
© Henricusstift
Henricusstift bemüht sich um Normalität im Ausnahmezustand
Coronavirus
Hermann Damm spielt Seemannslieder im Henricusstift. So weit, so normal. Doch mit Normalität hat der Alltag im Südlohner Pflegeheim noch nicht viel zu tun. Auch wenn es ganz langsam bergauf geht.
„Kleine Möwe flieg nach Helgoland“, „La Paloma“, „Seemann, deine Heimat ist das Meer“, „Nimm mich mit Kapitän auf die Reise“, „Junge, komm bald wieder“ – der Südlohner Hermann Damm hat am Dienstagnachmittag mit seinem Hafenkonzert ein Stück Normalität ins Henricusstift gebracht.
Und auch wenn die Stimmung unter den Bewohnern gut war und sie sichtbar Spaß hatten, verlief das knapp einstündige Konzert ganz anders, als in den vergangenen Jahren: Hermann Damm mit seinem Keyboard im Innenhof des Altenpflegeheims, die Bewohner hoch oben auf ihren Balkonen. Denn von einem normalen Alltag kann im Henricusstift noch keine Rede sein.

Hermann Damm, ehemaliger Marinesoldat im Marinemusikkorps Wilhelmshaven, spielt regelmäßig im Henricusstift. Momentan muss auch er sich an die strengen Vorgaben halten und seine Instrumente im Innenhof aufbauen. © Henricusstift
„Wir sind noch meilenweit von dem Stand entfernt, den wir vor der Coronakrise hatten“, sagt Einrichtungsleiter Jochen Albers. Und doch: Die schlimmsten Einschränkungen in der Coronakrise sind vorbei. Die Bewohner dürfen die Einrichtung wieder verlassen. Auch Besuche sind wieder möglich. „Der Lockdown war ja schon ein extremer Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte“, sagt Jochen Albers. Gut, dass das vorbei sei.
Weiterhin strikte Regeln für Bewohner und Besucher
Dennoch gibt es noch klare Regeln: Jeder Bewohner darf nur zwei Besucher pro Tag empfangen. Zeitlich sind die Besuche auf höchstens sechs Stunden begrenzt. „Das ist aber eigentlich kein Problem“, erklärt Jochen Albers.
Einige Angehörige würden sich allerdings über die weiteren Vorsichtsmaßnahmen aufregen: „Wir messen bei jedem Besucher Fieber, wenn er das Henricusstift betritt“, macht er deutlich. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, die bisher auch noch ohne negatives Ergebnis geblieben ist. Dazu kommen natürlich Befragungen der Besucher: Haben sie Symptome? Hatten sie Kontakt zu Infizierten? „Das kennt man ja mittlerweile“, erklärt er.
Kontrollen nur durch zusätzliche Mitarbeiter möglich
Doch die Kontrollen sind nicht nur für Besucher lästig. „Auch ohne die Beschränkungen durch das Coronavirus herrscht bei unserem Personal ja keine Langeweile“, macht er mit bitterem Lachen deutlich. Die zusätzlichen Aufgaben könnten nur durch zusätzliches Personal abgedeckt werden. Das Henricusstift greift dafür auf geringfügig Beschäftigte, so genannte 450-Euro-Kräfte zurück. „Rentner oder Schüler aus dem Dorf“, sagt Jochen Albers.
Andere Pflegeheime würden dafür sogar Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes anstellen und an den Türen postieren. „So weit wollten wir hier nicht gehen“, erklärt er. Das System habe sich eingependelt, die meisten hätten sich daran gewöhnt. Insgesamt, so beobachtet der Einrichtungsleiter, würden inzwischen deutlich mehr Besucher in das Pflegeheim kommen, als vor der Coronakrise. „Man hat das Gefühl, dass sie etwas nachholen müssen“, sagt er.
Gemeinschaftsgefühl fehlt den Bewohnern
So viel zu den Besuchen. Und der Alltag im Henricusstift? Der beschränkt sich zu großen Teilen noch auf die einzelnen Wohnbereiche. „Wir haben 102 Bewohner in fünf Bereichen“, so Jochen Albers. Die bleiben momentan noch für sich. Eine Durchmischung oder gar Gemeinschaftsaktionen mit allen Bewohnern gibt es noch nicht. „Diese Gemeinschaft fehlt eindeutig“, gibt er zu.
Ohne die vielen Ehrenamtlichen, die im Henricusstift bei Besuchen oder Spaziergängen helfen, wäre die Situation gar nicht zu stemmen.
Dunkle Jahreszeit bringt neue Schwierigkeiten
Blickt er in die nahe Zukunft, schwant ihm Übles: „In der dunklen Jahreszeit werden die Spaziergänge wieder weniger“, erklärt er. Auch ein Besuch des Nikolaus‘ in der Vorweihnachtszeit stehe noch in den Sternen. „Und auch Weihnachten wird in diesem Jahr ganz anders werden, als gewohnt“, ergänzt er. Dennoch müsse der Schutz vor dem Virus an oberster Stelle. „Eine Schule oder einen Kindergarten kann ich im Ernstfall einfach schließen“, sagt er. Wie solle das bei einer Altenpflegeeinrichtung funktionieren?
Ursprünglich Münsteraner aber seit 2014 Wahl-Ahauser und hier zuhause. Ist gerne auch mal ungewöhnlich unterwegs und liebt den Blick hinter Kulissen oder normalerweise verschlossene Türen. Scheut keinen Konflikt, lässt sich aber mit guten Argumenten auch von einer anderen Meinung überzeugen.
