
© Stephan Teine
Hildegard Köppen geht mit einem Jahr Verspätung in den Ruhestand
Abschied von der Schule
Hildegard Köppen, Leiterin der von-Galen-Grundschule, geht mit 66 in den Ruhestand. Im Interview erklärt sie, warum sie Lehrerin bleiben will und was das Besondere an der Oedinger Schule ist.
Wann ist ihr letzter Tag in der Schule?
Mein Vertrag läuft noch bis zum 31. Juli. Der letzte Schultag ist natürlich der kommende Freitag vor den Sommerferien. Danach werde ich noch aufräumen müssen. Das hatte ich eigentlich in den vergangenen Monaten vor. Wegen des Coronavirus ist das dann auf der Strecke geblieben.
Sie waren dann 14 Jahre Schulleiterin in Oeding. War Ihnen immer schon klar, dass Sie Lehrerin werden wollten?
Im Gegenteil. Erst wollte ich pharmazeutisch-technische Assistentin werden. Die Arbeit in einer Apotheke hat mich fasziniert. Da habe ich dann aber gemerkt, dass mich die Menschen vor der Theke mehr interessierten, als die Arbeit dahinter. Ich bin dann Erzieherin geworden und habe danach Lehramt studiert. Meinen Abschluss habe ich erst mit 37 Jahren gemacht.
Was hat sich in diesen Jahren geändert?
Die Schule ist viel ganzheitlicher geworden. Nicht nur was die Zeiten angeht: Die Kinder sind ja durch den Offenen Ganztag viel länger in der Schule. Die Schule ist ein wichtiger Ort für Erziehung und Lernen geworden. Eltern geben auch mehr an die Schule ab. Es geht schon lange nicht mehr nur um den Schulstoff. Sozialkompetenz und ganzheitliches Lernen sind mindestens genauso wichtig. Die Kinder sollen verstehen, warum es wichtig ist, etwas zu lernen. Auch der Blick auf die Kinder ist viel umfassender geworden: Schulsozialarbeiter zum Beispiel gab es in meinen Anfangsjahren ja noch gar nicht. Und dann ist da natürlich die Verwaltung. Die ist in den Jahren tatsächlich immer mehr geworden.
Wie viel Frontalunterricht gibt es überhaupt noch?
Sehr wenig. In einzelnen Einheiten ist er angebracht. Aber nicht auf Dauer. Die Kinder in den Klassen sind so unterschiedlich. Würde man einfach nur Frontalunterricht machen, gäbe es immer welche, die über- oder unterfordert wären. Unterricht ist immer Austausch. Ein guter Lehrer schafft es, dass die Klasse miteinander spricht und sich hilft. Der Lehrer ist dann nur noch Moderator. Sein Redeanteil sollte sehr zurückhaltend sein.
Auch die Inhalte sollen sich so am Leben orientieren, dass die Kinder direkt merken, warum sie etwas lernen. Etwa die Rechtschreibung: Sie ist nur Mittel zum Zweck. Im Kern muss der Text stehen, den ein Kind schreiben will. Zum Beispiel lernen die Kinder, einen Brief zu schreiben. Den richten sie an einen echten Adressaten. Dabei lernen sie dann nicht nur, wie man einen Brief formuliert und welches Format er haben soll. Die Rechtschreibung kommt da von selbst dazu. Und im besten Fall bekommen die Kinder sogar eine Antwort.
Fragt man die Kinder, was sie an der Schule ändern wollen, sagen sie als erstes: Hausaufgaben abschaffen. Wie stehen Sie dazu?
Ich bin kein großer Freund von Hausaufgaben. Ich glaube, dass da zu Hause oft ein Kampf stattfindet. Und darüber verlieren viele Kinder dann den Spaß am Lernen. Auch der Effekt der Hausaufgaben ist ja von Kind zu Kind unterschiedlich, weil auch die Bedingungen zu Hause so unterschiedlich sind.
Gibt es Probleme an der Grundschule?
Natürlich. Die gibt es überall. Aber wenn ich mit Freunden aus dem Ruhrgebiet spreche, merke ich immer wieder, dass die Probleme hier doch sehr klein sind. Das ist hier so etwas wie Bullerbü. Träger, Eltern, Kinder, Lehrer: Die Zusammenarbeit funktioniert ausgezeichnet. Es macht einfach Spaß, hier zu arbeiten.
Was würden Sie verbessern, wenn Sie es könnten?
Ich würde gerne mehr Stunden anbieten. Mehr gezielte Förderung. Mehr AGs. Aber da kommt wieder das alte Problem zum Tragen: Es gibt einfach nicht genug Lehrer, um das alles umzusetzen.
Mehr Stunden – das Gerücht hält sich doch hartnäckig, dass ein Lehrer sowieso nur vormittags arbeitet...
Da kann ich nur lachen. Sie können ja gerne mal nachmittags in die Schule kommen. Da sitzen die Lehrer zusammen, entwickeln Unterricht weiter, bereiten vor und nach, setzen sich fachlich auseinander. Lehrer-sein ist Teamarbeit. Und wir haben hier an der von-Galen-Grundschule ein sehr kooperatives und gutes Team. Die Arbeit hat sich bewährt.
Gibt es denn andere Möglichkeiten, als Lehrer, um das umzusetzen?
Ja, das machen wir ja auch schon lange: Wir arbeiten mit vielen externen Partnern zusammen. Etwa der Musikschule, dem Schach- oder Imkerverein, die eigene AGs anbieten. Das funktioniert sehr gut. Auch weitere externe Projekte wie fair streiten oder die Kooperation mit der niederländischen Schule in Kotten funktionieren sehr gut.
Eigentlich hätten Sie ja schon vor einem Jahr in den Ruhestand gehen können...
Richtig. Aber es gab und gibt einfach keine Schulleiter. Und weil ich einfach Freude an der Arbeit habe und ja auch erst spät ins Lehramt gestartet bin, habe ich noch ein Jahr dran gehängt.
Und jetzt ist die Nachfolge geklärt?
Noch nicht zu 100 Prozent. Kommissarisch wird jetzt erst einmal Barbara Altena die Schule leiten.
Haben Sie darüber nachgedacht, noch ein Jahr dranzuhängen?
Ja, habe ich tatsächlich. Aber dann kam das Coronavirus und das hat mir geholfen, mich für den Ruhestand zu entscheiden. Die vergangenen Wochen waren einfach nicht mehr der Schulalltag, wie ich ihn liebe. Die Stille in den Gängen und in den Klassen hat mir überhaupt nicht gefallen. Diese Zeit hat mir gezeigt, dass es mir reicht. Ich wollte eigentlich einen langsamen Abschied. Aber durch die Coronakrise mussten wir so viel im Schulalltag neu denken und neu organisieren, dass dafür gar keine Zeit geblieben ist.
Aber das Coronavirus wird jetzt nicht alles überlagern, oder?
Nein, natürlich nicht. Auch in dieser Zeit habe ich mir den Humor ja nicht nehmen lassen. Wir müssen das Beste aus der Situation machen. Und definitiv werde ich mit einem weinenden Auge aus der Schule gehen.
Durch die Sanierung wird sich in den nächsten Jahren an der von-Galen-Grundschule viel verändern. Hätten Sie das gerne noch miterlebt?
Ich konnte ja bei der Planung noch mitarbeiten. Da wurden wir als Kollegium von der Gemeinde sehr gut eingebunden. Wir leben ja schließlich hier und konnten unsere Anforderungen und Wünsche einbringen. Tatsächlich ist das, was hier entstehen wird, Schule in Vollendung. Darüber freue ich mich für die Kollegen. Aber ganz ehrlich: Die Bauphase kann ich gut aussparen.
Was machen Sie nun mit der freien Zeit?
Ich habe einige Reisen vor, möchte Freunde und Bekannte besuchen. Dann habe ich ein Unterrichtsmodul mit dem Museum in Winterswijk vorbereitet. Da geht es um Landschaftsmalerei. Vielleicht möchte ich auch einmal Führungen für Grundschüler anbieten. Außerdem bin ich Qi-Gong-Lehrerin. Das möchte ich erweitern. Ich bin einfach gespannt, was auf mich zukommt.
So ganz können Sie sich also von der Lehrerin in Ihnen noch nicht verabschieden?
(lacht) Stimmt, das ist wohl so. Da habe ich noch gar nicht drüber nachgedacht. Mein Motto ist, dass ich jeden Tag neu entdecken möchte. Das will ich mir erhalten.
Eine Abschiedsfeier ist ja wegen des Coronavirus nicht möglich. Haben Sie eine Alternative geplant?
Ich weiß, dass meine Kollegen etwas geplant haben. Noch haben sie es mir aber nicht verraten.
Ursprünglich Münsteraner aber seit 2014 Wahl-Ahauser und hier zuhause. Ist gerne auch mal ungewöhnlich unterwegs und liebt den Blick hinter Kulissen oder normalerweise verschlossene Türen. Scheut keinen Konflikt, lässt sich aber mit guten Argumenten auch von einer anderen Meinung überzeugen.
