
© Victoria Garwer
Gaby Wigber (56) ist Arbeitgeberin – trotz und wegen ihrer Behinderung
Lebensgeschichte
Mit 48 Jahren erleidet Gaby Wigber einen Schlaganfall und ist seitdem behindert. Rund sieben Jahre später hat sie ihre eigenen Angestellten: fünf Assistenten, die sie pflegen und ihr helfen.
Als sich die Tür der Erdgeschosswohnung in Vreden öffnet, begrüßt Gaby Wigber, die im Rollstuhl sitzt, die Gäste zusammen mit ihrer Assistentin Aga. Ihre Stimme klingt etwas monoton, Gefühle kann Gaby Wigber nicht gut mitklingen lassen. Das ist eine der Folgen der Hirnblutung, die sie 2012 hatte. Seitdem kämpft sich die heute 56-Jährige zurück ins Leben.
Und da hat sich in letzter Zeit einiges getan. „Endlich kann ich wieder selbstbestimmt leben“, sagt Gaby Wigber. Denn: Seit Januar diesen Jahres hat sie fünf Angestellte, die täglich für sie da sind, sie pflegen, etwas mit ihr unternehmen.
Geschafft hat sie das mithilfe der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB), die durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert wird. Die EUTB berät behinderte Menschen und ihre Angehörigen kostenlos darüber, wie sie finanzielle Unterstützung bekommen können. Vor fast zwei Jahren hat Gaby Wigber bei einem Treffen ihrer Selbsthilfegruppe für Schlaganfall-Patienten von dieser Möglichkeit erfahren.
EUTB unterstützt Gaby Wigber beim Antrag auf persönliches Budget
Zusammen mit einem Berater der EUTB stellt sie einige Zeit später einen Antrag auf persönliches Budget beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe. „Das hätte ich alleine nicht geschafft“, so Gaby Wigber. Kurze Zeit später wird der Antrag genehmigt.
Mit der Hilfe ihrer Tochter schaltet die Vredenerin eine Annonce in der Zeitung. „Am Anfang hatte ich große Angst, dass ich keine Assistenten finde“, gibt sie zu. Doch das bleibt unbegründet. Es melden sich neun Personen, die Gaby Wigber alle zum Vorstellungsgespräch und Probearbeiten einlädt.
Fünf dieser Bewerber stellt sie danach ein. Den Arbeitsvertrag setzt ihre Tochter auf. „Ich hätte mir aber gewünscht, dass uns dabei eine Institution geholfen hätte. Meine Tochter stand damit ganz alleine da“, sagt die 56-Jährige. Trotzdem habe sich durch die EUTB für sie alles zum Guten gewendet. „Dabei wissen viele gar nicht, dass es das gibt.“
Altersheim-Aufenthalt und polnische Pflegekraft
Bevor sie selbst von der EUTB und ihren Möglichkeiten erfahren hat, war es nicht einfach für Gaby Wigber. Nach dem Krankenhausaufenthalt und der Reha ist sie in einem Altersheim untergebracht worden. „Das war schrecklich“, sagt sie. Schließlich sei sie mit ihren 56 Jahren noch viel zu jung dafür gewesen.

Clemens Sprey von der EUTB hat Gaby Wigber bei vielen Dingen geholfen. © Victoria Garwer
Dann hat sie eine behindertengerechte Wohnung in Vreden gefunden und wurde dort von einer polnischen 24-Stunden Pflegekraft gepflegt. Diese sprach jedoch kein Deutsch und die Agentur ließ Gaby Wigber kein Mitspracherecht bei der Auswahl der Pflegekraft. Gleichzeitig sei die Agentur immer teurer geworden. „Das war eine Zumutung! Ich habe keinen anderen Weg gesehen.“
Jetzt hat Gaby Wigber fünf Assistenten, die alle Erfahrungen in der Pflege haben, auch wenn sie keine gelernten Pflegefachkräfte sind. Für Gaby Wigber ist das kein Problem: „Ich bin Krankenschwester von Beruf und kann deswegen mein Personal so anleiten, dass es pflegegerecht ist.“
Dienstplan für die Assistenten
Sieben Tage die Woche ist einer ihrer Assistenten bei Gaby Wigber. Manche machen eine 30-Stunden Woche, andere eine 20-Stunden Woche. Sie wechseln sich ab zwischen der Frühschicht von 8.30 bis 14 Uhr und der Spätschicht von 16 bis 23 Uhr. Nachts gibt es die Möglichkeit des Hausnotrufs, falls Gaby Wigber Hilfe braucht.
Den Dienstplan für ihre Assistenten schreibt die 56-Jährige selbst. „Aber ich haben einen Steuerberater, der die Lohnabrechnungen macht“, sagt sie und lächelt. Zu den Aufgaben ihrer Angestellten gehört die Grundpflege, die Haushaltsversorgung, der Einkauf, und die Alltags- und Freizeitgestaltung.
Zusammen mit ihrer Assistentin Aga ist Gaby Wigber zum Beispiel in der Stadt unterwegs, um shoppen zu gehen. Dabei trägt sie auch einen Mund-Nasen-Schutz. „Wenn Corona nicht gewesen wäre, wären wir auch zum Domhof-Festival gegangen oder zu anderen Partys“, erzählt die Vredenerin.
Die nächsten Ziele: Ein Buch schreiben und laufen
Zu Hause nutzt sie die Zeit vor allem für ihr neues Projekt: „Im Moment versuche ich mich darin, ein Buch zu schreiben über meine Odyssee nach der Hirnblutung und über das, was ich mit den polnischen Pflegekräften, die kein Deutsch konnten, erlebt habe.“
Mit einem Rollator laufen zu können, gehört zu Gaby Wigbers nächsten Zielen. In ihrem Flur ist eine Stange angebracht, an der sie sich abstützen kann, wenn sie zusammen mit ihrem Physiotherapeuten übt. „Heute bin ich schon vier Mal hin und her gelaufen. Es werden immer mehr Meter.“ Sie hofft, dass sie bald mithilfe eines Rollators laufen kann. Dieser steht schon in einer Ecke des Wohnzimmers, und wartet darauf, zum Einsatz zu kommen.
Gaby Wigber ist sehr zufrieden mit ihrem neuen Leben als Arbeitgeberin und mit ihren Angestellten. „Endlich kann ich mich auf Deutsch unterhalten.“ Und noch viel mehr: „Seitdem kann ich ein Leben wie vorher, mit Lebensqualität führen – selbstbestimmt und ohne Angst vor finanziellem Bankrott.“
Das Praktikum bei der Münsterland Zeitung hat mich für den Journalismus begeistert. Also ging es nach Dortmund, um Journalistik zu studieren. Wenn ich wieder in der Heimat bin, liebe ich es über Themen zu berichten, die die Menschen hier bewegen.
