Ein 51-jähriger Südllohner, der sich selbst als „Wunderheiler“ bezeichnet, muss sich wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen vor Gericht veranworten.

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Familie der Opfer bedroht mögliche weitere Belastungszeugen

rnMissbrauchsprozess

Mögliche Belastungszeugen gegen den wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern angeklagten Südlohner hatten vor Gericht Erinnerungslücken. Kein Wunder: Sie wurden vor dem Prozesstag bedroht.

Südlohn

, 26.02.2021, 18:00 Uhr / Lesedauer: 2 min

Der Riss, der durch die Familie der Opfer eines mutmaßlichen Kinderschänders geht, muss riesig sein. Während ein Teil der Familie den mutmaßlichen Missbrauch von drei Kindern durch einen 51-jährigen Südlohner bei der Polizei zur Anzeige gebracht hat, bedroht ein anderer Teil der Familie offenbar Zeugen, die gegen den „Wunderheiler“ aussagen sollen. Eine Tante der 14- bis 17-jährigen weiblichen Opfer sich für ein Dauerbesuchsrecht bei dem Angeklagten sogar als „Verlobte“ ausgegeben. Der Angeklagte sitzt seit Juli 2020 in Untersuchungshaft.

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Den Prozesstag am Donnerstag vor der Großen Strafkammer des Landgerichts in Bocholt eröffnete der Vorsitzende Richter mit der Verlesung eines Schriftstücks. Darin gibt der Vater einer als Zeugen geladenen Familie an, dass sie von einem Teil der Familie der Opfer bedroht würden und mit Konsequenzen zu rechnen hätten, würden sie gegen den Angeklagten aussagen.

Zeugen vor Aussage bedroht

Geladen war ein Ehepaar mit seinen 13- und 17-jährigen Töchtern. Sie sollten zu möglichen Behandlungen durch den Angeklagten Auskunft geben.

Bevor die Zeugen in den Gerichtssaal gerufen wurden, richtete der Vorsitzende Richter eindringliche Worte in den fast voll besetzen Zuschauerraum des Gerichtssaals im Obergeschoss des Bocholter Amtsgerichts. Er drohte mit Ordnungshaft und der Eröffnung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens, sollten die Bedrohungen Bestand haben.

Die Vernehmung der vier Zeugen verlief dann einigermaßen ergebnislos, und – wie in dem Prozess nicht zum ersten Mal gehört: Es gab keine Erinnerung an bestimmte Ereignisse und Aussagen bei der Polizei, die angeblich so nicht gemacht wurden, wie sie von den Vernehmungsbeamten niedergeschrieben wurden.

Angeklagter sorgte für „Stress“ nach Behandlungsabbruch

Deutlich wurde aber, dass die Zeugen nach Abbruch der Behandlung auch „Stress“ mit dem Angeklagten hatten. Der habe die Mutter der Töchter mit dem Auto verfolgt oder am Telefon bedroht.

Einzig eine neue Erkenntnis gab es, was die Bezahlung des Wunderheilers anging. Hatten alle bisherigen Zeugen ausgesagt, dass sie dem 51-Jährigen Geld in ein Spendenglas gesteckt hatten, so sprachen die Zeugen von der Zahlung von 20, 30 oder 50 Euro, die sie dem Südlohner für seine Beratung „freiwillig“ gezahlt und an diesen direkt übergeben hatten.

STRAFGESETZBUCH (STGB) § 176 SEXUELLER MISSBRAUCH VON KINDER

(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

Der Richter machte am Donnerstag außerdem deutlich, dass für das fünfköpfige Gericht jetzt doch in einigen der über 50 Anklagepunkten wegen sexuellen Missbrauchs eine Verurteilung nach Paragraph 176 Abs. 1 des Strafgesetzbuches in Betracht kommt.

Richter erhöhen mögliches Strafmaß für „Wunderheiler“

Damit droht dem Angeklagten ein mögliches Strafmaß von bis zu zehn Jahren Haft. Beim Prozesstag zuvor war das Gericht noch davon ausgegangen, dass dieser Paragraph möglicherweise nicht greift und hatte auf eine Verurteilung nach §177 Abs. 6. Nr. 1 Strafgesetzbuch hingewiesen. In §177 geht es um Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, das heißt sexuelle Übergriffe, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung. Die können mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren geahndet werden.

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Den Hinweis auf eine möglicherweise härtere Bestrafung des Angeklagten begründete der Richter damit, dass es für das Gericht bisher schwer war, das genaue Alter der möglichen Opfer zum Tatzeitpunkt zu ermitteln. Die Aussagen verschiedener Vernehmungsbeamten der Kriminalpolizei hatten da am letzten Prozesstag möglicherweise mehr Aufschluss gegeben als die bisherigen mündlichen Zeugenaussagen.

Der Missbrauchsprozess des Landgerichts gegen den 51-jährigen Südlohner wird am Freitag, 12. März, um 14 Uhr in Saal 112 des Bocholter Amtsgerichts fortgesetzt.
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