Auf die Begrünung ihrer Wohnstraßen freuen sich Häuslebauer im Neubaugebiet Kreuzkamp West schon lange. Als die Stadt jetzt begann, Bäume pflanzen zu lassen, machte sich aber Ärger breit.

Selm

, 18.11.2019, 21:03 Uhr / Lesedauer: 3 min

Kirsten Niechcial und ihre Nachbarinnen und Nachbarn haben eine WhatsApp-Gruppe für Nachbarschaftsbelange. Eigentlich, sagt die Selmerin, würden sie sich da meistens über Termine für das Sommerfest und andere Feiern austauschen. Am Montagvormittag (18.11.) war die Gruppe aus einem ganz anderen Grund voll mit Nachrichten: fast 70 Mitteilungen, die sich alle darauf bezogen, was sich seit den Morgenstunden vor den Haustüren im Baugebiet Kreuzkamp West tat.

Ein Garten- und Landschaftsbauunternehmen aus Warendorf war am Morgen in die Wohnstraßen gefahren. Dabei hatten die Gärtner Bäume für die noch ausstehende Bepflanzung dabei: eigentlich ein Grund zur Freude, wie Kirsten Niechcial meint. Doch dann hat sie genauer hingeschaut.

„Da werden sehenden Auges Probleme und Kosten produziert“

„Ausgerechnet Eichen“, sagt die Mutter und schüttelt mit dem Kopf. „Da werden sehenden Auges Probleme produziert und Kosten“ - und das trotz Vorwarnung.

Die Stadt hat bereits seit einigen Jahren Probleme mit dem Eichenprozessionsspinner.

Die Stadt hat bereits seit einigen Jahren Probleme mit dem Eichenprozessionsspinner. © Sylvia vom Hofe

Sandra Bäsler, die nebenan wohnt, treibt das Thema schön länger um. Gerade in Zeiten des Klimawandels seien Bäume enorm wichtig, sagt sie: als Sauerstoffspender und weil sie CO2 dauerhaft binden können. Deshalb habe sie sich bereits im Sommer erkundigt, wann die Bepflanzung erfolge. Und erst im Oktober hatte sie sich erneut gemeldet - mit einem wichtigen Hinweis.

Vier verschiedene Baumarten seien vorgesehen für das Baugebiet, sagt Sandra Bäsler, darunter eben auch Eichen. Im Oktober bat sie darum, angesichts der wachsenden Problematik der giftigen Eichenprozessionsspinner auf diese Baumart zu verzichten. Die Folgen des Befalls durch die Raupen des unscheinbaren Falters kannte sie da bereits nur zu gut.

Befall durch giftige Raupen

Auf der anderen Straßenseite stehen rund 100 Jahre alte Eichen: „Schöne Bäume“, wie die Nachbarinnen übereinstimmend sagen, die sie keinesfalls gefällt sehen wollen. Gleich mehrere Nester der giftigen Raupen, deren Härchen gefährliche allergische Reaktionen auslösen können, hingen an den mächtigen Bäumen. Und mindestens ein Nest fiel nach einem Sturm in den Garten der Bäslers. Die Folge: Draußen-Spielverbot für die Kinder der Straße, bis die Stadt die Nester absaugen ließ.

„Zum Glück“, so Bäsler, sei das damals schnell gegangen. Andernorts hätten Betroffene aber lange warten müssen. Dass die Stadt jetzt trotz der Bedenken aus der Anwohnerschaft zusätzliche Eichen in ein Wohngebiet mit zahlreichen Kindern pflanzen lasse, versteht sie nicht.

Anwohner fordern Vorsorgekonzept für den Fall der Fälle

„Das geht nur, wenn es gleichzeitig ein gutes Vorsorgekonzept gibt“: regelmäßige Kontrollen der Bäume durch städtisches Personal etwa und nicht durch die Anwohner selbst, und umgehende Beseitigung der Raupen bei Befall.

Ob sie glaubt, dass das klappen wird? Die junge Mutter zuckt mit den Schultern. Klar, werde das alles zusätzliche Kosten verursachen, sagt sie. Deshalb habe sie ja frühzeitig gewarnt. Eine Antwort auf ihre letzte Mail an die Stadt in dieser Sache hat sie aber nie bekommen.

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Auf eine Antwort wartete auch Kirsten Niechcial am Montagmorgen vergeblich. Als sie die Eichen sah - der Fußweg hinter ihrem Garten soll eine ganze Baumreihe bekommen - , habe sie sofort zum Hörer gegriffen und die Stadt angerufen, sagt sie. Dort habe man sie an das Planungsbüro Strauß verwiesen, das den Bebauungsplan erstellt hat. „Die sagten mir dann aber, dass die Stadt als Auftraggeber zuständig sei.“

Stadt wollte langwieriges Planänderungsverfahren vermeiden

Malte Woesmann, Sprecher der Stadt, verweist auf Anfrage ebenfalls auf die Festsetzungen des Bebauungsplans. Der stammt aus dem August 2015. Die Warnung des Bundesumweltamts vor den giftigen Raupen des heimischen Schmetterlings, der sich „in den vergangenen Jahren“ massenhaft vermehrt habe und der gezielt zu bekämpfen sei, war damals gerade ein dreiviertel Jahr alt. Seitdem hat sich das Raupenproblem auch in Selm Jahr für Jahr verschärft. Und mit ihm sind die Kosten kontinuierlich gestiegen.

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Warum die Stadt Selm trotzdem weiter auf Eichen setzt und damit Konflikte vorprogrammiert? Die Auswahl der Bäume entspreche den Festsetzungen des Bebauungsplans „Am Kreuzkamp West“, schreibt Stadtsprecher Malte Woesmann. „Für die Bäume im Straßenraum sowie in den Grünflächen sieht der Bebauungsplan beispielhafte Pflanzlisten vor. Ein Abweichen von den Festsetzungen hätte ein langwieriges Planänderungsverfahren erfordert.“

Stadt lässt 43 Bäume insgesamt pflanzen

Die Stadt wolle vermeiden, dass auch die jungen Bäume des Baugebietes 2020 von den lästigen Tieren befallen werden. Dazu sollen sie präventiv behandelt werden. Diesen verstärkten Einsatz von Insektiziden hätten sich die Familien im Neubaugebiet auch gerne erspart.

Insgesamt lässt die Stadt 43 Bäume pflanzen im Kreuzkamp: davon 15 Stieleichen. Sie sollen ganz im Süden des Bebauungsgebiets gepflanzt werden: da, wo Julia Stein mit ihrer Familie wohnt. „Verstehen kann ich das nicht“, sagt sie, als sie nach dem Treffen mit ihren Nachbarinnen nach Hause geht - vorbei an den Hochstämmen, die auf dem Boden liegen und darauf warten, eingepflanzt zu werden.