Aus der Millionenstadt ins gemütliche Vreden
Austauschschülerin aus São Paulo
Einen Gast aus einem anderen Land aufzunehmen bringt beiden Seiten viel. Familie Hünker aus Vreden macht damit Erfahrungen, die sie nicht missen will.

Fühlt sich in ihrer Gastfamilie in Vreden sehr wohl: Marcela Contreras aus Brasilien mit den beiden Zwillingen Lilly (links) und Clara Hünker. © Foto: Thorsten Ohm
Zwei Feste fallen immer am Silvestertag für sie zusammen. Marcela Contreras darf am 31. Dezember nicht nur den Jahreswechsel feiern, sondern auch ihren Geburtstag. Doch alles ist anders in diesem Jahr: Marcela Contreras erreicht ihre Volljährigkeit. Und die junge Frau aus Brasilien erlebt dieses Ereignis 9875 Kilometer von ihrem Heimatort São Paulo entfernt: in Vreden.
Eine stimmungsvolle Feier dürfte sie auch in Deutschland erleben: Die Schülerin hat für fast ein Jahr Aufnahme gefunden bei der Familie Hünker, die ihr seit September ein Zuhause auf Zeit gibt. Die 17-Jährige hat dort in den Zwillingen Lilly und Clara zwei Gastschwestern gefunden. Ina und Uwe Hünker kümmern sich als Gasteltern um die Brasilianerin, die sich in Vreden schon eingelebt hat.
Vreden als Kontrast zur Millionenstadt
Marcela Contreras hatte sich bewusst für einen Aufenthalt in Deutschland entschieden. „Viele wollen in ein englischsprachiges Land, wenn sie sich für einen Aufenthalt im Ausland entscheiden“, berichtet Marcela. Sie selbst sah das anders: Die Brasilianerin lernt schon seit vier Jahren Deutsch – privat, nicht in der Schule. Ein Jahr im Ausland stellt einen langen Zeitraum für einen jungen Menschen dar. „Das gibt mir genug Zeit, um Erfahrungen mit Land und Leuten zu sammeln“, sagt Marcela Contreras.
Die Integration in den Lebensalltag gehört dazu. Marcela Contreras besucht die Jahrgangsstufe Q1 des Gymnasiums Georgianum, eine Stufe unter der von Lilly und Clara Hünker. „Ich habe dort schon viele nette Leute kennengelernt“, berichtet sie. Sie erlebt Vreden als Kontrast zu ihrer Heimatstadt São Paulo: Die Bevölkerung dort zählt mehr als zwölf Millionen Menschen, da erscheint ihr Vreden nicht ohne Grund anders: „Schön und gemütlich ist es hier.“ Sie wird übrigens ihren ersten Tag in der westmünsterländischen Kleinstadt sicher nicht vergessen. Denn da zeigte sich Vreden von einer Seite, wie es sonst in dieser Form eher nicht zu erleben ist – laut, bunt und richtig voll mit Menschen: Marcela Contreras kam am Kirmessonntag in der Widukindstadt an.
„Die Schokolade ist gut und günstig“
Unterschiede eröffnen sich an vielen Stellen. Marcela Contreras hat schnell gelernt, welches Verkehrsmittel Schülern in Vreden Mobilität verleiht: „Ein Fahrrad ist hier ganz wichtig!“ Sie radelt inzwischen selbstständig durch den Ort, zum Beispiel zum Volleyball oder zum Schwimmen.
Gut findet die Brasilianerin, wie zuverlässig in Deutschland alles funktioniert – zum Beispiel die Post. Was ihr noch auffällt: Das Essen in Deutschland ist anders – „Zuhause gibt es bei uns oft Reis mit Bohnen“–, der Unterricht in der Schule und auch die Preise für manches Produkt: „Schokolade ist hier gut und günstig.“
Marcela Contreras kennt eigentlich keine Langeweile in ihrem neuen Leben in Deutschland. Es ist immer viel los, und manchmal beschert sogar das Wetter neue Eindrücke: „Als es geschneit hat und wir einen Weihnachtsmarkt besucht haben, das war so schön!“ Die weiße Pracht stellte für Marcela Contreras etwas nie Gesehenes dar. Sie hält per Computer die Verbindung mit ihrer Heimat. Das tröstet sie, wenn doch ein Anflug von Heimweh aufkommt.
Familie Hünker hatte schon viele Gäste
Die Familie Hünker freut sich über die Abwechslung. „Wir erleben das als bereichernd“, sagt Ina Hünker: „Es weitet den eigenen Blick, junge Menschen aus anderen Ländern kennenzulernen.“ Die Gelegenheit dazu gab es bei Hünkers in den vergangenen Jahren mehrfach: Sie hat bereits junge Gäste aus Frankreich, Finnland, Polen und Tschechien aufgenommen. „Das ist super interessant“, sagt Clara Hünker. Der Aufenthalt von Marcela Contreras ist der letzte, den die angehenden Abiturienten in ihrer Familie als Schülerinnen erleben. Es war ihnen deshalb wichtig, diese Gelegenheit noch einmal ganz bewusst zu nutzen.
Sie bestätigt damit, was der gemeinnützige Verein Experiment schreibt. Er hat den Aufenthalt von Marcela Contreras in Deutschland organisiert. „Für alle Beteiligten ist der kulturelle Austausch eine aufregende Zeit und ein unvergessliches Erlebnis“, so der Verein. Jeder könne Gastfamilie werden – „egal ob Alleinerziehende, Paare mit und ohne Kinder oder Patchwork-Familien“. Wichtig seien vor allem „Humor, Neugier und Toleranz sowie die Bereitschaft, den Gast als ,Familienmitglied auf Zeit aufzunehmen – mit allen Rechten und Pflichten.
Vorfreude auf Geburtstagsparty
Uwe und Ina Hünker möchten die Erfahrungen mit ihren jungen Gästen aus vielen Ländern jedenfalls nicht missen. Ina Hünker sieht darin auch eine Chance, über den eigenen Familienkreis hinaus etwas bewirken zu können: „Das ist auch ein Stück gelebte Völkerverständigung.“ Ihr Mann Uwe ergänzt: „Und es macht natürlich auch Spaß.“
Marcela Contreras fühlt sich gut aufgehoben. Ihr Aufenthalt dauert noch bis Juli, er endet mit dem Schluss des Schuljahres. Daran denkt sie in diesen Tagen aber nicht: Marcela Contreras freut sich erst einmal auf den Silvestertag – und damit eben auch auf ihre Geburtstagsparty. Die wird auch in ihrer deutschen Gastfamilie ganz bestimmt ebenso stimmungsvoll wie herzlich ausfallen – eines von vielen Erlebnissen, das die junge Brasilianerin nicht vergessen wird, wenn sie zurück in ihre Heimat fliegt.
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