Christin Lesker genießt es, in Schweden unbeschwert im Café sitzen zu können.

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Auswandern in Zeiten von Corona: Meine ersten Wochen in Schweden

rnAuswandern nach Schweden

Seit zwei Wochen lebt die Stadtlohnerin Christin Lesker nun in Malmö in Schweden. Für das Studium ist sie ausgewandert. Der Umgang mit Corona in ihrer Umgebung hat sich damit um 180 Grad gedreht.

Stadtlohn

, 16.02.2021, 04:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Keine Masken, kein Social Distancing, kein Lockdown. Dafür Umarmungen, offene Bars und eine große Portion Normalität, wie wir sie vor Corona kannten. Vor gut zwei Wochen bin ich wegen meines Studiums nach Malmö in Schweden gezogen. Mit Skepsis gegenüber dem ‚Schwedischen Sonderweg‘ kam ich an und nun ist es fast so, als hätte dieser Weg das Coronavirus auch aus meinem Leben nahezu vollständig ausradiert.

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Im Supermarkt an der Kasse trägt selten mehr als ein Kunde eine Mund-Nasen-Bedeckung. Manchmal werde ich, ganz ohne Scheu, mit einer herzlichen Umarmung begrüßt und die ersten Besuche in Cafés und Kneipen liegen auch schon hinter mir. Es ist seltsam: Die vergangenen Monate in Deutschland gab es kaum ein anderes Thema als Corona und jetzt, nach zwei Wochen in Schweden, gibt es Tage, an denen ich kaum noch daran denke.

Kleines Glück im Café

Wahrscheinlich werde ich noch lange über diesen Augenblick schmunzeln müssen: Gleichermaßen klappte meinem Bruder und mir die Kinnlade herunter, als wir uns einen Tag nach der Ankunft in Malmö das erste Mal in ein Café gesetzt haben. Wir konnten unser Glück kaum fassen: Nach Monaten des Lockdowns das erste Mal in einem öffentlichen Café.

Keinen der vielen Menschen um uns herum schien das gleiche Glücksgefühl zu ereilen. Alle saßen dort und aßen ihren Kuchen, als wäre es das Normalste auf dieser Welt. Nur wir konnten nicht aufhören uns auszutauschen, mussten verdauen, was die vergangenen Monate passiert ist, und erkennen, was uns gefehlt hat. Wie sehr wir Kleinigkeiten wie ein gemeinsames Kaffeetrinken, vermisst haben.

Corona wie ausradiert

Eine Woche später saß ich das erste Mal mit meinen Studienkollegen in einer Bar. Wieder durchfuhr mich ein kleines Glücksgefühl, als der Kellner das Glas Bier vor mir abgestellte und wir anfingen, über Gott und die Welt zu quatschen. Dass wir statt mit vier, so wie es offiziell erlaubt ist, mit sechs Leuten an einem Tisch saßen, schien den Barbesitzer nicht groß zu stören. Auch wenn er sich später daran hielt, uns ab acht Uhr keinen Alkohol mehr auszuschenken.

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Kaum war es acht Uhr, ging es für mich und meine Freunde also weiter in die WG einer Freundin. Schnell wurden aus sechs Leuten zehn, es gab Wein, wir haben gespielt und gelacht. Das Wort ‚Corona‘ ist dabei nicht ein Mal gefallen. Das mag auch daran liegen, dass die meisten der Leute, die ich hier kennenlerne, schon infiziert waren und mit Mitte 20 nicht zur Risikogruppe gehören.

Neue Erkenntnisse im Umgang mit dem Virus

Es hat sich also vieles verändert, seit ich nach Schweden gezogen bin. In diesen ersten zwei Wochen habe ich dazu gelernt und meine Meinung zu manchen Dingen hat sich geändert. Erstens: Ich bin überrascht. In erster Linie von mir selbst. Als ich noch in Deutschland war, dachte ich, ich würde in Schweden weiterhin eine Maske tragen, Abstand halten und Kontakte einschränken. Die Wahrheit ist, ich tue es nicht.

Wenn niemand um einen herum nach deutschen Corona-Regeln lebt, vergisst man selbst schnell, was man sich monatelang antrainiert hat. Alles, worauf meine Freunde hier in Malmö akribisch achten, ist, Alte und Kranke zu meiden. Und weil ich von meinen Liebsten fast 800 Kilometer entfernt bin, fällt mir das ebenso leicht.

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Zwar kenne ich auch jene, meist internationale Studenten, die den strengen Regeln ihres Heimatlandes trotz schwedischer Coolness treu bleiben. Aber in meinem Umfeld sind das Einzelfälle. Das zeigt mir: Wenn man, so wie die schwedische Regierung, hauptsächlich auf Eigenverantwortung setzt, werden viele den Rahmen ihrer Möglichkeiten ausschöpfen und sich nicht selbst strengere Regeln auferlegen.

Keine einfache Lösung

Zweitens: Ich habe verstanden, dass der Kampf gegen Corona weit komplexer ist als ich dachte. Maskenpflicht oder nicht, Bußgeld oder Eigenverantwortung, Lockdown oder Freigang. Während Deutschland möglichst viel Sicherheit möchte, hat Schweden aufs Durchseuchen gesetzt und damit hat die Regierung viele Bürger auf ihrer Seite.

Manchmal wünschte ich, es gäbe eine einfache, universelle Lösung für diese komplizierte Zeit, aber die gibt es wohl nicht. Bei der Wahl für den Weg durch die Pandemie spielen so viele Faktoren eine Rolle: Bevölkerungsdichte, Altersverteilung oder gesundheitliche Kapazitäten. Es ist also schwierig, direkte Vergleiche zwischen Deutschland und Schweden zu ziehen und von einem Weg auf den anderen zu schließen.

Die kleinen Dinge sind wichtiger als es scheint

Drittens, und das ist mir am Wichtigsten: Natürlich kann man ein paar Monate Lockdown überstehen. Ich weiß, es gibt existenziellere Probleme als Café- und Bar-Besuche, denn es gibt Menschen, die das Virus weit schlimmer trifft. Und trotzdem finde ich, es ist in Ordnung sich manchmal über die Situation zu ärgern, sich Normalität und die banalen Dinge des Alltags zurück zu wünschen.

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Denn, das haben mir die Erfahrungen der vergangen Wochen gezeigt: Diese Banalitäten sind nicht so banal, wie ich dachte. Ein einfacher Café-Besuch kann ein Stück der Lebensfreude zurück bringen, die der Lockdown womöglich Stück für Stück genommen hat. Eine Umarmung zeigt, dass es mehr als Homeoffice und Isolation gibt. Und das persönliche Gespräch mit einer Freundin erinnert daran, dass es der Kontakt zu anderen ist, der im Moment manchmal am meisten fehlt.