
© Stephan Teine
Schlagloch an Schlagloch - warum Familie Kamps den Straßenausbau trotzdem verschieben will
Volksinitiative gegen Straßenbaugebühren
Die Blumen- und die Gartenstraße sind etwa 640 Meter lang und sollen dringend saniert werden. Die Anwohner wollen das verschieben. Wenn‘s klappt, müssen sie vielleicht keine Gebühren zahlen.
Andrea (31) und Sven (34) Kamps sitzen in ihrem Esszimmer an der Blumenstraße in Oeding. Seit sieben Jahren leben sie dort mit ihren zwei Töchtern in einem kleinen Einfamilienhaus. Und sind ziemlich zufrieden mit sich und der Welt. Dass die Straße vor ihrem Haus Schlaglöcher hat und der Bürgersteig einer Buckelpiste gleicht, ist ihnen eigentlich relativ egal. „Das war ja nie anders“, sagen sie und zucken mit den Schultern. Klar, die Kinder fahren lieber auf der Straße Fahrrad und ältere Leute machen um die schlimmsten Kanten auf den Bürgersteigen auch einen großen Bogen. Aber insgesamt haben sie und ihre Nachbarn sich in der Garten- und Blumenstraße mit dem Zustand arrangiert.

Die Straße soll seit Jahren saniert werden. Die Planung zieht sich hin. © Stephan Teine
Auch damit, dass seit Jahren die Sanierung der Straße – und damit ein ziemlicher Kostenberg – ansteht. Denn die Gemeinde plant sie schon lange. Wie hoch die Kosten genau werden, ist im Moment nicht einmal sicher. Nach dem Kommunalen Abgaben Gesetz (KAG) kann die Gemeinde einen Teil der Kosten auf alle Anwohner einer Straße umlegen. Für einen Hausbesitzer kommt da schnell eine fünfstellige Summe zusammen. Je nach Grundstücksgröße, Grundstückslänge zur Straße, Geschossigkeit und noch einer ganzen Reihe weiterer Faktoren. Doch gerade könnte sich etwas in der Gesetzgebung ändern.

Der Gehweg sieht auch nicht gut aus. Bisher wurde dort noch nichts saniert. © Stephan Teine
Der Bund der Steuerzahler hat eine Volksinitiative gestartet, um das Kommunale Abgabengesetz zu ändern: Straßenbaubeiträge sollen abgeschafft werden. Stattdessen soll das Land den Kommunen zweckgebundene Zuweisungen für die Instandhaltung und Erneuerung der Straßen zur Verfügung stellen. Grundstückseigentümer könnten so um zehntausende Euro entlastet werden. Ins selbe Horn stößt der Verband Wohneigentum: Nicht nur seien die Beiträge willkürlich, sie bedrohen auch Existenzen, weil sie keine Rücksicht auf die finanziellen Umstände der Hauseigentümer nehmen.
Das erzählt auch Andrea Kamps aus ihrer Nachbarschaft. „Ich weiß von Leuten, die ihre Lebensversicherung auflösen müssen, weil sie die Straßenausbaugebühren sonst nicht bezahlen können.“ Natürlich gebe es Leute, die schon Geld dafür an die Seite gelegt hätten. Sie selbst sieht sich durch die drohenden Gebühren nicht gefährdet. „Aber als junge Familie kann man sich natürlich 1000 Sachen vorstellen, in die man so einen Betrag lieber stecken möchte“, sagt sie.
67.000 Unterschriften für die Volksinitiative
Der Bund der Steuerzahler wirbt nach Kräften für seine Initiative. 67.000 Unterschriften sind in Nordrhein-Westfalen nötig, damit die Volksinitiative ein Erfolg wird. Zeit ist noch bis Oktober 2019. Dann müsste sich die Landesregierung mit dem Thema befassen. Landesweit schließen sich Nachbarschaften zusammen und trommeln gegen die Straßenausbaubeiträge.
Und genau an diesem Punkt wird es für die Oedinger ganz besonders spannend. Sie wollen die Sanierung ihrer Straße durch den Rat so lange verschieben lassen, bis klar ist, wie es mit der Gesetzgebung weitergeht. Denn keiner von ihnen möchte der Letzte sein, der Tausende Euro in die Sanierung der Straße vor der Haustür stecken muss, bevor das Gesetz geändert wird.

Eine erste Entwurfsplanung gibt es für die beiden kurzen Straßen schon. Was die Arbeiten genau kosten, ist aber noch nicht klar. © Nina Dittgen
Zurück in die Nachbarschaft nach Oeding: Als die Anwohner in der Garten- und der Blumenstraße von der Initiative des Bunds der Steuerzahler hören, werden sie hellhörig. Genau genommen wird Sarah Hannig hellhörig: Die 35-Jährige wohnt Zaun-an-Zaun mit den Kamps. Sie lebt dort seit vier Jahren mit ihrem Mann und drei Kindern. Das Haus haben sie von ihren Eltern übernommen. „Wir wussten, dass da wegen der Sanierung noch etwas auf uns zukommen kann“, sagt sie. Doch richtig konkret war die Sache für die junge Familie nicht.
Langes Planungsverfahren verzögert Sanierung
Das Verfahren ist eben schon lange in der Schwebe. Tatsächlich liegen die Pläne für die Sanierung der Garten- und der Blumenstraße schon seit 2009 in den Schubladen im Südlohner Rathaus. Doch die Umsetzung erwies sich als schwierig. Es gibt Stimmen, die sagen, dass auch die Kommunalwahl ein Grund für den Aufschub war. „Das wollte vor der Wahl keiner der Politiker anfassen“, heißt es dazu.
Jedenfalls wurde die Planung mehrfach verschoben. Es gab Anwohnerversammlungen – auch dort kamen aber keine endgültigen Zahlen auf den Tisch. Der Plan verschwand wieder in der Versenkung. Dann wurde es konkret: In diesem November sollten die Bauarbeiten ausgeschrieben werden. Als Sarah Hannig das hört und von den möglichen Änderungen im KAG erfährt, trommelt sie die Nachbarn zusammen.
Fast alle Anwohner wollen die Verschiebung
„Viele von denen hatten sich längst damit abgefunden, dass sie früher oder später zahlen müssen“, erzählt sie. Zusammen mit Andrea Kamps sammelte sie Unterschriften. 117 sind es geworden, aus 50 Familien. Fast alle Anwohner der beiden kleinen Straßen. Die Übrigen sind im Urlaub. Ihr Ziel: Die Sanierung der Straße soll noch einmal verschoben werden. „Wir hatten gar nicht damit gerechnet, dass wir auf so offene Ohren stoßen“, erzählt Andrea Kamps. Sie hatten sich eher auf Widerstand eingerichtet: „Schließlich wollen ja auch viele Nachbarn, dass endlich etwas getan wird.“ Aber keiner in der Straße möchte der letzte sein, der noch nach der möglicherweise alten Abgabenregelung tausende Euro zahlen muss.

30 Anwohner haben die Unterschriften überreicht und über erste Lösungen diskutiert. © Stephan Teine
Ortstermin im Rathaus in Oeding: Rund 30 Nachbarn übergeben dort Bürgermeister Christian Vedder ihren Antrag samt Unterschriftenlisten. Sie bitten den Rat, den Ausbau ihrer Straßen noch so lange zu verschieben, bis die Debatte über das Kommunale Abgabengesetz im Landtag abgeschlossen ist.

Bürgermeister Christian Vedder hat die Unterschriften entgegengenommen. Dem Aufschub der Sanierung steht er offen gegenüber. © Stephan Teine
Die Stimmung im Ratssaal ist gut, auch wenn die Anwohner vehement darauf pochen, dass sie aktuell nicht zahlen wollen. „Ich wohne dort seit 20 Jahren, die Straße war immer scheiße“, sagt einer von ihnen und nimmt ganz bewusst kein Blatt vor den Mund. Ein anderer – er ist schon Rentner – sagt, dass sein Grundstück gleich an drei Straßen liegt. „Wie soll ich das bezahlen?“, fragt er. Andere sind mit dem ganzen Verlauf unzufrieden: Zu intransparent und teilweise mit falschen Zahlen hätte die Verwaltung gearbeitet. Auch wurden zu wenig Gespräche geführt.
Verwaltung steht der Verschiebung offen gegenüber
Christian Vedder nickt, notiert sich die Kritik. Das soll in Zukunft alles besser werden. Auch zeigt er sich in der Versammlung mit den Anwohnern offen für den Vorschlag: „Die Verwaltung sieht keine Probleme, die Sanierung noch einmal aufzuschieben“, sagt er. Als Bürgermeister steht er dem Ganzen offen gegenüber. Er hat sogar schon Ideen, wie die Gemeinde den Straßenausbau anders finanzieren könnte – ohne zusätzliche Mittel vom Land.
Möglich wäre, dass der Straßenausbau über einen Anteil der Grundsteuer abgerechnet würde. Vedder sieht darin eine größere Gerechtigkeit für alle: „Wenn alle Einwohner eines Ortes alles tragen, ist das für den Einzelnen einfacher, als wenn einige wenige den Ausbau einer Straße tragen müssen“, sagt er der Oedinger Nachbarschaft. Er stellt sogar in Aussicht, dass sich durch genügend Druck eine Art positiver Flächenbrand entwickelt: „Dann kann sich in der Landesgesetzgebung tatsächlich etwas ändern“, sagt er. Schließlich gelte die KAG-Regelung nur noch in vier Bundesländern.
Noch keine konkreten Planungen
Mit konkreten Zahlen oder Finanzierungsmodellen hält er sich jedoch sowohl in der Versammlung als auch im Gespräch mit unserer Redaktion zurück. Zu viele Details und zu viele Variablen würden genauere Informationen schlicht unmöglich machen. Konkretere Planungen für den Ausbaustandard in den beiden kleinen Straßen – und damit den Kostenrahmen gebe es frühestens im Februar.
Einen Tag nach der Anwohnerversammlung spricht Bürgermeister Christian Vedder mit den Fraktionsspitzen der örtlichen Parteien. Informiert hatte er sie schon, als der Termin mit den Anwohner vereinbart wurde. Denn letzlich muss der Rat darüber entscheiden, ob der Ausbau der beiden Straßen noch einmal verschoben wird oder nicht. Was dieses Gespräch genau ergeben hat, sagt Christian Vedder auch auf Nachfrage nicht. Nur so viel: „Es gab Ratsleute, die noch nicht ganz mit dem Thema vertraut sind.“ Sie wollen sich aber umfassend darüber informieren. Und das Thema in den Rat tragen.
Beratung frühestens im Dezember
Der wird sich frühestens in der Dezember-Sitzung mit der Garten- und Blumenstraße befassen. Denn die Tagesordnung der kommenden Ratssitzung am 14. November ist bereits randvoll. Bis dahin müssen die Anwohner an Garten- und Blumenstraße also erstmal noch hoffen. Eine Ausschreibung wird es so lange nicht geben. Und damit auch kein unliebsames Weihnachtsgeschenk für die Anwohner der Blumen- und Gartenstraße: Wären die Arbeiten ausgeschrieben worden, wäre nämlich wohl genau um diese Zeit der Gebührenbescheid eingetrudelt.
Ursprünglich Münsteraner aber seit 2014 Wahl-Ahauser und hier zuhause. Ist gerne auch mal ungewöhnlich unterwegs und liebt den Blick hinter Kulissen oder normalerweise verschlossene Türen. Scheut keinen Konflikt, lässt sich aber mit guten Argumenten auch von einer anderen Meinung überzeugen.
