
© Markus Gehring
Gaby Wigber (55) kämpft sich nach einer Hirnblutung zurück in ihr altes Leben
Gesundheit
Gaby Wigber war 48, als ein Aneurysma in ihrem Kopf platzte. Und plötzlich alles anders war. Seit sieben Jahren kämpft sie sich zurück in ihr altes Leben. Sie möchte wieder laufen, arbeiten.
Von einem Tag auf den anderen aus dem vollen Leben in die völlige Hilflosigkeit. In den Rollstuhl, immer auf andere angewiesen. Gaby Wigber war 48 Jahre alt, als ein Aneurysma in ihrem Kopf platzte.
„Ich kann froh sein, dass ich das überlebt habe“, sagt die Vredenerin. Es ist ein recht warmer Tag im April, sie sitzt draußen auf ihrer Terrasse, in Decke und Poncho eingewickelt im Rollstuhl, als sie von dem einschneidenden Ereignis in ihrem Leben erzählt. Es war im Juni 2012, sie war als Leiterin einer Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz auf einer Fortbildungsveranstaltung in Münster. Sie wollte gerade mit einer Kollegin in den Seminarraum eintreten, als alles schwarz wurde. Sie kann sich nicht an den Moment, nicht an den Tag und nicht an den Tag davor oder die Zeit nach ihrem Koma erinnern. „Das ist alles weg. Die Ärzte sagen, ein Schutzmechanismus.“ Bei der Fortbildung waren auch Neurologen zugegen, die den Ernst der Situation einschätzen konnten. Sie wurde sofort mit dem Rettungswagen zur Uniklinik gefahren und operiert. Alles ging schnell. Das rettete ihr das Leben.
Sechs Wochen im Koma gelegen
Im Uniklinikum lag Gaby Wigber nach der Operation sechs Wochen im Koma. Woran sie sich wieder erinnern kann, ist, dass sie liegend und unter Beatmung in die Maternus-Klinik nach Bad Oeynhausen gefahren wurde – zur Reha. „Ich hatte unsagbar starke Schmerzen in der linken Seite“, weiß die Vredenerin. Sie konnte zu dem Zeitpunkt nicht sprechen, nur Laute von sich geben. Sie konnte sich nicht bewegen. Aber sie konnte, sie wollte kämpfen. „Den Kampfgeist“, sagt Gaby Wigber und hebt den Kopf an, „den darf man nicht aufgeben.“

Gaby Wigber ist eine Kämpferin und ein optimistischer Mensch. Gern würde sie in einer WG mit anderen Menschen leben, die auch auf Hilfe angewiesen sind. © Markus Gehring
Die Vredenerin kann sieben Jahre nach der Hirnblutung wieder gut sprechen. Jedes Wort ist einwandfrei zu verstehen, nur ihre Gefühlslage kann die 55-Jährige nicht so richtig mitschwingen lassen. Aber der Satz sitzt. Man kann erahnen, was für ein aktiver Mensch Gaby Wigber vor dem Tag im Juni 2012 war. Positiv, anpackend. Ihre 27-jährige Tochter hat es ihr bestätigt: „Du bist ganz die Alte geblieben!“ Denn ihre Eigenschaften helfen Gaby Wigber, ihren Kampfgeist umzusetzen. Und langen Atem zu beweisen. „Die Fortschritte sind immer langsam. Nichts geht schnell“, sagt die 55-Jährige. Ihre Sprache hat sie relativ schnell wiedergewonnen, seither ist sie in Logopädie-Therapie.
Ihr Ziel ist es, wieder ein eigenständiges Leben zu führen. Wieder laufen zu können. An der Terrasse draußen und im Flur drinnen sind Handläufe angebracht. Damit sie ihrem Ziel – wortwörtlich – einen Schritt näher kommt. Dreimal in der Woche kommt Physiotherapeut Fredie Roelfsema zu ihr in die Wohnung und trainiert mit ihr. Mit einer Umsetzhilfe steht sie aus dem Rollstuhl auf und übt, an der Stange zu laufen. Sie kann jetzt einen Fuß bewegen, hat ihr Physiotherapeut festgestellt – „ein Riesenfortschritt“.
Aber auch dafür musste sie kämpfen. Dreimal die Woche Physiotherapie ist alles andere als die Regel. „Aber meine Schwester hat ein Video gedreht vom Laufen, und wir haben das meiner Ärztin gezeigt“, erzählt Gaby Wigber. Dr. Mechthild Windmeier war beeindruckt, fand, dass es sich lohnt und setzte sich für die verstärkte Physiotherapie ein. Die Krankenkasse finanziert die Therapie.
„Nicht nach Aktenlage entscheiden“
Aber die Umsetzhilfe wurde zunächst abgelehnt. Ein ehemaliger Kollege hilft ihr beim Umgang mit Krankenkassen und anderen Institutionen. Auch dafür erfordert es Kampfgeist. „Wir haben einen Widerspruch geschrieben und gefordert, dass der medizinische Dienst zu mir nach Hause kommt und nicht nach Aktenlage entscheidet“, erzählt die Vredenerin. Das Ergebnis: Die Hilfe wurde bewilligt. Die Handläufe allerdings musste sie selbst zahlen. „Es gibt wenig Zuschüsse“, stellt sie fest. Ihr Bruder montierte die Stangen an den Wänden. Gaby Wigber kann auf die Hilfe ihrer Familie aus Vreden und ihrer Freunde aus Alstätte zählen. „Das ist eine große Stütze“, sagt sie.
Seit zwei Jahren lebt sie in ihrer eigenen Wohnung, über eine Agentur bekommt sie eine 24-Stunden-Betreuungskraft aus Polen vermittelt. „Ich habe schon ein bisschen Polnisch gelernt“, erzählt sie aus ihrem Alltag. Sie bekommt Erwerbsminderungsrente und Pflegegeld, muss aber auch auf ihr Erspartes zurückgreifen, um so zu leben, wie sie es möchte. Mit der Möglichkeit, voranzukommen. Und deswegen sucht sie Gleichgesinnte: Sie hat sich erkundigt und erfahren, dass die Möglichkeit besteht, Wohngemeinschaften mit drei jungen Pflegebedürftigen (im Alter von 20 bis 60) zu gründen. Diese hätte viele Vorteile. Auch finanzielle, aber nicht nur. Das Zusammenleben könnte anspornen, helfen, die gesetzten Ziele zu erreichen.

Gaby Wigber in ihrer Wohnung. Der Fahrradtrainer ist keine Deko: 30 Kilometer radelt die Vredenerin jeden Tag. © Markus Gehring
Gaby Wigber weiß, wovon sie spricht. Nach der Reha ging es für sie wieder zur Uniklinik nach Münster, die Schädeldecke wurde reimplantiert. Von dort ging es für die 48-Jährige, die seinerzeit in Alstätte wohnte, zur Kurzzeitpflege nach Gronau, von dort ins Pflegeheim St. Georg nach Vreden. Zwei Jahre lebte sie dort in einer Demenz-WG. Ein schräger Zufall, wo sie doch selbst eine solche WG beruflich geleitet hatte. Doch Gaby Wigber nahm auch das nicht als Rückschlag: „Ich habe mir daraus etwas Positives genommen und den Pflegekräften Rückmeldung gegeben. Das haben die gut aufgenommen.“
Positive Lebenseinstellung weitergegeben
Gaby Wigber hat ihren Beruf mit einer positiven Lebenseinstellung sehr gern ausgeführt und ebenso gern ihr Wissen weitergegeben: „Ich habe viele Fortbildungen gegeben.“ Das würde sie gern auch in Zukunft machen. Wieder arbeiten, ihr Wissen weitergeben. Dafür arbeitet sich an sich. In den zwei Jahren in ihrer eigenen Wohnung sei sie richtig weitergekommen, blickt sie zurück. „Auch sprachlich muss ich mich ranhalten“, geht der Blick nach vorn. Laufen können und gesellschaftliche Teilhabe, das sind ihre Ziele, die sie jeden Tag verfolgt. Nicht nur die 30 Kilometer täglich auf dem Heimtrainer tragen dazu bei. „Ich habe immer gern auf Augenhöhe kommuniziert, jetzt muss man auf mich heruntersehen“, beschreibt sie, was sie stört. Was sie ändern will.
„Dann ist man mitten im Leben, fühlt sich nicht so abseits“
Aber auch aus dem Rollstuhl heraus setzt sie sich für ihre Lebenslage und die anderer ein. „Wenn was los ist, ziehe ich mit meiner Schwester um die Häuser“, sagt Gaby Wigber. Beim Kneipenevent „Fly in the Mai“ zum Beispiel ist sie dabei. Der Shuttlebus? Kein Problem für Rollstühle. „Na klar“, hat der Busfahrer gesagt, erzählt die 55-Jährige. „Dann ist man mitten im Leben, fühlt sich nicht so abseits“, beschreibt sie, wie es ist, auszugehen und zu feiern. Aber: „Manche Kneipen hatten keine behindertengerechten Toiletten“, erinnert sie sich. „Über so etwas ärgere ich mich und ich sage dann auch Bescheid“, erzählt Gaby Wigber. In einem Fall zumindest habe es geholfen - beim nächsten Kneipen-Event war die Stufe zur Toilette Geschichte....
- Wer Gaby Wigber wegen einer Wohngemeinschaft kontaktieren möchte: Tel (0151) 40 780 340