
© Stefan Grothues
Junge Pflege in Stadtlohn: Eine neue Perspektive für Stefan Frechen (38)
Neues Projekt
Auf dem Gesundheitscampus Maria-Hilf in Stadtlohn soll im Zuge der Krankenhausschließung eine „Junge Pflege“ entstehen. Rollstuhlfahrer Stefan Frechen (38) sieht sie als „Licht am Horizont“.
Stefan Frechen sitzt mitten im Leben. Am Arbeitsplatz. Beim Marathon. Oder auch beim Dodgeball Beach Cup. Der 38 Jahre alte Stadtlohner ist Rollstuhlfahrer. Aber er hat von Kindesbeinen an einen großen Freundeskreis in Stadtlohn, der für Mobilität sorgt.
Sein Freund Stephan Weise hat mit ihm schon einige Marathonläufe absolviert. Und beim Beach Cup kann Stefan Frechen dank vieler starker Arme auch den tiefsten Sand überwinden. Jetzt eröffnet sich für den Stadtlohner eine neue Lebensperspektive: Wohnen in der Jungen Pflege auf dem Campus Maria-Hilf.
„Wenn man Menschen hat, denen man vertraut, ist vieles möglich“
„Ich bin Spastiker“, erklärt Stefan Frechen. Vor 38 Jahren kam er elf Wochen zu früh zur Welt. Bei der Geburt gab es Komplikationen. Stefan Frechen litt für kritische Minuten an Sauerstoffmangel. „Seither bin ich körperlich eingeschränkt, aber geistig fit“, sagt Stefan Frechen. Er kann nicht gehen. Auch Arme und Hände leiden unter Lähmungen.
Stefan Frechen selbst aber ist kein Leidender. Zuversicht prägt sein Leben. Er sagt: „Es ist nicht immer leicht. Aber andere haben noch größere Probleme.“ Und er hat die Erfahrung gemacht: „Wenn man sich Experimente zutraut und wenn man Menschen hat, denen man vertraut, dann ist viel mehr möglich als man zuerst denkt.“
Als Kind von der Inklusion profitiert
Der Stadtlohner hat im Rollstuhl seinen Weg gemacht. Er besuchte die integrative Montessorischule in Borken. „Ich war jeden Morgen mit dem Taxi mehr als eine Stunde unterwegs. In Stadtlohn war man damals mit der Inklusion noch nicht so weit. Die Schulen waren baulich auch noch gar nicht auf Rollstuhlfahrer eingestellt.“
Er sagt auch: „Ich bin froh, dass ich in Borken an einer inklusiven Schule war. Auf einer Sonderschule nur für behinderte Kinder hätte ich nicht so viel gelernt.“
Nach seinem Realschulabschluss erlernte Stefan Frechen am Benediktushof in Maria-Veen den Beruf des Bürokaufmanns. „2003 hatte ich meine Abschlussprüfung. Eine Woche später bin ich hier beim JFB angefangen.“
Jetzt laufen an seinem Schreibtisch viele Fäden zusammen. Als Telefonist ist er erster Ansprechpartner für Kursteilnehmer und Dozenten. Anmeldungen, Abrechnungen und der Zahlungsverkehr gehören zu seinen Aufgaben.
„Ich will am Arbeitsplatz nicht der Behinderte sein“
„Ich bin hier eine ganz normale Arbeitskraft. Manches kann ich nicht so schnell erledigen wie andere. Aber ich möchte keine Sonderrolle. Ich will hier nicht als der Behinderte behandelt werden“, sagt Stefan Frechen.
Und das klappt. Nicht nur auf der Arbeit. „Ich fühle mich vollwertig integriert dank meiner Eltern, meiner Freunde und meiner Kollegen.“ Dennoch drückte ihn bislang immer wieder mal eine Sorge beim Blick in die Zukunft.
Stefan Frechen kann nicht selbstständig alleine wohnen. Er ist pflegebedürftig. Bislang konnte er sich immer auf seine Eltern verlassen. „Aber die sind jetzt Mitte 60. Die werden mich ja nicht ewig pflegen können.“ Was sind die Alternativen?
„Eine Rund-um-die Uhr-Pflege kann ich mir nicht leisten“, sagt Stefan Frechen. Ein Altenheim oder eine Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung wären im Westmünsterland die einzigen Alternativen.
Hausgemeinschaft für ein selbstbestimmtes Leben
„Ich bin aber noch jung“, sagt Stefan Frechen. „Und ich möchte mit anderen jungen Menschen zusammenwohnen, mit denen ich auch etwas unternehmen kann, die ähnliche Erfahrungen machen wie ich.“
Jetzt sieht der 38-Jährige „ein Licht am Horizont“. Im Zuge der Krankenhausschließung will das Klinikum Westmünsterland den Pflegebereich auf dem Campus Maria-Hilf ausbauen, auch mit einer ganz neuen Einrichtung: der „Jungen Pflege“.
Klinikum-Sprecher Tobias Rodig erläutert die Idee: „Aktuell planen wir 12 bis 14 Plätze im Rahmen einer eigenen Hausgemeinschaft anzubieten. Die genauen Konzepte werden noch erarbeitet.“
Fest steht aber die Zielgruppe, zu der auch Stefan Frechen gehört: jüngere Pflegebedürftige ab 18 Jahre bis zum Rentenalter, die ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen möchten, die auf stationäre Pflege angewiesen sind und die in den traditionellen Senioren- und Pflegeheimen nicht ihren Bedürfnissen entsprechend untergebracht sind.

Tobias Rodig, Pressesprecher Klinikum Westmünsterland © Klinikum Westmünsterland
Die Junge Pflege soll auf dem neuen Pflegecampus einen eigenständigen Bereich erhalten. Rodig: „Jüngere Pflegebedürftige haben andere Bedürfnisse und Ansprüche als ältere Zielgruppen, die ja ihre Eltern oder Großeltern sein könnten.“
Das gelte auf jeden Fall für die Ausstattung der Zimmer und Umgebung sowie für ein spezielles Pflege- und Betreuungsangebot. Soziale Kontakte, sportliche, kreative und handwerkliche Angebote, so Tobias Rodig, stünden im Vordergrund.
„Innovatives Angebot für die Region“
„Die Hausgemeinschaft orientiert sich an einer familienähnlichen Lebenssituation. Nach Möglichkeit sollen sich die Bewohnerinnen und Bewohner bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten einbringen“, erklärt Rodig weiter.
Dazu gehören auch geräumige Einzelzimmer, weitgehende Möglichkeiten, sich das neue Zuhause selbst zu gestalten, eigenes Mobiliar, Musikanlage, Computer und Internetanschluss.

Kuratoriumsmitglied Mathias Redders vor dem Stadtlohner Krankenhaus Maria-Hilf, das in den nächsten Jahren geschlossen werden soll. Hier soll neben einer Pflegeeinrichtung ein Integriertes Telemedizinisches Kompetenz- und Versorgungszentrum eingerichtet werden. © Stefan Grothues
„Dies wird ein sehr innovatives Angebot, das es in einem sehr großen Radius noch nicht gibt“, sagt Mathias Redders. Als Kuratoriumsmitglied der Stiftung Maria-Hilf hat er sich für die Junge Pflege in Stadtlohn starkgemacht. Er bezeichnet Stefan Frechen als einen der „Ideengeber“.
Stefan Frechen freut sich darauf, dass die Idee jetzt tatsächlich Gestalt annimmt. Er hofft, dass er 2024 in die Junge Pflege einziehen kann. Er weiß, dass es solche Einrichtungen in Großstädten schon gibt. Dorthin möchte er aber nicht umziehen. Nicht weil er Experimente und neue Erfahrungen scheut.
„Hier in Stadtlohn leben meine Freunde, die ich schon aus dem Sandkasten kenne. Hier fühle ich mich wohl. Hier möchte ich nicht wegziehen müssen.“