Wölfe leichter abschießen Tierärztin Dr. Barbara Seibert: „Das allein bringt nichts“

Tierärztin zu Abschuss-Plänen für Wölfe: „Das allein bringt nichts“
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Wenn die deutschen Umweltministerinnen und -minister ab dem 29. November für drei Tage in Münster ihre Herbstkonferenz abhalten werden, soll es es dem bislang streng geschützten Wolf an den Kragen gehen. Das Land NRW will nicht einmal so lange warten, sondern prescht mit einem eigenen Erlass bereits vor. Für Dr. Barbara Seibert ist das eine besorgniserregende Entwicklung. Nicht nur, weil die Tierärztin und Tierverhaltenstherapeutin Wölfe als Tiere mit großem Familiensinn und ausgeprägtem Sozialverhalten faszinierend findet. Sondern weil sie 30 Jahre lang Schafe gehalten hat. „Die aktuelle Stimmungsmache gegen Wölfe nutzt den Weidetieren leider gar nicht“, sagt sie. Da brauche es wirkungsvollere Maßnahmen.

Barbara Seibert (75), die bis 2021 eine Kleintierpraxis in Lünen betrieben hat, wohnt in Werne, also genau auf der Nahtstelle zwischen Ruhrgebiet und Münsterland, und damit in keinem der offiziellen Wolfsgebiete in NRW, wo die Landesregierung Tierhaltern bis zu 100 Prozent der Kosten für Zäune oder die Anschaffung von Herdenschutzhunden ersetzt. Stand Oktober 2023 gibt es sieben solcher sogenannten Förderkulissen: unterm Strich rund 40 Prozent der gesamten Landesfläche.

1. Westmünsterland rund um Schermbeck, inklusive Coesfeld und Dülmen, Hohe Mark und Dämmerwald

2. Senne-Eggegebirge rund um Paderborn

3. Eifel-Hohes Venn

4. Oberbergisches Land

5. Stegskopf bei Siegen

6. Seit September 2023 auch das Märkische Sauerland rund um Lüdenscheid

7. Die Dümmer-Geest-Niederung, die bei Minden an Niedersachsen grenzt.

Während im Westmünsterland und im Oberbergischen Land jeweils ein Rudel lebt, sind die anderen Bereiche durch Einzeltiere besetzt, wie der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) mitteilt.

Das Umweltministerium NRW spricht von einem Wolfsgebiet und damit neuerdings auch von einer Förderkulisse, sobald ein Wolf über die Dauer von bis zu einem halben Jahr mehrfach in einem Gebiet nachgewiesen werden kann: etwa durch Aufnahmen per Fotofalle, Kot-, Urin- und Blutproben oder durch Spuren an gerissenen Tieren. Auf den Weiden im Werner Westen, auf denen Barbara Seibert lange ihre eignen Schafe hielt, ist noch kein Tier durch solche Wolfsbisse zu Schaden gekommen. Dabei sind Wölfe auch dort schon vorbeigekommen.

Drei Sichtungen im Kreis Unna

2009 hatte der erste Wolf in Höxter nachweislich nordrheinwestfälischen Boden betreten, nachdem Jäger den letzten Wolf 1835 in Ascheberg-Herbern, gleich neben Barbara Seiberts Wohnort, zur Strecke gebracht hatten. Seitdem registriert das Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Verbraucherschutz (LANUV) jeden Wolfsnachweis. Für den Kreis Unna gab es bislang drei - alle in Werne, jeweils im März 2022 und 2023. Die Wolfsexpertin, die sich in der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe engagiert, wundert das wenig.

„Hier ist ein Durchzugsgebiet“, sagt sie. Auf ihren nächtlichen Wanderungen, auf denen Wölfe mitunter 70 Kilometer zurücklegen können, streife sicherlich das eine oder andere Tier die Region. Sesshaft werde der Wolf dort aber nicht. Denn auch wenn der Cappenberger Wald als größter zusammenhängender Laubwald des Kreises Unna direkt vor der Haustür lieg: „Die Fläche reicht einem Wolf nicht aus.“ Ein Rudel brauche ein Revier so groß wie der ganze Kreis Unna.

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Laut jüngster Informationen der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) von Anfang Oktober 2023 gab es 2022/23 in Deutschland 184 Wolfsrudel, 47 Wolfspaare sowie 22 sesshafte Einzelwölfe. Im Vorjahr waren es noch 162 Rudel, 58 Paare und 25 Einzelwölfe. Die meisten Wölfe sind in Brandenburg heimisch, gefolgt von Niedersachsen und Sachsen.

Begegnung unwahrscheinlich

„Die Wahrscheinlichkeit, dass man hier einem Wolf begegnet, geht gegen Null“, sagt Seibert. Das gelte auch für die ausgewiesenen Wolfsgebiete. Selbst in Regionen der Welt mit traditionell dichten Wolfsbeständen wie in Kanada, der Mongolei und Russland lässt sich das 60 bis 80 Zentimeter große und bis zu 140 Zentimeter lange Raubtier nicht unbedingt erblicken. Seibert weiß das - aus eigener Erfahrung. „Seitdem ich 20 Jahre alt bin, habe ich zig Forschungsreisen unternommen zu Wölfen.“ Sie habe dabei Wölfe heulen gehört und ihre Hinterlassenschaften gesehen, „doch trotz stundenlangem, bewegungslosem Sitzen habe ich nie einen gesehen“.

Verhaltensregeln im Ernstfall

Selbst wenn es zu einer von ihr so erhofften, von anderen befürchteten Begegnung käme, brauche sich niemand Sorgen zu machen, sagt die Wolfsexpertin. „Das Märchen vom bösen Wolf ist, was es ist: ein Märchen. Üble Nachrede.“ Seitdem sich die aus der Lausitz wieder eingewanderten Wölfe weiter ausbreiten, sei in Deutschland kein einziger Fall einer aggressiven Annäherung an Menschen in freier Wildbahn bekannt geworden. Für den unwahrscheinlichen Fall einer Wolfsbegegnung nennt Dr. Barbara Seibert Verhaltensregeln.

„Nicht wegrennen und in Panik verfallen“, sagt sie. Flucht würde nur den Jagdinstinkt des Wildtieres stimulieren. Stattdessen rät sie, sich groß zu machen, laut zu werden und Steine zu werfen. Wer einen Hund dabei hat, solle ihn an der kurzen Leine halten, damit der Wolf ihn nicht als Konkurrenten wahrnimmt. Anders als für Menschen gehen Wolfsbegegnungen für Nutztiere nicht unbedingt folgenlos aus.

Das will Ministerin Lemke

Die Zahl der verletzten oder getöteten Nutztiere durch Wolfsübergriffe war 2022 laut der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) auf einen neuen Höchststand von mehr als 4.000 Tieren gestiegen. Der von Barbara Seibert aus gesehen nächstgelegene Riss war am 29. November 2022 in Seppenrade. Dort hatte ein Jungwolf aus dem Schermbecker Rudel fünf Schafe getötet. Für Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sind es Fälle wie dieser, der sie Anfang September 2023 ankündigen ließ, dass Abschüsse von Wölfen schneller und unbürokratischer möglich sein müssten.

Lemkes Vorschlag sieht vor, dass 21 Tage lang auf einen Wolf geschossen werden darf, der sich im Umkreis von 1000 Metern von der Rissstelle aufhält. Anders als im bisherigen Verfahren muss hierfür nicht das Ergebnis einer DNA-Analyse abgewartet werden. Dabei gibt es zwei Voraussetzungen. Erstens: Es muss sich um eine Region mit „erhöhtem Rissvorkommen“ handeln. Zweitens: „Zumutbare Herdenschutzmaßnahmen“ müssen erfolgt sein. Lemkes grüner Amtskollege in NRW, Umweltminister Oliver Krischer, will nicht warten, bis er und die anderen Umweltminister darüber Ende November in Münster abgestimmt haben.

Das will NRW-Minister Krischer

Krischer hatte Mitte Oktober einen Erlass vorgestellt, der nach der vierwöchigen Anhörungsfrist Gültigkeit bekommen soll. Das Papier sieht vor, dass genetisch identifizierte Wölfe, die mindestens zweimal und in einem engen zeitlichen Zusammenhang intakte Schutzzäune von mindestens 0,90 Zentimetern Höhe überwunden und Tiere gerissen haben, abgeschossen werden dürfen. Den Lemke-Entwurf hält Krischer für eine „sinnvolle Ergänzung“.

Seibert: Besserer Herdenschutz

Seibert warnt davor, sich mit neuen Regelungen im Umgang mit Wölfen überbieten zu wollen. Immerhin stünden aber keine wolfsfreien Zonen zur Diskussion - oder Abschussquoten, wie vielfach gefordert. „Der Lemke-Entwurf ist daher eine bittere Pille, aber ein Kompromiss.“ Er allein werde die Situation aber nicht verbessern, sagt sie. „Wir brauchen besseren Herdenschutz.“

Die meisten Risse an Weidetieren würden an Tieren ohne ausreichenden Herdenschutz erfolgen. Entweder sei kein Strom auf dem Zaun. Oder der Stromzaun sei nicht tief genug angebracht, sodass sich der Wolf unter ihm hindurchzwängen könne. Ausreichend hohe Elektrozäune - Seibert empfiehlt eine Höhe von 1,20 Metern - seien entscheidend. „Das ist Konditionierung: Der Wolf bekommt einen Stromschlag, wenn er sich den Schafen nähert und lernt: Schaf tut weh.“

Der BUND verweist darauf, dass in Frankreich trotz einer Abschussquote die Zahl der Risse kaum zurückgegangen sei. Und der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) erklärt, warum das so ist: „Egal, ob fünf oder acht Wölfe in einer Region leben: Sie stellen ein Risiko für ungeschützte Weidetiere dar.“ Seibert fragt: Warum nicht das ganze Land zur Förderkulisse erklären? Dann könnten Weidetierhalter mit staatlicher Unterstützung vorsorglich Herdenschutz betreiben. Und müssten nicht erst warten, bis etwas passiert.

Um sachliche Argumente gehe es aber leider kaum noch, befürchtet Seibert. Längst werde politischer Streit auf dem Rücken der Tiere ausgetragen. In einer Heftigkeit, die sie erschreckt. Landwirte und Jägerschaft auf der einen Seite, Naturschützer und Wolfsfreunde auf der anderen Seite. Barbara Seibert, Wolfaktivistin und Schafshalterin in einer Person, will sich davon nicht vereinnahmen lassen. „Nach mehr als 20 Jahren müssen wir uns doch allmählich daran gewöhnen, dass der Wolf zurückgekehrt ist.“

Ein Wolf steht im Wald bei Hünxe am Niederrhein: Gloria von Wesel.
Ein Wolf steht im Wald bei Hünxe am Niederrhein: Gloria von Wesel. © picture alliance/dpa
Ein Europäischer Grauwolf in einem Gehege vom Wolfcenter Dörverden in Niedersachsen.
Ein Europäischer Grauwolf in einem Gehege vom Wolfcenter Dörverden in Niedersachsen. © picture alliance/dpa

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