
© Markus Gehring
Mit Drohnenvideo: Wie der Spahn-Schornstein in Sekunden einknickt
Industriegeschichte Stadtlohn
Ein dumpfer Knall. Der 40 Meter hohe Schornstein schwankt ein bisschen, dann fällt er, ein paar Zuschauer applaudieren. Das Wahrzeichen der ehemaligen Stuhlfabrik Spahn wurde gesprengt.
Als Sprengmeister Michael Schneider das erste Signal ertönen lässt, zücken alle ihre Smartphones und gehen in Stellung. „Es ist noch nicht soweit. Ich werde runterzählen, drei, zwei, eins...“ ruft Schneider der kleinen Menschenmenge auf dem Parkplatz beim Unternehmen Lokomotiv zu. Kurze Entspannung bei den Mitarbeitern der Firma Raumkonzepte Bücker und Lokomotiv: Sie mussten für die Sprengung des Schornsteins der ehemaligen Stuhlfabrik Spahn ihre Arbeitsplätze verlassen. Die liegen im Sicherheitskreis des Sprengortes.
Und dann lässt man sich das Spektakel natürlich nicht entgehen. Ordnungsamtsleiter Thomas Gausling ruft noch mal in die Menge hinein: „Bitte halten Sie Abstand!“. Das ist kein Problem, alle tragen Masken, Platz ist da und die Kollegen halten sich dran. Gerade wegen Corona aber sollten sich keine weiteren Menschenmengen bilden und zuschauen. „Wir wissen, das ist ein sehenswertes Ereignis“, sagt Thomas Gausling beim kurzen Ortstermin mit der Redaktion vor der Sprengung. „Sonst hätten wir das auch bekannt gemacht.“ Aber nicht in Zeiten der Corona-Pandemie. Der Ordnungsamtsleiter bittet die Stadtlohner um Verständnis.
So ist nur eine Handvoll Eingeweihte zum Zuschauen zugelassen, darunter ist Egbert Weber, der ehemalige Eigentümer der Stuhlfabrik. Mit seiner Frau Anne hat er sich einen guten Platz zum Fotografieren und Filmen gesichert. Dann trudelt die Belegschaft von Bücker ein, die gut 20 Minuten vor der geplanten Sprengung ihre Büros verlassen müssen. Die Mitarbeiter von Thomas Willemsens Unternehmen Lokomotiv Fotografie haben natürlich ihre Kameras gezückt. Der Chef will die Drohne steigen lassen für ein Video.

Der Schornstein auf dem Gelände der ehemaligen Stuhfabrik Spahn kurz nach der Sprengung: Er schwankte kurz, bevor er einknickte. © Markus Gehring
Egbert Webers Stimmungslage ist an diesem Morgen zweigeteilt. „Auf der einen Seite ist es schön, dass es weitergeht“, sagt er mit Blick auf das geplante Wohngebiet auf dem Spahn-Gelände an der Bahnallee. „Aber es ist schade um das Stück Industriegeschichte. Es ist schon traurig, muss ich sagen“, bedauert er das Ende des Unternehmens, das viele Jahrzehnte Arbeitgeber war in Stadtlohn – bis 2017.

Ein dumpfer Knall war zu hören, dann knickt der Schornstein ein und das steinerne Bauwerk kracht langsam zu Boden. Er landete ganz genau auf dem für ihn vorgesehenen "Fallbett", das gewässert worden war, damit es nicht staubt. © Markus Gehring
„Jetzt könnte es mal losgehen“, sagt ein Mitarbeiter von Bücker und schaut auf die Uhr. Wenig später ist ein Signalton zu hören, alle haben die Finger auslösebereit am Smartphone, da ist Sprengmeister Michael Schneider zu hören: Ein bisschen dauert es also noch. St. Otger schlägt elf Mal... Und dann: Der Sprengmeister gibt das Signal zum Sprengen. Ein dumpfer Knall ertönt, und der Schornstein fällt – von den Zuschauerplätzen aus gesehen – nach hinten weg.
Es ist eine Sache von ein paar Sekunden. Nicht mal Staub wird groß aufgewirbelt. André Kloster, Bauleiter beim Gescheraner Abbruchunternehmen Heermann, erklärt, warum: „Wir haben die Bauschuttmieten im Halbkreis angeordnet und bewässert.“ Alles ist gelaufen wie geplant. Sprengmeister Michael Schneider hält vor dem Stumpf des Schornsteins noch eine kurze Besprechung mit dem Team, dann zieht er im Gespräch mit der Redaktion Bilanz.
Exakt und wie geplant ist der Schornstein auf sein Fallbett gefallen
„Der Schornstein hat seine Fallrichtung exakt eingehalten und ist genau auf sein Fallbett gefallen“, fasst er zufrieden zusammen und weist kurz auf die Trümmer. Seit Donnerstag schon ist das Team von der Hürther Firma Liesegang in Stadtlohn vor Ort, um alles vorzubereiten. Vorher war natürlich noch eine Menge zu tun. Denn der Sprengvorgang wird ingenieurstechnisch berechnet.

Teambesprechung: Die Mitarbeiter der beteiligten Abbruchunternehmen halten kurze Bilanz nach der gelungenen Sprengung des Spahn-Schornsteins. © Markus Gehring
40 Meter hoch war der Schornstein, unten maß er im Durchmesser drei, oben zwei Meter, die Wandstärke betrug 44 Zentimeter. Wichtig zu wissen, genauso wie die Tatsache, dass der Schornstein praktisch aus zwei Röhren bestand, einer äußeren aus Ziegelstein und einer inneren aus einer Art Schamottstein, wie Michael Schneider erläutert.
18 Bohrungen, 1,5 Kilogramm Dynamit und zwei Tage Arbeit vor Ort
18 Bohrungen haben der Sprengmeister und sein Team gesetzt. Und in die Bohrungen insgesamt 1,5 Kilogramm Sprengstoff – normales Dynamit – gegeben. Und haben alles richtig gemacht, wie am Freitag um kurz nach 11 Uhr feststeht. Michael Schneider ist zufrieden. „Man darf keine Sprengung kleinreden“, betont er. Er selbst zählt nicht, wie viele Sprengungen er durchgeführt hat. „Das geht in die Tausende“, schätzt er, denn 39 Berufsjahre liegen hinter ihm.
Auch Ordnungsamt und Polizei sind zufrieden. Zusammen mit der Firma Liesegang und dem Abbruchunternehmen Heermann war die Sprengung vorbereitet worden. Die Bahnallee und zuführende Straßen waren abgesperrt, kein Mensch mehr in den Sicherheitskreisen. Die letzte Sprengung in Stadtlohn ist schon einige Jahre her, wie der Ordnungsamtsleiter am Rande sagt: Der Schornstein einer Weberei an der Dufkampstraße war 1985 gesprengt worden. Jetzt steht noch ein Schornstein in Stadtlohn: am Unternehmen Hecking Söhne.

Michael Schneider erläutert mit Hilfe eines Zollstocks, wie ein Schornstein bei einer gelungenen Sprengung einknickt und zu Boden fällt. © Markus Gehring
Der am Freitag gesprengte Spahn-Schornstein wurde 1949 gebaut, wie Egbert Weber aus der Firmenchronik erfahren hatte. „Es war nach dem Krieg nicht so leicht, Rundziegel zubekommen“, erklärt er die Jahre zwischen Bombardierung und Neuaufbau. 1985 sei das obere Drittel noch einmal erneuert worden. 1998 kamen die ersten Funkmasten der Telekom und von O2 an den Schornstein. „2005 wurde dann die Holzfeuerung eingestellt, dann war der Schornstein eigentlich nur noch Deko“, erzählt der ehemalige Firmeninhaber.
Nun ist der Schornstein aus dem Ortsbild verschwunden. Mit ihm die letzte Erinnerung an den ersten industriellen Möbelhersteller in Stadtlohn, der 1921 als H. & F. Spahn GmbH aus einer kleinen Schreinerei hervorgegangen war. Im Sommer 2017 musste Insolvenz eingeleitet werden, Ende 2017 wurden die letzten Mitarbeiter entlassen. Die Stadt hat die Fläche erworben und plant dort ein Baugebiet.