Die schlechte Nachricht zuerst: Der Cappenberger Kopf ist - anders als seit 130 Jahren vermutet - wohl gar kein Barbarossakopf. Es gibt aber auch gute Nachrichten von der Tagung im Schloss.

Cappenberg

, 30.09.2019, 18:17 Uhr / Lesedauer: 3 min

Friedrich Philippi hat den Historikerinnen und Historikern die ganze Sache eingebrockt. 1886 war es, als der Archivdirektor von Münster einen bahnbrechenden Aufsatz veröffentlichte: „Die Cappenberger Porträtbüste Kaiser Friedrichs I.“. Seitdem ist die Sache mit dem Barbarossakopf in der Welt.

Fesselnder Blick, lange, schmale Nase, Korkenzieherlocken, kurzer Hipster-Bart und auffallende Stirnwulsten: So soll der 1122 geborene Stauferkaiser Friedrich I. Barbarossa ausgesehen haben - eben genauso wie der 34 Zentimeter kleine vergoldete Bronzekopf aus dem Kirchenschatz der Cappenberger Stiftskirche.

These ist seit der Tagung nicht mehr zu halten

Er gilt als die erste unabhängige Porträtdarstellung der abendländischen Kunst seit der Zeit der Karolinger - eine These, die spätestens seit der Tagung am 27. und 28. September auf Schloss Cappenberg nicht mehr zu halten ist.

Voll besetzt war der Zuschauerraum während der Tagung.

Voll besetzt war der Zuschauerraum während der Tagung. © Sylvia vom Hofe

Zum Thema „Cappenberg, der Kopf, das Kloster und seine Stifter“ haben auf Einladung des Rotary-Clubs Kaiser Barbarossa zwei Tage lang 20 renommierte Mittelalter-Experten im Theater des Schlosses vor Fachkollegen aus dem ganzen Land, Studenten, Gymnasiasten und interessierten Laien doziert und gestritten - mit einem klaren Ergebnis.

„Dieser Kopf ist nie ein autonomes Herrscherbildnis gewesen.“ Das sagt der wissenschaftliche Leiter der Tagung, Prof. Dr. Knut Görich aus München, als die Tagung noch keine zehn Minuten dauert.

„Eigentlich ist alles ganz einfach“

„Der einzige Zweck des vergoldeten Cappenberger Kopfes sollte darin bestehen, einen Heiligen zu repräsentieren, dessen Reliquien im Sockel gefasst waren“, bekräftigt 30 Stunden später Prof Dr. Michael Brandt aus Hildesheim. Dazwischen liegen Verdachtsmomente, Indizien und eine bahnbrechende neue Theorie.

„Ich glaube nicht, dass der Sachverhalt so komplex ist“, sagt Clemens Bayer, der in Bonn und Lüttich forscht. Im Gegenteil: Die Sache sei sogar ganz einfach, wenn man voraussetzungslos - das heißt ohne Philippi und dessen Barbarossakopf-Zuschreibung - an sie herangehe. Dann sei nur eine Schlussfolgerung möglich: „Es gab ursprünglich zwei Köpfe, und einer ist weggekommen.“

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Der „silberne Kopf nach dem Bild eines Kaisers“ sei verschwunden. Von diesem Silberkopf war in Otto von Cappenbergs (1100-1171) sogenanntem Testament die Rede. Die Vermutung es handele sich um einen Schreibfehler und der dort gemeinte Kopf sei in Wahrheit golden - wie der erhaltene Cappenbeger Kopf - sei „mehr als unwahrscheinlich und daher Unsinn“, so Bayer.

Bayer: Otto hat den Goldkopf in Auftrag gegeben

Bayer geht davon aus, dass Kaiser Barbarossa seinem Taufpaten, Otto von Cappenberg, tatsächlich bei passender Gelegenheit Geschenke gemacht hat: die sogenannte silberne Taufschale, die in Wahrheit ein Handwaschbecken sei, und einen passenden silbernen Kopf, dessen Züge Ähnlichkeiten mit dem Kaiser hatten. Der goldene Kopf sei dagegen kein Geschenk Barbarossas, sondern eine Auftragsarbeit von Otto selbst.

In dem Kopf befinden sich zahlreiche Reliquien, auch vom Heiligen Johannes, wie auf der Gravur zu lesen ist.

In dem Kopf befinden sich zahlreiche Reliquien, auch vom Heiligen Johannes, wie auf der Gravur zu lesen ist. © Sylvia vom Hofe

Der Klostergründer sei ein großer Verehrer des Heiligen Johannes gewesen, dem die Stiftskirche bis heute geweiht ist. Reliquien dieses Heiligen hatte er schon lange. Vor seinem Ableben wollte er sie aber besonders eindrucksvoll präsentiert wissen, damit sich auch die Nachwelt an ihn erinnere und für sein Seelenheil bete.

„Stimmt“, sagt Dr.Petra Marx vom LWL-Museum für Kunst und Kultur Münster. Sie war dabei, als Wissenschaftler im Juli 2019 den goldenen Kopf vorsichtig öffneten und die darin verwahrten Reliquien katalogisierten: „Unter anderem auch Reliquien des Heiligen Johannes Evangelist.“

Erste Verdachtsmomente aus dem Jahr 1977

Diese Begutachtung des weltbekannten Kopfes und seines Inhalts habe ein paar Stunden gedauert. Eine andere Untersuchung, die 1977/78 erfolgte, war wesentlich umfangreicher - und ihre nie veröffentlichten Erkenntnisse waren bahnbrechender.

Auch wenn die damals damit betrauten Wissenschaftler „keine eindeutigen Hinweise“ gefunden hätten, sei ihr Verdacht doch sehr stark, dass es eine sogenannte Gusshaut in der Inschrift des Kopfes gebe, sagt Prof. Dr. Henrike Haug aus Dortmund: ein Indiz dafür, dass der Text - unter anderem: „Was hier bewahrt wird, ist vom Haupt des Johannes“ - gleichzeitig mit dem Guss entstand und nicht, wie lange vermutet wurde, erst nachträglich.

Von neuen Untersuchungen des Kopfes nach aktuellen technischen Methoden verspricht sich Haug bis 2022, dem Jubiläumsjahr „900 Jahre Barbarossa und 900 Jahre Schenkung von Cappenberg“, noch eindeutigere Belege.

Die Cappenberger Verlustängste

Prof. Görich genügen die vorliegenden Hinweise schon, um zu ahnen, dass es in Cappenberg „Verlustängste“ geben könne. Zu Unrecht, wie er in seinem Schlusswort betont. Auch wenn der Cappenberger Kopf nicht mehr Barbarossakopf heißen könne: „Es handelt sich um ein Kunstwerk von exzeptionellen Rang: ein Meisterstück, das weit und breit Seinesgleichen suche - und das nicht auf den Kaiser, sondern auf den Cappenberger Stifter zurückgehe.

„Das einzige Objekt, das fraglos mit Kaiser Barbarossa in Verbindung steht, ist die sogenannte Taufschale“, so Görich. Die befindet sich allerdings nicht in Cappenberg, sondern in Berlin. Das soll sich 2022 zumindest für einige Monate ändern. Dann werde Kopf und Schale in Cappenberg ausgestellt.

So kommentiert Sylvia vom Hofe

Nicht nur den Kopf zerbrochen

Wissenschaftler haben sich zwei Tage lang den Kopf zerbrochen während einer für die Region bislang einzigartigen, hochkarätig besetzten Tagung - und am Ende haben die meisten gebrochen mit einer Erzählung, die seit mehr als 130 Jahren als wahr galt: die von dem goldenen Kopf, der das Porträt von Kaiser Barbarossa sei. Eine Art Passbild aus dem Mittelalter. Und was für eines: Es ziert bis heute Barbarossa-Bücher, Barbarossa-Ausstellungen und sogar Barbarossa-Briefmarken. Kopf gleich Barbarossa: Angezweifelt hat das lange nie jemand. Und als 1977 Wissenschaftler doch Bedenken hatten, wurden die nie laut. Unerschütterliche Beweise gibt es immer noch nicht, aber starke Indizien: Der Barbarossakopf ist vermutlich ein Johanneskopf, das Bild des kriegerischen weltlichen Herrschers das eines sanften Heiligen. Das darf eigentlich niemanden erschüttern. Und es hat sogar Vorteile. Die selbstbewusste Cappenberger Stiftsgeschichte, die mitunter hinter der des rotbärtigen Staufers etwas verschwand, rückt jetzt noch stärker in den Fokus. Aber klar: Etwas Wehmut ist auch dabei, das erste und berühmteste Barbarossa-Bildnis zu verlieren. Prof. Dr. Gerhard Lubich, Historiker der Uni Bochum, fand tröstende Worte: „Meine Frau sagt immer zu mir: Du bist nicht reich, du bist nicht schön und auch nicht so klug, wie du glaubst. Für mich bist du aber etwas ganz Besonderes.“ Das ist der goldene Kopf auch: für Wissenschaftler, Kunst- und Geschichtsinteressierte, für Kulturreisende und Touristen und für Cappenberg und Selm sowieso.