Warum ist das Windrad in Gescher-Estern plötzlich eingestürzt? Ein Gutachter muss in diesen Tagen die Unglücksstelle untersuchen. Luftaufnahmen deuten auf ein Problem mit der Verschraubung der Turmelemente hin: Der Flanschring, die Verbindungsstelle zwischen zwei Turmteilen, ist an einer Seite deutlich angerostet. Dort sind Bolzen stehen geblieben. Das Windrad ist genau auf die andere Seite gekippt. Dort ist ein Großteil der Bolzen verbogen oder ganz abgebrochen.
Hubert Upgang, Geschäftsführer der aktuellen Betreibergesellschaft Pröbsting Windkraft, hatte das Windrad erst vor Kurzem übernommen. Eine genaue Untersuchung der Statik hatte da noch ergeben, dass das Windrad noch mindestens zehn Jahre weiterlaufen könne.
Der Geschäftsführer hatte schon am Tag nach dem Unglück vermutet, dass die Verbindungsbolzen nachgegeben haben. Möglicherweise durch eine starke Windböe in einem Gewitter in der Nacht auf Dienstag (4.7.) seien die Gewinde abgeschert. Die Bolzen hätten den Turm dann nicht mehr halten können.
Drei gleiche Anlagen stürzen ein
Recherchen unserer Redaktion ergeben, dass es nicht die erste Anlage dieses Typs ist, die plötzlich einstürzt. Mindestens drei fast identische Fälle sind bekannt: 2011 bricht eine Anlage in Kitorf im Vogelsberg (Hessen) ein. 2014 stürzt eine baugleiche Anlage in Koßdorf (Landkreis Elbe-Elster, Brandenburg) ein, 2019 bricht eine Anlage im Windpark Dubener Platte (Landkreis Dahme-Spreewald, Brandenburg) zusammen.
Alle drei gingen genau wie die Anlage in Estern 1999 in Betrieb. Alle drei waren Modelle des nicht mehr existierenden Herstellers Dewind. Alle drei hatten eine Nabenhöhe von 70 Metern, einen Rotordurchmesser von 48 Metern, eine Leistung von 600 Kilowatt und standen auf einem Stahlturm, der wiederum aus mehreren Segmenten bestand.

Und bei allen vier Unglücken gleichen sich die Bilder nach dem Zusammensturz wie ein Ei dem anderen: Ein 20 bis 30 Meter hoher Stumpf des Windrad-Mastes steht noch. Der Rest des Mastes ist an dem Verbindungsstück abgerissen und liegt neben der Anlage auf dem Boden. Die Bohrungen des Flanschrings, durch den die Bolzen geführt wurden, sind unbeschädigt. An allen Anlagen ist an diesem Verbindungsring Rost zu sehen.
Die Pressestelle des Landkreises Elbe-Elster hat auf Nachfrage keine Informationen zu dem Unglück aus dem Jahr 2014. Eine grundsätzliche Überholung der Anlagen wurde allerdings in keinem der Fälle angeordnet. Lediglich kurzfristig wurden ähnliche Anlagen in der Nähe vom Netz genommen. Sie gingen später aber wieder regulär in Betrieb.
Ein Erklärungsansatz
Was vor Jahren an den drei anderen Standorten letztlich die Unglücke ausgelöst hat, wurde nicht öffentlich. Möglich ist, dass beispielsweise die Steuerung der Anlagen versagt hat, und sie trotz starker Winde nicht abschaltet hat.
Allerdings gibt es noch einen anderen Erklärungsansatz: Die Elemente der Türme passten nicht genau oder haben sich mit der Zeit verzogen. Bei der Größe der Windkraftanlagen und den auftretenden Kräften haben schon minimale Abweichungen enorme Auswirkungen.
Das geringfügige Spiel in der Verschraubung der Turmelemente kann sich über die Zeit immer weiter vergrößert haben. Durch den Winddruck und die enorme Hebelkraft beginnt der Turm dann ganz leicht zu schwanken. Dadurch werden die Gewinde der Bolzen beschädigt, die Lücke wird größer, Regenwasser kann eindringen und Rost entsteht. Dadurch wird das Material weiter geschwächt, der ganze Prozess beschleunigt sich weiter, bis die Bolzen und Muttern irgendwann der Belastung nicht mehr standhalten.
Das wiederum deckt sich mit Aussagen mehrerer Passanten, die unsere Redaktion an der Unglücksstelle trifft. Demnach habe das zusammengestürzte Windrad seit einiger Zeit merkwürdige Geräusche gemacht. Lautes Knarzen und Knacken sei zu hören gewesen, sobald sich der Rotor drehte.
Beim Kreis Borken gibt es am Donnerstag keinen neuen Stand. „Wir warten auch auf die Ergebnisse des Gutachtens“, erklärt Kreispressesprecher Karlheinz Gördes. Er hatte erklärt, dass es baugleiche Anlagen im Kreis Borken nicht mehr gebe.
Anlage habe nie Probleme gemacht
Der Ahauser Reinhard Benneker ist der ehemalige Geschäftsführer der Windkraft Hamaland, in deren Auftrag das Windrad in Estern 1997 beantragt und 1999 in Betrieb genommen wurde. Von Schäden an baugleichen Anlagen wisse er nichts, sagt er am Donnerstag im Gespräch mit unserer Redaktion. „Die Anlage ist 20 Jahre gut gelaufen“, sagt er. Sie habe nie Probleme gemacht.
In der Nacht auf Dienstag (4.7.) war das Windrad in Gescher-Estern plötzlich umgekippt und auf einem nahen Wirtschaftsweg sowie dem angrenzenden Maisacker liegen geblieben. Verletzt wurde niemand. Wann die Anlage dort weggeräumt wird, hängt auch davon ab, wann ein Gutachter sich ein genaues Bild von der Unglücksstelle machen kann. Das soll in Kürze passieren.
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