Wenn der Kleingarten zum Symbol für Integration wird
Kleingartenanlage Am Fährenkamp
Wenn Menschen unterschiedlicher Nationalitäten eine Gemeinschaft bilden, gemeinsame Ziele verfolgen oder friedlich zusammenleben, ist Integration gelungen. In der Kleingartenanlage Fährenkamp sind es Menschen aus sieben Nationen, die ihrem Hobby nachgehen.

Sebastiano Cavaleri, Cato Kieslich, Ilona Hemsing, Günter Kluge und Bogdan Biernat. © Foto Malte Bock
Es ist ein Paradies. Sein Paradies. Suchte man in der Kleingartenanlage Am Fährenkamp einen Vorzeigegarten, würde man wahrscheinlich nur schwer an der Parzelle von Sebastiano Cavaleri vorbeikommen.
Eine Hobby-Oase
Der grüne Rasen sieht aus wie mit der Pinzette gezupft, kein Blatt liegt auf dem Gehweg, die Blumen blühen – farblich perfekt kombiniert – in schillernder Pracht. Und Sebastiano Cavaleri ist stolz. Stolz auf seine kleine Oase, angelegt im sizilianischen Stil, in der Anlage unweit des Lüffe-Parks. „Er hat morgens das Butterbrot kaum auf, da ist er schon unterwegs in den Garten“, beschreibt Ilona Hemsing die Marotte ihres Lebensgefährten.
Denn die Kleingartenanlage ist keinesfalls ein Erstwohnsitz, sie ist ein Hobby. „Mein zweites Zuhause“, sagt Cavaleri. An einem Fahnenmast in seiner Parzelle weht eine Fahne. Ein Mix aus einer deutschen und einer italienischen Flagge. Wie es sein Name schon erahnen lässt, deutet die Fahne die Herkunft des gebürtigen Italieners an. Nur eine Gartenreihe weiter ist es eine russische Flagge, die sich leicht im Wind bewegt.

Sebastiano Cavaleri hat seinen Kleingarten nach sizilianischem Vorbild gestaltet. © Foto Malte Bock
Das ist hier Multi-Kulti“, sagt Bogdan Biernat, der selbst aus Schlesien nach Deutschland gekommen ist, seit 18 Jahren einen Garten in der Anlage hat und seit 2015 Vorsitzender des Vereins ist. Zu seinen Vorstandskollegen gehören unter anderem Günter Kluge und Cato Kieslich. An deren Gartentisch in der Parzelle 21 erzählt Bogdan Biernat von den Vorzügen des Kleingärtner-Wesens.
Für ihn ist es nicht nur ein Ausgleich zu seiner Arbeit als Tischler. „Man kann sich nichts Schöneres wünschen als das hier“, sagt der 59-Jährige. Die Arbeit im Garten, das Anpflanzen – und besonders die Ernte. Alles sei Natur, mit Produkten aus dem Supermarkt nicht zu vergleichen. „Wenn ich hier eine Tomate in der Hand halte, dann riecht und schmeckt die auch nach Tomate“, sagt Biernat.
Voneinander lernen
Insgesamt gibt es 36 Gärten in der Anlage Am Fährenkamp. Im Schnitt sind sie 360 Quadratmeter groß. Unterhalten werden sie von Menschen mit sieben verschiedenen Nationalitäten. Direkter Nachbar von Cato Kieslich und Günter Kluge ist ein Mann aus Afghanistan, der wiederum eine Frau aus Russland hat. Neben acht deutschen Kleingärtnern, gibt es dann noch einen Mazedonier, zwei Italiener, einen Kroaten, drei Polen und 21 Kleingärtner, die russische Wurzeln haben.
„Wir können unheimlich voneinander lernen“, sagt Günter Kluge. Jeder habe seine eigene Art, seine eigene Vorgehensweise, seine Kniffe und Tricks, seine eigenen Rezepte, beispielsweise um Dinge zu konservieren. Auch das Saatgut sei oft unterschiedlich, da es aus aller Herren Länder stamme.
„Es ist nicht so, dass wir ständig aufeinander hängen“, beschreibt Bogdan Biernat das Miteinander. Man gehe mal zum Nachbarn, bespricht etwas, trinkt auch mal eine Flasche Bier, holt einen Rat ein und geht wieder. Man kennt sich. „Stur am Garten vorbeizugehen und nicht zu grüßen, das gibt es nicht“, beschreibt Cato Kieslich. Und schränkt zugleich ein: „Nicht mehr“. Durch die Vorstandsarbeit habe sich auch der Kontakt geändert. Auch sie mussten in der Anlage erst einmal ankommen. „Wir tauschen uns mittlerweile gut aus“, sagt Kieslich.
Schrebergärten sind selten geworden
Integration dauere eben Jahre. Dass merke man auch in den Familien ihrer Nachbarn in der Kleingartenanlage. Wurde früher noch wenig deutsch gesprochen, gebe es mit den nachfolgenden Generationen der Kleingärtner fast keine Sprachbarrieren mehr.
38 Jahre existiert die Anlage am Lüffe-Park bereits. Den Grundgedanken des klassischen Kleingartens – nämlich sich aus dem eigenen Garten ernähren zu können – den verfolgen längst nicht mehr alle. Vorschrift sei es mal gewesen, dass ein Drittel des jeweiligen Gartens Anbaufläche seien müsse. Obwohl er durchaus Gemüse anbaut und Dahlien sein großes Hobby sind, sagt Günter Kluge: „Ich kann auch sehr gut faul sein.“ Der Kleingarten sei ein Freizeitgarten, die Gartenarbeit sein Ausgleich. „Das ist unser Fitness-Center“, wirft Bogdan Biernat ein, der im Gegensatz zu Günter Kluge die überwiegende Fläche bewirtschaftet.
„Die Schrebergärten ganz alter Art sind selten geworden“, sagt Günter Kluge trotzdem. Der ehemalige Gartenzwerg-Mief sei ausgezogen. Sein Domizil mit der Nummer 21 bezeichnet er gerne als „Familiengarten“. Seine Motivation? „Ich wäre als Rentner wahrscheinlich Sesselpupser geworden und das wollte ich nicht.“
Für die Enkelkinder
Das Motto bei ihm und seiner Lebensgefährtin ist: wer kommt, der kommt. Und selten ist, dass niemand aus der Familie da ist. „Unsere Enkelkinder sind wahre Fans des Gartens“, beschreibt es Cato Kieslich. Und kaum ausgesprochen fetzt die zweieinhalbjährige Paula mit ihrem kleinen blonden Pferdeschwanz um die Ecke, stibitzt ein Lakritz vom Tisch und rennt wieder zurück zu ihren beiden Schwestern, die es sich in der Sonne gemütlich gemacht haben. Sie haben die Oase der Ruhe entdeckt, eine Oase im Grünen.
Auch Freundinnen bringen sie schon mal mit. „Wir haben den Garten damals auch für die Enkelkinder gekauft“, erinnert sich Ilona Hemsing. Enkelin Emilia sollte nicht nur auf dem Balkon groß werden. Im Garten können die Kinder sehen, wie was wächst, woher Lebensmittel eigentlich stammen. Daher ist es auch ein Angebot an Schulklassen oder Kindergärten, den Kleingarten einmal zu besuchen. „Die Anlage ist eine offene Anlage“, sagt Bogdan Biernat.

Im Kleingarten wird immer irgendwo gearbeitet. © Foto Malte Bock
Am Tisch wird derweil der Ordner rausgekramt. Das Gründungsjahr der Kleingartenanlage ist 1980. Im Ordner ist darüber hinaus sorgfältig der Schriftverkehr des Vereins abgeheftet. Zudem eine Mitgliederliste und eine Satzung. Ja, eine Satzung. Der oberste Grundsatz lautet: Leben und leben lassen. Bei drei Arbeitseinsätzen im Jahr werden die gemeinschaftlichen Außenhecken und Wege gepflegt, Bäume gesichert oder das Vereinsheim, das auch extern für Feiern angemietet werden kann, auf Vordermann gebracht.
Das jährliche Herbstfest ist eine weitere gemeinsame Aktion. Gründungsmitglieder des Vereins kann Günter Kluge an einer Hand abzählen. Drei oder vier sind es noch. Viele sind inzwischen heimisch geworden. „Ich genieße es, wenn ich hier bin“, sagt Sebastiano Cavaleri. Und das ist, wie bei vielen anderen, jeden Tag aufs Neue so.