Trauriger Moment: Tina Ellers packt Umzugskartons in der Zentralen Notaufnahme.

Trauriger Moment: Tina Ellers packt Umzugskartons in der Zentralen Notaufnahme. Am Samstag (22. Oktober) endet nach 157 Jahren die Geschichte des Krankenhauses Maria-Hilf in Stadtlohn. © Stefan Grothues

Samstag gehen im Stadtlohner Krankenhaus die Lichter aus – für immer

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Das Krankenhaus Maria-Hilf trägt Trauer. Die 157-jährige Geschichte des Hauses geht zu Ende. Freitagabend meldet sich die Notaufnahme ab. Die letzten 30 Patienten werden am Samstag verlegt.

Stadtlohn

, 21.10.2022, 16:15 Uhr / Lesedauer: 3 min

„Wir sagen Tschüss Stadtlohn“, das steht in großen Lettern auf dem weißen Bettlaken. Es ist mit roten Luftballonherzen geschmückt und hängt am Freitag (21.10.2022) aus einem Fenster im dritten Obergeschoss des Krankenhauses Maria-Hilf an der Vredener Straße.

Das ist die freundliche Variante des Abschieds. Nach 157 Jahren gehen im Stadtlohner Krankenhaus die Lichter aus. Für immer. Am Samstag (22. Oktober) werden die letzten 30 verbliebenen Patienten verlegt, die meisten nach Ahaus, einige auch nach Vreden.

Tschüss Stadtlohn: Dieses Transparent hing am Freitag im dritten Obergeschoss an der Krankenhausfassade.

Tschüss Stadtlohn: Dieses Transparent hing am Freitag im dritten Obergeschoss an der Krankenhausfassade. © Stefan Grothues

An einem Erdgeschossfenster ist ein anderes Laken zu sehen: „Adieu! Die Lage ist zum Kotzen“. Statt roter Herzchen zeigt es ein Pictogramm-Männchen, das sich übergibt. Das ist die bittere Variante des Abschieds.

Tina Ellers kennt die Gefühlslagen ihrer Kolleginnen und Kollegen. Sie sagt, dass die Verbitterung nicht das vorherrschende Gefühl in der Belegschaft sei. „Ängste gibt es bei vielen vor dem Umzug nach Ahaus. Aber auch Optimismus. Jetzt, wo es Ernst wird, ist aber bei allen Trauer das vorherrschende Gefühl.“

In die Trauer der Mitarbeiter mischte sich am Freitag bei einigen Beschäftigten auch Bitterkeit, wie dieses Transparent zeigt.

In die Trauer der Mitarbeiter mischte sich am Freitag bei einigen Beschäftigten auch Bitterkeit, wie dieses Transparent zeigt. © Stefan Grothues

Die 46-Jährige leitet die Zentrale Notaufnahme im Stadtlohner Krankenhaus. Noch. An diesem Freitag um 21 Uhr meldet sich die Notaufnahme bei der Kreisleitstelle ab. Endgültig.

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Tina Ellers arbeitet seit 26 Jahren im Krankenhaus Maria-Hilf. Sie lacht, wenn sie nach ihrem ersten Arbeitstag gefragt wird. „Ach, das war ein schöner Tag auf der Station 4, Chirurgie. Das war meine erste Stelle als ganz junge Krankenschwester.“ Damals wohnte sie noch in Heiden. „Ich habe mir da noch nicht vorstellen können, dass ich so lange bleiben würde“, sagt sie. Jetzt ist sie längst Stadtlohnerin.

„Das Miteinander hier im Krankenhaus hat mir so gut gefallen, dass ich geblieben bin. Die kurzen Wege, der Teamgeist – ja, hier herrscht eine wirklich familiäre Atmosphäre.“ Die stellvertretende Pflegedirektorin Heike Kolodzy bestätigt das. „Es gab hier immer eine große Verbundenheit und wenig Fluktuation.“

Verlassene Orte: In einigen Patientenzimmern stehen noch die Betten, viele sind bereits leer geräumt.

Verlassene Orte: In einigen Patientenzimmern stehen noch die Betten, viele sind bereits leer geräumt. © Stefan Grothues

Nun schmerzt es Tina Ellers wie auch ihre Kolleginnen und Kollegen umso mehr, über die weitgehend schon verlassenen Gänge zu gehen. „Bis jetzt haben wir professionell den Umzug vorbereitet. Aber jetzt kommt die Trauer.“

Viele Patientenzimmer sind schon leer, in anderen sind die Betten mit Plastikfolie abgedeckt. In der Notaufnahme stapeln sich in einem Nebenraum die Umzugskartons. „Für die älteren Kollegen ist der Abschied noch schwerer als für die jüngeren“, sagt Tina Ellers.

„Expertise in Ahaus noch konzentrierter“

„Ich kann den Schmerz gut verstehen“, sagt Holger Winter. Er ist als Geschäftsführer des Klinikums Westmünsterland für die Standorte Ahaus, Stadtlohn und Vreden zuständig. Ziemlich genau vor einem Jahr hatte das Klinikum die Schließung der Standorte in Stadtlohn und Vreden bekanntgegeben.

Eine Alternative zur Zusammenlegung in Ahaus habe es nicht gegeben, so Holger Winter. „Die Politik hat diesen Weg gewollt. Wenn wir den Schritt nicht getan hätten, hätte den kleineren Häusern die Insolvenz gedroht.“

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Der Schritt ist auch für Dr. Alessandro Cuneo emotional nicht leicht. Seit 2016 leitet der Herzspezialist die Interventionelle Kardiologie im Krankenhaus Maria-Hilf. „Ich werde die menschliche Nähe und das gute Miteinander in Stadtlohn vermissen“, sagt er.

Er fügt hinzu: „Aber hoffentlich nicht lange. Ich hoffe ja, dass es in Ahaus auch so sein wird.“ In jedem Fall erwartet der 53 Jahre alte Chefarzt eine logistische Verbesserung. „In Ahaus sind wir nur ein paar Schritte von der Zentralen Notaufnahme entfernt. Da ist die Expertise enger konzentriert, das hat therapeutische Vorteile.“

Chefarzt Dr. Alessandro Cuneo, die stellvertretende Pflegedirektorin Heike Kolodzy und Geschäftsführer Holger Winter (von links)

Chefarzt Dr. Alessandro Cuneo, die stellvertretende Pflegedirektorin Heike Kolodzy und Geschäftsführer Holger Winter (von links) lobten am Freitag die Professionalität, mit der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Krankenhausumzug trotz emotionaler Belastungen mitgetragen haben. © Stefan Grothues

Für Alessandro Cuneo und die ganze Krankenhausbelegschaft ist der Umzug der rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der rund 25 Ärztinnen und Ärzte eine riesige logistische Herausforderung, die zum großen Teil bereits abgearbeitet ist. Die chirurgische Abteilung ist im Juni umgezogen.

Die Wirbelsäulenchirurgie hat vor wenigen Tagen in Borken ihren Betrieb aufgenommen. An diesem Samstag folgt das Finale mit dem Umzug der Klinik für Kardiologie und der Klinik für Diabetologie, die schon am Montag ihren Betrieb in Ahaus aufnehmen werden.

„Dann ist es egal, in welchem Bett ich liege“

Medizintechnik, Betten, Mobiliar – alles geht mit auf die Reise, sagt Geschäftsführer Holger Winter. Die technische Herausforderung sei eine große Aufgabe, aber kein Problem.

„Da haben wir genug Erfahrung“, so der Geschäftsführer. Die menschlichen Belange hätten aber auch im Zentrum der Vorbereitung gestanden. Alle Mitarbeiter hätten den Standort, zu dem sie wechseln wollten, selbst wählen können.

Es habe keine einzige betriebsbedingte Kündigung gegeben. Und soweit es möglich sei, wechselten die Teams geschlossen an ihren neuen Standort. Es habe darum auch nur ganz vereinzelt Kündigungen vonseiten der Mitarbeiter gegeben.

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Und was ist mit den verbliebenen 30 Patienten, die am Samstag in Krankentransport- oder Rettungswagen verlegt werden? Sind sie besorgt? „Nein“, sagt Tina Ellers, „die meisten Patienten sind beruhigt, wenn wir ihnen sagen, dass wir ja alle mit umziehen. Sie sagen dann: ,Wenn Sie auch da sind, dann ist ja alles gut. Dann ist es egal, in welchem Bett ich liege.‘“

Game over: Mit schwarzen Luftballons haben Pflegekräfte ihrer Trauer über die Schließung des Krankenhauses Ausdruck verliehen.

Game over: Mit schwarzen Luftballons haben Pflegekräfte ihrer Trauer über die Schließung des Krankenhauses Ausdruck verliehen. © Stefan Grothues