Vier Männer am Esszimmertisch, Kaffee, ein paar Kekse und viel Redebedarf an diesem Montagmorgen. Einer von ihnen hält einen Zeitungsbericht in den Händen: „Hülsta erwirbt Küchenhersteller“. Diese Nachricht hat die Vier und viele andere ihrer Ex-Kollegen empört. Sie hat eine tiefe, längst noch nicht verheilte Wunde neu aufgerissen. Darum haben die Vier das Gespräch mit der Münsterland Zeitung gesucht.
Die Männer haben zusammen 143 Jahre für Hülsta gearbeitet, jeder von ihnen 30, 35 oder gar 38 Jahre. Wenige Tage vor Weihnachten erhielten sie per Post ihre Kündigung. So wie weitere 225 Kollegen ohne Abfindung und ohne Sozialplan. „Und jetzt ist plötzlich Geld da, um eine andere Luxus-Küchen-Firma zu übernehmen“, sagt einer von ihnen. „Wir fühlen uns verarscht“, fügt ein anderer bitter hinzu.

Die vier Männer sind jetzt auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz. Das ist der Grund, warum sie ihre Namen lieber nicht in der Zeitung sehen möchten. „Die Suche ist in unserem Alter sowieso schon schwierig genug“, sagen sie. Zu jung für die Rente, zu alt für viele Arbeitgeber.
Noch sind die Vier in der Transfergesellschaft Perspeqtive der BBS beschäftigt. Insgesamt 171 Hülsta-Entlassene sind im Januar in diese Auffanggesellschaft gewechselt, die der Betriebsrat und die Gewerkschaft mit der Geschäftsleitung ausgehandelt hatten. Dort werden sie auf den beruflichen Neustart vorbereitet und erhalten 80 Prozent ihres früheren Lohns. Aber nur noch bis zum 30. Juni.
„Hochexplosive Stimmung“
„Die Transfergesellschaft ist eine gute Sache“, in dieser Einschätzung sind sich die vier Männer einig. Betriebsbesichtigungen zum Beispiel vermitteln neue Einblicke in die Arbeitswelt. So auch am vergangenen Donnerstag, als 32 Ex-Hülsta-Mitarbeiter einen metallverarbeitenden Betrieb in Ahaus besuchten.
Da ploppte auf ihren Smartphones die Nachricht auf: „Hülsta erwirbt einen Luxusküchenhersteller“. Einer der Männer am Esstisch sagt: „Die Stimmung war plötzlich hochexplosiv. Da hätte man keinen Streichholz entzünden dürfen.“
Sanierungsstunden verfallen
Die vier Männer erklären warum. „Wir alle haben doch Hülsta zu dem gemacht was es ist. Das ist ja auch unser Lebenswerk.“ Sie erinnern daran, dass sie auch in Krisenzeiten immer zu Hülsta gestanden hätten. Seit 2017 sei es ja schon nicht mehr ganz rund gelaufen.
Seither hätten alle Mitarbeiter jeweils um die 400 Stunden unentgeltlich Mehrarbeit geleistet, um Hülsta wieder in die Spur zu bringen. Diese Sanierungsstunden seien jetzt ohne Ausgleich gestrichen worden. Weil ja angeblich kein Geld dafür da gewesen sei.
Hülsta sei ja in der Vergangenheit als Familienbetrieb immer ein guter und sozialer Arbeitgeber gewesen. Noch im letzten Jahr hätten sich daher die Sorgen der Mitarbeiter in Grenzen gehalten, selbst als im Oktober der Antrag auf Eigeninsolvenz gestellt wurde. Entlassungen hatte es ja schon früher gegeben. „Das wurde aber mit Sozialplänen und Abfindungen sozialverträglich abgefedert“, sagt einer der vier.
Doch wenige Tage vor Weihnachten ging plötzlich alles ganz schnell. Da kursierten plötzlich Listen von Mitarbeitern, die entlassen werden sollten. Dann wurden Briefe versandt. Mancher erfuhr es auch auf Zuruf: „Du bist auch dabei.“ Ein persönliches Gespräch wäre doch das Mindeste gewesen, sagen die Vier am Esstisch.
Zweifel an der Notwendigkeit
„Wir haben fast 40 Jahre für die Firma gebuckelt, am Ende gab es für uns nur einen Tritt“, sagt einer von ihnen. Sein Tischnachbar sagt sarkastisch: „Wir waren wohl zu alt und zu teuer. Jetzt komme ich mir wie entsorgt vor.“ Und die Vier erzählen auch von Tränen, die geflossen sind.
Und jetzt kommen ihnen Zweifel, ob ihre Kündigung zu den Konditionen wirklich notwendig gewesen sei. Jetzt, wo der Betriebsrat Überstunden zugestimmt habe, jetzt, wo Hülsta neue Mitarbeiter sucht, jetzt wo Hülsta offenbar Geld für eine Firmenübernahme habe.
Schlaflose Nächte
„Dass so etwas in Deutschland gesetzlich überhaupt möglich ist, das kann ich nicht verstehen“, sagt einer der Vier. Er und seine Kollegen vermuten, dass bevorzugt Kollegen mit gut dotierten Altverträgen entlassen worden seien. „Wir glauben, dass das Ganze von langer Hand geplant war.“
Dabei seien aber Menschen auf der Strecke geblieben. „Wir fühlen uns erniedrigt“, sagt einer der Entlassenen. Und das hinterlasse Spuren. „Ich liege nachts oft wach. Dann fragt meine Frau schon: ,Denkst du wieder an Hülsta?‘ Aber ich kann es nicht einfach abstellen.“
Es gebe ja viele offene Fragen: Wie geht es weiter, wenn die Transfergesellschaft am 30. Juni ausläuft? Finde ich mit über 55 noch eine Arbeit, die ich gerne mache? Und wie wird sie bezahlt?
Für die Jüngeren, so sagen die Vier, sei es einfacher, auf dem Arbeitsmarkt wieder eine gute Position zu finden. Und die Ü-60-Kollegen könnten schon in Richtung Rente schauen.
Doch eine Wunde bleibt bei allen. Einer der Vier formuliert es so: „Arbeit ist ja mehr als Geldverdienen. Arbeit war für uns auch Erfüllung. Wir sind mit Freude ins Unternehmen gegangen, haben dort Kollegen getroffen. Da sind ja auch Freundschaften entstanden.“
Auch aus diesem Grund sei die Transfergesellschaft wichtig gewesen. Nicht nur, um beruflich neue Perspektiven zu entwickeln, sondern um den Kontakt untereinander zu halten, zum Beispiel im TG-Café. „Manche haben ja nicht nur schlaflose Nächte, sondern erkranken psychisch daran.“ Da sei es wichtig, darüber zu reden und einfach mal alles rauszulassen.
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