Christin Lesker aus Stadtlohn ist fürs Studium nach Schweden gezogen. Dort hat sie die Lockerheit im Umgang mit dem Coronavirus erlebt.

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Christin Lesker (21) in Schweden: „Meine Freiheit bedeutet für andere Unsicherheit“

rnCoronavirus: Ein Erfahrungsbericht

Zum Studieren ist die Stadtlohnerin Christin Lesker nach Schweden gezogen. Sie mag die schwedische Lockerheit im Umgang mit Corona, aber sie kennt auch Probleme, die dieser Weg mit sich bringt.

Stadtlohn

, 30.12.2021, 17:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Elf Monate ist es her, dass ich wegen meines Studiums nach Malmö in Schweden gezogen bin. 15 neue Masken habe ich damals eingepackt, 14 davon habe ich vor einigen Tagen unbenutzt wieder mit nach Hause gebracht.

Am Leben mit der Pandemie in Schweden hat sich in der Zeit nicht viel verändert. Cafés und Restaurants sind geöffnet, es gibt keine Ausgangssperre, kein Abstandhalten, keine Schließungen.

Dass Schweden zum Sehnsuchtsziel vieler Deutscher wurde, kann ich also gut verstehen. Aber die Realität hat auch eine andere Seite.

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An die Coolness im Umgang mit Corona in Schweden habe ich mich schnell gewöhnt, habe das „normale Leben“ genossen, während die Maßnahmen daheim meist verschärft wurden. Bei Telefonaten in die Heimat habe ich oft gedacht: „Während der Pandemie nach Schweden zu ziehen, war genau die richtige Entscheidung!“

Und das war es auch. Für mich ebenso wie für meine Freunde und viele junge Leute, die weder selbst zur Risikogruppe gehören, noch in Kontakt mit älteren oder kranken Menschen stehen. Aber wir sind eben nicht alle.

„Manche Menschen fühlen sich allein gelassen“

Ich habe Menschen getroffen, die sich vom schwedischen Staat schlicht allein gelassen gefühlt haben. Auf einer Fahrradreise im Sommer habe ich ein älteres Ehepaar kennengelernt, das sich wegen fehlender Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen die meiste Zeit selbst isoliert hat. Anders als bei uns gab es aber keine Initiativen, die das Einkaufen übernommen oder Schnelltests vorbeigebracht haben.

Über Video-Anrufe hat Christin Lesker Kontakt in die Heimat gehalten.

Über Video-Anrufe hat Christin Lesker Kontakt in die Heimat gehalten. © Privat

Dass der schwedische Staat hauptsächlich auf die Eigenverantwortung setzt, bedeutet zwar Freiheit für die einen, aber ein Gefühl von Angst und Unsicherheit für andere, denn es fehlt konkrete Anleitung und jeder ist für seinen Schutz selbst verantwortlich.

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Die kleinen Teststationen, wie man sie in jedem noch so kleinen Dorf in Deutschland findet, gibt es in Schweden nicht. Unter 40 Euro ist kein Schnelltest zu bekommen, von PCR ganz zu schweigen.

Das Ergebnis: es wird nicht getestet, außer man hatte Kontakt zu einer infizierten Person oder zeigt Covid-Symptome. Ein Test zur Sicherheit vorm Treffen mit Freunden und Familie ist in Schweden also nicht möglich.

Studium findet in Malmö nach wie vor online statt

Und was mich persönlich betrifft: Natürlich bin ich glücklich, abends mit Freunden in einer Bar sitzen zu können, aber mein Studium, der eigentliche Grund für meinen Umzug nach Malmö, findet bis heute online statt.

So manches Mal stand ich im Club mit 200 Leuten auf der Tanzfläche und habe mich gefragt, warum das Risiko für eine Corona-Infektion dort geringer sein soll, als mit 20 Studenten im Hörsaal.

Vor allem junge Menschen haben die Freiheiten in Schweden genossen. Kontaktbeschränkungen, Lockdowns oder Ausgangssperren gibt es hier nicht.

Vor allem junge Menschen haben die Freiheiten in Schweden genossen. Kontaktbeschränkungen, Lockdowns oder Ausgangssperren gibt es dort nicht. © Privat

Wenige Wochen nach meiner Corona-Impfung im Sommer wurde dann klar, dass es für mich als in Schweden geimpfte Nicht-Schwedin keine Möglichkeit gibt, ein Impfzertifikat zu bekommen. Kaum wurde Anfang Dezember in Schweden die 2G-Regel für Veranstaltungen mit über 100 Teilnehmern eingeführt, wurde ich beim Eintritt zum Konzert also nach Hause geschickt. Hätte mein Hausarzt in Deutschland nicht so viel Einsatz gezeigt, hätte ich bis heute kein Zertifikat.

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Klar, was ich aus meiner Zeit in Schweden erzählen kann, beschränkt sich auf meine kleine Welt. Trotzdem habe ich zwei Dinge daraus gelernt. Erstens: Die Freiheiten, die ich in Schweden so schätze, können für andere das Gegenteil bedeuten – Stress und Unsicherheit. Und im schlimmsten Fall gehen diese Freiheiten auch auf die Kosten derer, die sich selbstständig nicht vor dem Virus schützen können.

Vergleich zwischen Schweden und Deutschland schwierig

Und zweitens: Schweden und Deutschland lassen sich nicht vergleichen. Ich kann verstehen, dass sich viele beim Blick nach Schweden auch in Deutschland mehr Lockerungen wünschen.

Das geht mir nicht anders, wenn ich, wie jetzt, zu Besuch in der Heimat bin. Aber während in Schweden gut 10 Millionen Einwohner auf knapp 450.000 Quadratkilometern wohnen, tummeln sich in Deutschland 83 Millionen Menschen auf 360.000 Quadratkilometern.

Auf Café- und Restaurant-Besuche musste Christin Lesker in Schweden zu keiner Zeit verzichten.

Auf Café- und Restaurant-Besuche musste Christin Lesker in Schweden zu keiner Zeit verzichten. © Privat

Selbst in Großstädten wie Stockholm gibt es überwiegend Single-Haushalte, was Abstand und Isolation deutlich einfacher macht. Und weil die Zahlen anders erfasst und unterschiedlich viel getestet wird, ist auch ein direkter Vergleich der Statistiken aus Deutschland und Schweden sehr schwierig.

„Der größte Unterschied ist die Emotionalität“

Trotzdem habe ich vom Umgang der Schweden mit dem Virus etwas Entscheidendes mitgenommen. Seit ich über die Feiertage zurück in Deutschland bin, fällt mir auf: Entgegen meiner Erwartung ist nicht etwa die Maskenpflicht der größte Unterschied.

Was das Leben in meinen Augen wirklich anders macht, ist die Angst und die Emotionalität, mit der in Deutschland oft über Corona, übers Impfen und die Maßnahmen diskutiert wird, und die Härte, mit der verschiedene Fronten dabei aufeinander knallen.

Während das Wort „Corona“ in meinem Umfeld in Schweden kaum fiel, ist es hier Teil jedes Gespräches. Das kann ich verstehen, auch mir machen die Nachrichten oft Sorgen. Aber ich glaube, es ist wichtig, sich hin und wieder daran zu erinnern, dass es auch andere Dinge gibt.

Einen kühlen Kopf zu bewahren und nicht nur im Geimpften oder Ungeimpften die Schuld für die aktuelle Situation zu suchen. Sich über das Beisammensein mit Freunden und Familie zu freuen und die unterschiedlichen Meinungen zum Virus und den Maßnahmen dabei nicht alles überschatten zu lassen.