zur Kfz-Mechatronikerin in ihrem Praktikumsbetrieb. Das war 1998.

Ein Auto überbrücken – leichteste Übung für eine Kfz-Meisterin. Allzu oft ist Yvonne Jasper nicht mehr "am Auto" im Einsatz, hat als Werkstattleiterin viele andere Aufgaben. Aber wenn, genießt sie es. © Anne Winter-Weckenbrock
Im zweiten Lehrjahr fing sie dann an, zusätzlich zur Ausbildung ihr Fachabitur zu bauen. „Bevor ich abends zuhause sitze“, erklärt sie ihre damalige Motivation. Auch das findet sie nicht besonders. Dienstags und donnerstags abends und samstagsvormittags ging sie also noch in Borken zur Schule. „Als ich meinen Gesellenbrief hatte, durfte ich auch mein Fachabi-Zeugnis abholen“, erzählt Yvonne Jasper. Das war im Jahr 2001.
In der Berufsschule war sie das einzige Mädchen in der Klasse und in der Stufe. „Ich war die Prinzessin“, schwärmt sie heute von ihrem Standing bei Mitschülern und Lehrkräften. Das war dann doch mal etwas Besonderes. Eins stand fest für die ehrgeizige Auszubildende und Schülerin in der Ausbildung: „Ich will aufs Treppchen.“ Da kam sie auch hin bei der Gesellenprüfung. Aber „nur“ auf Platz zwei, wie sie sich heute erinnert. Die zweitbeste Gesellenprüfung in der Innung Coesfeld-Ahaus war aber ja auch schon mal etwas. Was ihren Chef und Lehrmeister auf die Idee brachte, ihr zu raten, gleich die Meisterschule dranzuhängen: „Du bist ja gerade so gut dabei.“
In vier Teilen mit einigen Monaten Pause dazwischen absolvierte Yvonne Jasper den Meisterkurs, abends und am Wochenende, während sie als Gesellin bei Neumann in Borken arbeitete. Vier Jahre später, 2005, hielt sie den Meisterbrief in den Händen – und stand ganz oben auf dem Treppchen. Geschafft! Bei einer Feier in der Halle Münsterland gab es einen Preis für sie. Ob es in ihrem Jahrgang auch andere Frauen gab, die den Kfz-Meister gemacht haben, weiß sie nicht. In ihrem Kurs war sie wieder die einzige Frau unter Männern.

Der Meisterbrief hängt gerahmt im Verkaufsraum im Autohaus Lensker. © Anne Winter-Weckenbrock
Mit dem Meisterbrief in der Tasche gab es einen Wechsel – privat und beruflich. Sie zog 2005 mit ihrem späteren Mann Christian nach Vreden. Im Autohaus von Otger Lensker war eine Stelle als Monteurin zu besetzen. Eine Frau einzustellen, war auch für Otger Lensker nichts Besonderes. „Wir hatten schon weibliche Mitarbeiter“, sagt er, als er kurz beim Pressegespräch vorbeischaut. Er mache sich über männlich oder weiblich gar keine Gedanken, sagt der Kfz-Meister. „Unterm Strich zählt das Ergebnis. Sachkenntnis muss jeder haben, unabhängig vom Geschlecht.“
Seinen pragmatischen Ansatz machte er auch gegenüber Kunden deutlich, die sich wunderten, dass sie einer Frau ihr Auto anvertrauen sollten. Yvonne Jasper selbst hakt ein: „Das kommt gar nicht mehr vor, hier kennt mich doch jeder“, sagt sie. 13 Jahre arbeitet sie ja schon bei Lensker. Eine freie Werkstatt mit vielen Stammkunden, wie sie sagt. Da muss sie sich nicht erklären.
Und an blöde Sprüche kann sie sich überhaupt nicht erinnern, höchstens an etwas Erstaunen bei manchen Kunden. „Kann ich mal jemanden sprechen, der Ahnung hat?“ oder „Kann ich mal den Werkstattleiter sprechen?“ – wer ihr diese Fragen stelle, sei ja schon nah dran, sagt sie lachend. Auch an Machosprüche – ob in der Ausbildung, in der Meisterschule oder am Arbeitsplatz – kann sie sich wortgetreu nicht erinnern. Weil sie sie nicht ernst genommen hat. „Wenn, dann war das auf alberner Basis, geärgert habe ich mich nie“, sagt Yvonne Jasper.
Namensschild gegen eventuelle Missverständnisse
Im Autohaus Lensker arbeitete sie zu Beginn als Monteurin in der Werkstatt. „Das wollte ich auch“, blickt die Kfz-Meisterin zurück. Dann wurde die Stelle in der Reparaturannahme und im Teileshop frei. Sie übernahm das zeitweise, dann immer mehr und am Ende trug sie immer mehr Verantwortung. Und das gern. „Ich bin da so reingewachsen“, sagt sie. Otger Lensker machte sie zur Werkstattleiterin. Und ließ ein Namensschild anfertigen, damit keine Missverständnis aufkommen konnten: „Yvonne Zander – Kfz-Meisterin“.
Das Schild liegt schon lange in der Schublade unterm Ladentresen. „Mich kennt hier doch jeder“, sagt Yvonne Jasper. Und der Name stimme ja auch nicht mehr.
In den Jahren seit ihrer Ausbildung hat sich auch im Kfz-Handwerk einiges getan. Weniger Schrauben, mehr Diagnosegerät. Fortbildungen sind ihr ständiger Begleiter. Aber: „Wir sind hier eine freie Werkstatt, es kommen auch Kunden mit älteren Autos. Da muss man Grundkenntnisse haben und auch noch den Schraubendreher in die Hand nehmen“, sagt die 37-Jährige. Das mache sie ab und zu sehr gerne. „Oder auch mal Reifen wechseln, das ist was Einfaches, ohne viel nachzudenken.“
„Ich liebe mein Auto“
Die Frage nach ihrem Lieblingsauto beantwortet sie sofort: „Ich liebe mein Auto.“ Es ist ein Mercedes E-Klasse, ein schwarzer Kombi. Tachostand: 350.000 Kilometer. „Alt, aber wunderschön“, schwärmt sie. Wenn das Auto krank sei, sei sie es auch, sagt sie schmunzelnd.
Sie kann sich also in Kunden hineinversetzen, die Sorge um ihr Auto haben. Und ist dabei bei einem Pluspunkt, dem sie ihrem Berufsstand gibt: „Es ist schön, dass man sein Produkt sieht, ein Erfolgserlebnis hat, Menschen glücklich macht.“ Ein Minuspunkt sei die Bezahlung im Handwerk im direkten Vergleich mit einer Tätigkeit in einem Industriebetrieb. „Man kriegt aber viel positive Bestätigung. Sogar Blumen und Geschenke. Das gibt es in der Industrie nicht“, sieht sie es positiv.
Kann sie ihren Beruf denn weiterempfehlen an Mädchen und Frauen? „Auf jeden Fall“, zögert sie nicht mit der Antwort. Yvonne Jasper hat den Eindruck, dass es langsam mehr weibliche Mitarbeiter gibt in den Kfz-Betrieben. Zumindest Praktikantinnen hat sie schon betreut bei Lensker. Und dabei festgestellt: „Mädchen sind interessierter und fleißiger. Die haben da auch Bock drauf.“
Frauen sind noch immer eher die Ausnahme im Kfz-Handwerk
Zwei KFZ-Meisterbriefe in zehn Jahren für Frauen bei der Handwerkskammer Münster, fünf weibliche Azubis, 45 männliche im vergangenen Halbjahr in der Innung Ahaus-Coesfeld. Woran liegt das?
Mädchen und Frauen im Kfz-Handwerk – das kommt vor, aber in einem prozentual äußerst niedrigen Bereich. Ein Anfrage bei der Kreishandwerkerschaft Coesfeld bestätigt das: „Bei der Winterprüfung in diesem Jahr waren fünf weibliche Auszubildende dabei“, bilanziert Josef Fels. 50 Gesellen wurden insgesamt losgesprochen. Zum Bezirk der Kfz-Innung zählen der Kreis Coesfeld, Teile des Kreises Unna und eben der Kreis Borken. Das Besondere: Gibt und gab es weibliche Auszubildende/Gesellinnen, waren sie immer aus dem Kreis Borken. „Warum das so ist, weiß ich nicht“, sagt Josef Fels von der Kreishandwerkerschaft Coesfeld.
Beratung erfolgt geschlechtsneutral
Werden Mädchen überhaupt auf die Idee gebracht, einen technischen Beruf wie im Kfz-Handwerk in Betracht zu ziehen? Spätestens, wenn sie sich über die Berufswahl Gedanken machen müssen? Wir fragen bei der Agentur für Arbeit in Coesfeld nach. Bernadette Finke ist Berufsberaterin und hat viel mit Jugendlichen zu tun. „Die Beratung der Mädchen erfolgt grundsätzlich nicht ausschließlich nur über die klassischen Frauenberufe, sondern geschlechtsneutral ausschließlich unter Betrachtung von Neigungen und Interessen“, betont sie.

Mädchen und Frauen sollen für technische Berufe begeistert werden. Hier messen im Bildungs- und Technologiezentrum der Handwerkskammer zu Leipzig in Borsdorf die angehenden Kfz-Mechaniker Steffen Geithel und Yvonnen Kelten mit Ausbilder und Kfz-Meister Bernd Thiel (von links) Zylinderlaufbuchsen aus. © picture alliance / dpa
Wenn bei den Jugendlichen noch keine konkreten Ideen oder Wünsche bestünden, würden die Berufswünsche über die individuellen Interessen, Fähigkeiten und Stärken erarbeitet. „Und dann wird über diese Berufe gezielt informiert“, erklärt die Berufsberaterin. Komme dabei ein Mint-Beruf in Betracht – also ein Beruf aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – werde natürlich über technische oder naturwissenschaftliche Berufe tiefgehender informiert. Wenn aber Mädchen schon einen gefestigten Berufswunsch haben, würden sie nicht über technische Berufe informiert. Weil ihr Wunsch eben in eine andere Richtung gehe.
Schulprojekte in den naturwissenschaftlich-technischen Bereichen
Doch die ersten Schritte werden schon vor der Berufsberatung bei der Agentur für Arbeit getan, in der Schule. „Immer mehr Schulen bieten Projekte im Rahmen von Mint an. Im Kreisgebiet gebe es mehrere Schulen, die sich als Mint-Schule bezeichnen dürfen, weiß Bernadette Finke. Dort wird dieser Bereich sowohl im Unterricht als auch in diversen Projekten verstärkt an die Schüler herangetragen. Sie selbst betreue eine reine Mädchenschule, die Schönstätter Realschule in Borken, „aber gerade hier wird der Bereich Mint ganz intensiv angeboten und die Mädchen werden in diesem Bereich intensiv gefördert“, weiß die Berufsberaterin zu berichten.

Bei der Forscherwerkstatt, die im am Gymnasium Georgianum regelmäßig auch zum Thema Technik und Informatik angeboten werden, ging es im Oktober 2018 um Roboter. Mädchen wie Jungen waren mit Begeisterung dabei. © Victoria Thünte
Der Verband ZDI (Zukunft durch Innovation) der Wirtschaftsförderung des Kreises Borken biete Unterstützung bei den entsprechenden Mint-Projekten an. „Diese Projekte beginnen bereits im Kindergartenalter. Sie sind natürlich nicht ausschließlich für Mädchen gedacht, tragen aber dazu bei, dass auch Mädchen erste Erfahrungen in diesem Bereich sammeln können“ betont Bernadette Finke. Da in den meisten Schulen Jungen wie Mädchen unterrichtet würden, erfolgten die Informationen aber für beide Geschlechter gleich. „Wir, als Agentur für Arbeit, versuchen natürlich auch in den Berufsorientierungen in den Schulen, die im Klassenverband stattfinden, verstärkt auf die Möglichkeiten in den Mint-Berufen hinzuweisen und den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt darzustellen“, betont Bernadette Finke abschließend.
- Laut Statistik der Agentur für Arbeit Coesfeld gab es Ende 2017 im Kreis Borken 350 Betriebe im Bereich Handel mit Kraftfahrzeugen, Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen. Von den seinerzeit gemeldeten 2975 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten waren 589 Frauen und 2386 Männer. Von den 521 Auszubildenden waren 70 weiblich und 451 männlich. In diesen Zahlen enthalten sind auch Automobilkaufleute.
- Ein vergleichender Blick in den Kreis Coesfeld zeigt: In 215 Betrieben arbeiteten Ende 2017 314 Frauen und 1548 Männer in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis, bei den Auszubildenden waren 30 weiblich und 258 männlich.