
Dr. Heinrich Thomas Schulze Altcappenberg hatte eingeladen zu einem besonderen Hoffest. Es stand ganz im Zeichen der 900-Jahr-Feier in Cappenberg, beleuchtete aber eine Gruppe, die bislang nicht im Vordergrund stand. © GUENTHER GOLDSTEIN
Schulze Altcappenberg zum 900-Jährigen: „Die Bauern nicht vergessen“
Geschichte inCappenberg
Cappenberg blickt 2022 auf große Ereignisse vor 900 Jahren zurück: auf Ritter, Adelige und Kaiser. Bauern finden dabei kaum Erwähnung. Thomas Schulze Altcappenberg hat das geändert.
Drei grüne Luftballons tanzen abends im lauen Wind. Sie stellen Ziffern dar: eine Neun und zwei Nullen. Wieder eine dieser vielen Veranstaltungen zu den Cappenberger 900-Jahr-Feiern, die sich schon durch das gesamte Jubiläumsjahr 2022 ziehen? Nicht ganz. Denn der Mann, der vor der wippenden 900 sitzt, hat den Blick gewendet. Weg von denen, die im Jahr 1122 und danach Großes taten und damit in die Geschichtsbücher eingingen, hin zu denen, die ihnen diese Taten erst ermöglichten: die Bauern.
Feiern da, wo möglicherweise die erste Siedlung war
Dr. Heinrich Thomas Schulze Altcappenberg hat eingeladen in seinen Garten - und damit tief in die Geschichte. Denn dort, wo sich an einem der letzten warmen Abende des Altweibersommers die Gäste zum Plaudern bei Musik, Essen und Trinken versammelten, war auch schon vor 900 Jahren eine Menge los. Vermutlich sogar noch viel länger.
Es gebe Theorien, dass sich dort die erste Siedlung der Region befunden habe, sagt Schulze Altcappenberg, der Direktor des weltberühmten Kupferstichkabinetts in Berlin war und sich 2015 nach dem überraschenden Tod seines Bruder, entschied, den landwirtschaftlichen Betrieb in Selm weiterzuführen. So wie es mehr als 36 Generationen vor ihm taten. Da, wo jetzt der Hof steht, standen sehr wahrscheinlich damals schon Wohnhäuser und Stallungen: hier die alte Siedlung nördlich der Lippe, einige hundert Meter weiter südöstlich die Schutzburg. „Eine Theorie“, sagt Schulze Altcappenberg. Beweisen lasse sie sich nicht. Etwas anderes dagegen schon.

Der Hof Schulze Altcappenberg zwischen Cappenberg und Bork von oben aus betrachtet. Hier könnte sich der älteste Siedlungsbereich der Region befunden haben. Anlässlich des Hoffests parken viele Autos. © Goldstein
1122 war es aber, als der Hof Schulze Cappenberg (spätestens ab 1186 wurde daraus Altcappenberg) erstmals in einer Urkunde Erwähnung fand. Und nicht nur er.
Fünf Hofverbände finden Erwähnung 1122
Als Gottfried von Cappenberg entschied, auf Macht und Reichtum zu verzichten und die trotzige Burg Cappenberg in ein Kloster umzuwandeln, betraf das auch die Bauern der Gegend. Die großen Höfe - Heinrich Thomas Schulze Altcappenberg spricht lieber von Hofverbänden oder Bauerschaften - gingen mit der Schenkung der Grafen ebenfalls vor 900 Jahren in das Eigentum des ersten Prämonstratenserstifts auf deutschsprachigem Boden über. Bei diesen Höfen handelte es sich neben Cappenberg selbst um Werne, Nette, Alstedde und Heil.
Genauso wie Schulze Altcappenberg können auch andere Bauern des 21. Jahrhunderts ihre Wurzeln zurückverfolgen bis in dieses jubiläumsträchtige Jahr 1122, das der damaligen Geschichte Westfalens einen neuen Drall gab. Unter den Gästen des besonderen Hoffests zwischen Lippe, Cappenberger Höhenrücken und und Cappenberger Wald sind auch die Nachfolger der damaligen Bauern, die mit ihrer Arbeit und den Abgaben erst den Reichtum der Mächtigen - egal ob Weltliche oder Geistliche - ermöglichten. „Höchste Zeit“, meint Schulze Altcappenbergg, „die Geschichte von unten zu erzählen“.
Chronisten haben über einfache Leute hinweggeschaut
Dabei stehen nicht der vor 900 Jahren geborene Kaiser Barbarossa, Graf Gottfried und sein Bruder Otto, der Pate des Kaisers, im Mittelpunkt, sondern die einfachen Leute vom Lande: die Bauern. Dass ihre persönlichen Namen 1122 nicht in der Schenkungsurkunde Erwähnung fanden, ist nicht verwunderlich. Die damaligen Chronisten, die in der Regel selbst adeliger Abstammung waren, haben sie schlicht übersehen. Erst später treten die Namen hervor, weil sie über Jahrhunderte hinweg mit einem Amt verbunden waren: dem des Schulzen.
Der Schulze stand den Bauern vor und hatte dafür zu sorgen, dass die Abgaben eingetrieben wurden. Er musste ebenfalls seinen Beitrag dazu leisten. Diese Einnahmen waren für den Grundherren - zunächst die Grafen, dann ab 1122 das Kloster und und bald für längere Zeit die Bischöfe von Münster - die Haupteinnahmequelle.
Was bedeutet das Wort „Schulze“ oder „Schulte“
Das Wort „Schulze“ taucht bereits im 8. Jahrhundert auf. Es geht zurück auf den Schultheiß: nicht etwa den Eigentümer einer Hofstätte, sondern dessen Verwalter. Jemand, dem geheißen ist, die Schuld abzuliefern. Ursprünglich war ein Schulzenhof in Westfalen kein Familienerbe, sondern nur eine Art Amtssitz auf Zeit, wie es im Landwirtschaftlichen Wochenblatt nachzulesen ist. Der Schulze habe den ihm zur Verfügung gestellten Hof als Pächter bewirtschaftet.
Diese frühe Form der grundherrlichen Verfassung habe sich aber bereits im Laufe des Mittelalters verändert. „Die Pacht auf Zeit wandelte sich schrittweise in ein Erbverhältnis.“ Seit dem 14., Jahrhundert seien die Mehrzahl der Schulzen in den erblichen Besitz ihrer meist großen Höfe gelangt. Bis ins 20. Jahrhundert war es üblich, dass ausschließlich der Hoferbe den Zusatz „Schulze“ behielt. Oder „Schulte“ . Denn die Schreibweise - und damit auch die Frage, ob es einen Bindestrich gibt oder nicht - kennt viele Varianten. Die zeigen sich auch bei den Gästen des Hoffests.
Einladungen an die „Schulzen“ der Region
Einladungen gingen unter anderem an die Familie Schulze Wethmar, Schulz-Gahmen, Schulte-Witten und Schulze Heil: alles Familien, die ebenfalls 900-Jähriges feiern können. Aus anderen Anlässen habe man sich schon manches Mal getroffen, sagt Thomas Schulze Altcappenberg. Die so lange gemeinsame Geschichte habe sie aber erstmals zusammengeführt.

Bauern, deren Familien über Jahrhunderte die Region geprägt haben, kamen während des Hoffests zusammen (v. l.): Paul Altfeld, Dirk Schulze Wethmar, Carl Schulz-Gahmen, Heinrich Schulte-Witten, Thomas Schulze Altcappenberg sowie Angehörige der Familie Schulze Heil. © GUENTHER GOLDSTEIN
Vielleicht führt den einen oder anderen der Weg auch ins Schloss Cappenberg. Dort ist noch bis zum 5. Februar 2023 die Ausstellung „Barbarossa. Das Vermächtnis von Cappenberg“ zu sehen. In einem Flur stehen sie als Pappkameraden in Lebensgröße: der Kaiser, die Ritter, der Bischof, aber auch ein Bauer. Sein Name ist jedoch nicht bekannt. Bestimmt einer der Schulzen.
Leiterin des Medienhauses Lünen Wer die Welt begreifen will, muss vor der Haustür anfangen. Darum liebe ich Lokaljournalismus. Ich freue mich jeden Tag über neue Geschichten, neue Begegnungen, neue Debatten – und neue Aha-Effekte für Sie und für mich. Und ich freue mich über Themenvorschläge für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen.
