
© Arndt Brede (Archiv)
Ulrich Walter: Leiter des Gymnasiums Selm geht mit Loriot-Zitat in Pension
Leiter des Selmer Gymnasiums
Nach 24 Jahren endet mit dem Ende des Schuljahres die Amtszeit von Ulrich Walter als Leiter des Städtischen Gymnasiums Selm. Er geht in Pension. Nach einer für Selm nicht gerade unbedeutenden Ära.
Mit 66 Jahren geht der Oberstudiendirektor in den Ruhestand. Im Interview mit der Redaktion gibt Ulrich Walter Einschätzungen über die Entwicklung des Gymnasiums, erzählt von besonderen Momenten und lässt auch Zahlen sprechen. Für einen Mathematiker kein Wunder.
? Als Sie im Mai 1997 Ihre Stelle in Selm antraten - wie haben sie damals das Gymnasium vorgefunden?
Ich habe es in einer Übergangsphase vorgefunden, weil die Stelle seit 1996 nicht besetzt war und Joachim Hof, der stellvertretende Schulleiter, das Gymnasium kommissarisch geleitet hat. Ich habe viele freundliche Mitarbeiter im Kollegium gefunden, ein offenes Verhalten, Eltern getroffen, die konstruktiv und hilfsbereit waren.
? Wie haben Sie sich zu dieser Zeit verhalten? Sie kannten die Strukturen des Selmer Gymnasiums ja gar nicht.
Ich wollte erst einmal die Schule aufnehmen, wahrnehmen als ganzes System, beobachten und damit konstruktiv umgehen. Ich wollte nicht hergehen und sagen „Ich komme jetzt, ich weiß alles und jetzt machen wir es, wie ich es sage“. Wichtig war mir natürlich auch, bewährte Strukturen zu erhalten.

Ulrich Walter war gern in Selm. Auch während der Neujahrsempfänge mischte er sich unter die Gäste. © Arndt Brede (Archiv)
? Was waren das für Strukturen?
Als ich hierher kam, hörte ich im Freundeskreis „Du gehst also an das Gymnasium mit künstlerischem Schwerpunkt“. Als ich hierher kam, gab es den Leistungskurs Kunst. Ganz selbstverständlich. Ich habe mir damals die Fragen gestellt „Warum wird das Gymnasium Selm primär mit diesem Schwerpunkt wahrgenommen? Warum nicht im MINT-Bereich ( „Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik“, Anm.d.Red.), im sprachlichen oder gesellschaftswissenschaftlichen Bereich? Warum gibt es keine sportliche Akzentuierung?“
? Das hat sich dann ja geändert.
Ein erster Schritt war der Weg in die Bilingualität. Wir haben hier einen bilingualen Zweig „deutsch-englisch“ aufgebaut und über diese Bilingualität hat sich, ergänzt durch Französisch, Latein und später Spanisch, auch der Weg hin zu Sprachenzertifizierungen eröffnet. Dabei waren die Kooperationen mit europäischen Schulstandorten, wie Workington, Liege und Zwolle von großer Bedeutung, durch die Auslandspraktika einfacher zu realisieren waren. So entwickelten sich insgesamt sprachliche Orientierungen, gleichzeitig aber auch die Chance zur Qualifikation als Europaschule, ein Gütesiegel, das die Schule seit Jahren auszeichnet.
? Kunst blieb ja weiterhin ein Schwerpunkt. Warum haben Sie es nicht dabei belassen?
Ganz einfach. Weil wir hier in Selm - und das hat sich ja nicht verändert – nur einen Schulstandort haben, der zum Abitur führt. Aufgrund dieser Situation konnte man die Schule nicht nur einseitig ausrichten. Welche Möglichkeiten haben denn dann andere Schüler, die diesen künstlerischen Schwerpunkt für sich noch nicht entdeckt haben, aber auch nie entdecken werden?

Auch das zeichnet Ulrich Walter aus: Engagement für soziale Zwecke. Hier schieben ihn Verantwortliche der Hospizgruppe Selm-Olfen-Nordkirchen an, weil Walter später Geld für die Gruppe bei einem Radrennen sammeln sollte. © Arndt Brede (Archiv)
? Das bedeutet, Sie haben auch darauf geschaut, was für die Schüler nach dem Abitur kommen kann.
Ja, selbstverständlich. Es geht auch um ein anschließendes Studium, sogar im europäischen Rahmen. Die Bachelor- und die Masterausbildung an den Universitäten in ganz Europa schuf gleiche Voraussetzungen. Ob in München, Paris, Lissabon oder Rom. Andererseits ging und geht es aber auch um die Vorbereitung auf die berufliche Ausbildung. Also um die Berufswahlorientierung. Unternehmen haben sich und ihre Arbeit vorgestellt. Und in Unternehmen haben Gymnasiasten Praktika machen können, oft auf der Grundlage verbindlicher Kooperationsverträge zwischen dem Gymnasium und den Betrieben. Dadurch haben sich duale Studiengänge ergeben.
? Um all das zu stemmen, bedarf es der Bereitschaft zur Mitarbeit im Kollegium und bei den Eltern.
Ich habe sicher nicht immer sofort jeden aus dem Kollegium, jeden Elternvertreter mitnehmen können. Aber es geht immer um die bestmögliche Ausbildung der Schüler und um die Zufriedenheit von Kolleginnen und Kollegen an ihrem Arbeitsplatz. Mittlerweile gibt es für verschiedene Arbeitsfelder Koordinatorinnen und Koordinatoren. Die sehen das jeweilige Tätigkeitsfeld als ihre Aufgabe an und gehen selbstständig konstruktiv-kreativ damit um.
? Das Gymnasium steht im Wettbewerb mit anderen Schulen in der Region. Ist das Gymnasium Selm gut aufgestellt?
Der Kooperationsvertrag mit der Selmer Lagerlöf-Sekundarschule ist die Grundlage dafür, dass alle Schüler mit dem Qualifikationsvermerk für die gymnasiale Oberstufe den Schulabschluss Abitur in unserer Stadt erreichen können. Deshalb ist die Schullandschaft in Selm gut und vollständig geordnet.
? Fünf von 45 Zehntklässlern der Sekundarschule wechseln nach den Ferien zum Selmer Gymnasium.
Warum sind es nicht mehr? Diese Frage stellt sich natürlich. Gespräche zwischen beiden Schulleitungen haben ergeben, dass es durchaus Optimierungsmöglichkeiten bei beiden Schulen gibt, diesen Übergang aufs Gymnasium langfristiger vorzubereiten und zu begleiten und noch offensiver zu bewerben.
? Das Gymnasium Selm braucht sich aber doch nicht vor den anderen weiterführenden Schulen der Region zu verstecken, oder?
50 von etwas mehr als 210 Grundschulabgängern wechseln zu Schulen außerhalb Selms. Da sagen mir bekannte Schulentwicklungsplaner, das seien gute Zahlen. Jede Stadt würde sich freuen, wenn sie nur 20 bis 25 Prozent Auspendler hätte. Da liegen die Zahlen in der Region wesentlich höher. Der ein oder andere scheint überzeugt, dass eine Gesamtschule in Selm die Zahl der Auspendler verringern würde. Wer garantiert das denn? Niemand. Denn die Gesamtschulen in Nordkirchen und Olfen machen seit vielen Jahren eine ordentliche pädagogischer Arbeit und bleiben für einige Eltern attraktiv.
? War es Ihr Ziel, das Selmer Gymnasium zu einer Vorzeigeschule zu machen?
Ob man planen und sicher erreichen kann, dass etwas vorzeigbar ist, das bezweifle ich. Man kann es versuchen. Wenn die Selmer Öffentlichkeit zu dem Ergebnis kommt, das hat funktioniert, dass es ein Vorzeigegymnasium ist, dann ist das schön und ein Kompliment für alle Mitarbeiter. Aber das tut der Schulleiter Ulrich Walter nicht, damit er sich sagen kann, er habe gemeinsam mit dem Kollegium ein Vorzeigegymnasium hinbekommen. Alles das, was den Weg beschreibt, um schließlich vorzeigbar zu sein, geschieht nicht im Interesse eines Schulleiters, sondern im Interesse der Schüler und letztendlich auch der Eltern.
? Nun steht Ihr Ruhestand kurz bevor. Was haben die vergangenen Jahre mit Ihnen persönlich gemacht?
Ich bin froh, dass nicht auszuschließende temporär entstehende Schwierigkeiten immer gemeinsam mit dem Kollegium, den Eltern und den Schülern im Konsens bewältigt werden konnten. Deshalb habe ich das Gefühl der tiefen Zufriedenheit und auch Dankbarkeit.

Ulrich Walter (l.) erhielt die Pensionsurkunde aus den Händen des Dezernenten Sven Meyhoefer von der Bezirksregierung Arnsberg. Pensionsbeginn ist der 1. August. © Gymnasium Selm
? Was wird Ihnen fehlen?
Da antworte ich mit Loriot: Es ist meine erste Pensionierung, deshalb habe ich noch keine Erfahrung. Ich übe noch.
? Während der internen Verabschiedung im Schulausschuss haben Sie gesagt, Sie haben, alles zusammengenommen, ungefähr sechs Jahre Ihrer Lebenszeit in Selm verbracht. Und dann haben Sie gesagt „Ich bin ein Selmer“. Was hat Sie zu diesem Zitat à la John F. Kennedy bewogen?
Obwohl ich in Kamen wohne, habe ich eine nicht nur dienstliche, sondern auch eine selbstverständliche emotionale Nähe zu Selm entwickelt. Es haben sich viele gute, vertrauensvolle Bekanntschaften entwickelt und meine Frau und ich haben zahlreiche Freunde gefunden.