
Dr. Christa Wördemann-Czyperek im Innenhof des Schlosses Nordkirchen. Sie hat noch ein zweites Bild aus dem Nachlass ihrer Mutter mitgebracht. Vermutlich zeigt es Maria Magdalena. © Sylvia vom Hofe
Kunst-Erbin in Nordkirchen: „Bilder gehören ins Schloss und nicht übers Sofa“
Schloss Nordkirchen
Christa Wördemann-Czyperek (61) hat der Hochschule für Finanzen im Schloss Nordkirchen zwei wertvolle Bilder gespendet: „Die gehören dahin“ - und nicht übers Sofa, sagt sie.
Der Adler hat seine Flügel weit gespannt. Die kleinen, braunen Augen blitzen angriffslustig. Dr. Christa Wördemann-Czyperek hat dennoch keine Schwierigkeiten, den majestätischen Vogel zu bändigen. Er ist schließlich aus Öl, auf eine Leinwand gebannt und in einen Rahmen gefasst. Und er müsste eigentlich zufrieden sein. Denn er kehrt gerade heim. Die gebürtige Nordkirchenerin ist auf jeden Fall froh. Sie steht im Innenhof des Schlosses Nordkirchen, lächelt und hält den Adler mit beiden Händen fest - ein letztes Mal.
Christa Wördemann-Czyperek ist aus dem Westmünsterland in ihren Geburtstort gekommen, um Abschied zu nehmen. Sie trennt sich von zwei Gemälden, die sie kennt, seitdem sie auf der Welt ist: seit 61 Jahren. Immer hing der Adler in Omas guter Stube. Und auch Maria Magdalena auf dem anderen Bild war für sie schon immer da. Aber nicht schon immer im Familienbesitz.
Dahin kamen die beiden Kunstwerke eher spontan in den 1950er-Jahren. „Der Herzog vor Arenberg hat die beiden Gemälde meinem Großonkel geschenkt“, erzählt die Gymnasiallehrerin. Vielleicht aus Dankbarkeit. Vielleicht aus gekränkter Ehre. „Ich muss das Schloss verkaufen“, soll er gesagt haben: „Nehmen sie mit, was sie kriegen können.“ Eine Botschaft, da ist Wördemann-Czyperek sicher, die nicht nur ihr Großonkel damals so vernommen habe.
Neuer Verwaltungschef Göttker wünscht sich Nachahmer
Tatsächlich fehlen im westfälischen Versailles viele Gemälde und Möbelstücke, die noch zur Jahrhundertwende dort waren. Alte Schwarz-Weiß-Fotos zeigen die Ausstattungsgegenstände des herrschaftlichen Anwesens. „Heute finden wir sie aber nicht mehr vor“, sagt Stefan Göttker, der neue Verwaltungsleiter der Hochschule für Finanzen NRW, die im Schloss residiert - seit 1949 als Mieterin und seit 1958 als Eigentümerin. Diese Leerstellen zu füllen und der Allgemeinheit wieder zugänglich zu machen, ist sein Wunsch. Christa Wördemann-Czyperek hat ihn gehört, ohne dass er ihn überhaupt formuliert hätte. Für sie gab eine Reise nach Berlin den Ausschlag.
Sie und ihr Mann hatten sich in der Hauptstadt die sogenannten Benin-Bronzen angesehen: wertvolle Kulturgüter aus Nigeria. 1897 hatten britische Kolonialtruppen 3500 bis 4000 Bronzen aus dem Königspalast in Benin City im heutigen Nigeria geraubt und die Stadt in Brand gesetzt. Rund 1100 Bronzen waren als Ankäufe nach Deutschland gelangt, allein 440 nach Berlin. Das war alles legal, aber nicht legitim, wie inzwischen übereinstimmend alle staatlichen Stellen festgestellt haben. Sie haben beschlossen, im zweiten Halbjahr 2022 eine Vereinbarung über eine Eigentumsübertragung und Leihgaben mit den zuständigen Stellen in Nigeria zu schließen. „Die Bronzen gehören nach Afrika“, sagt Christa Wördemann-Czyperek. Und die Bilder aus Omas guter Stube ins Schloss Nordkirchen. Auch wenn niemand sie von dort gewaltsam entrissen habe, anders als die einstigen Kolonialherren die Beutekunst.

Stefan Göttker, der neue Verwaltungsleiter der Hochschule für Finanzen in Nordkirchen, zusammen mit Dr. Christa Wördemann-Czyperek im Innenhof des Schlosses Nordkirchen. © Syövia vom Hofe
Der Anfang ist getan. Zwei Hausmeister der Hochschule für Finanzen tragen Adler und Maria Magdalena die Treppen ins Innere des berühmten Wasserschlosses aus roten Ziegeln und gelb-weißem Sandstein hinauf. „Wir werden versuchen, herauszufinden, wo die Gemälde ursprünglich hingen“, sagt Göttker, während er den beiden zusammen mit der Spenderin hinterher schaut. Im Idealfall werde sich eine historische Aufnahme finden, die darüber Aufschluss gibt. Oder eine Bestandsliste.
Hochschule für Finanzen macht Kunst zugänglich
Auch Göttker weiß, dass sich die Uhr nicht zurückdrehen lässt. „Das Schloss ist als moderne Hochschule ein Ort der Begegnung und kein Museum“, sagt er klipp und klar. Dennoch wäre es für alle Nutzerinnen und Nutzer schön, möglichst viel des ursprünglichen Charakters des Schlosses zu erhalten. Der hatte sich im letzten Jahrhundert immer wieder geändert: schlagartig und massiv und manchmal sogar endgültig.
Der 1. Oktober 1903 bildet so eine Zäsur: einer dieser milden, aber verregneten Herbsttage, der längst vergessen wäre, wenn an ihm nicht das Schloss Nordkirchen den Besitzer gewechselt hätte - sechs Jahre, nachdem Graf Nikolaus Josef von Esterhazy, der berühmte Pferdezüchter, gestorben war, ohne einen Nachkommen hinterlassen zu haben. An diesem ungemütlichen Regentag übernimmt die Familie von Arenberg. Herzog Engelbert-Maria hat das ganze Anwesen gekauft für sechs Millionen Goldmark und einem Versprechen: Inventar, das Esterhazys ungarische Verwandten noch gerne hätten, könnten sie auch nach Vertragsabschluss abholen lassen. Und das taten sie auch - nicht der letzte Exodus von Kunstwerken aus dem Schloss Nordkirchen.
Herzog von Arenberg hat viel investiert in Nordkirchen
Der aus Belgien stammende Herzog von Arenberg, der durch den Bergbau im Vest Recklinghausen ein Vermögen gemacht hat, macht es zunächst aber umgekehrt: Er kauft, schafft Kunstwerke und Mobiliar für seinen repräsentativen Wohnsitz an, renoviert, baut um und erweckt den Park wieder zu barocker Schönheit.

Aus dem Jahr 1910 stammt dieses Foto. Es gibt einen Einblick, wie das Schloss Nordkirchen einst eingerichtet war. Zu diesem Zeitpunkt bewohnte Familie von Arenberg das Schloss bereits. © Mummenhoff/Dethlefs: Schloss Nordkirchen
Der Adelige, der durch den Bergbau im Vest Recklinghausen seien Reichtum extrem vergrößert hat, ist gerade dabei, das Schloss wieder zu einem gesellschaftlichen Mittelpunkt der ganzen Region zu machen - sogar der Kaiser und sein Hofstaat haben sich angemeldet für einen mehrtägigen Aufenthalt -, als die Weltgeschichte einen Strich durch die Rechnung macht. Der erste Weltkrieg bricht aus. Die extra geschaffenen neuen Unterbringungsmöglichkeiten - jeweils ein Pavillon ist zwischen die Schlossflügel und zwischen Kapellen- und Dienerflügel getreten und schließen den Ehrenhof seitdem rundum ab - werden nie bezogen von den hohen Gästen.
1914 geht alles ganz schnell: Baustopp auf dem Schlossgelände, Abzug der zum großen Teil belgischen Handwerker, Verpacken der Gobelins aus dem Hauptsaal und Abtransport nach Brüssel. Später, als der Krieg beendet ist, reisen die von Arenbergs sofort hinterher. Kurze Zeit später folgen vier Lastwagen beladen mit den Wandteppichen des flämischen Malers David Teniers und dem kostbaren persönlichen Besitz der Familie.
Inventar und Kunstwerke im Erbprinzenflügel zusammengetragen
Was zurückbleibt an Kunstschätzen, kommt in den Ostflügel, den sogenannten Erbprinzenflügel. Denn dort wohnt Engelbert Karl von Arenberg, wenn er denn nicht in Nizza oder anderen Besitzungen weilt. Mit dem Schloss Nordkirchen geht es von nun an bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs bergab: zunächst besetzt von Kommunisten, dann umgewandelt in ein Erholungsheim für die Reichspost, Reichsführerschule der NSDAP, Sitz der herzoglichen Verwaltung Meppen und Recklinghausen und schließlich auch Kunstdepot für verschiedene Museen, während draußen im Schlosspark ein Kriegsgefangenenlager entsteht. Bei Kriegsende zeigt sich das Schloss zwar von Bomben und anderen Treffern weitgehend verschont, aber dennoch so verfallen wie nie. Dem Verfall folgt der Ausverkauf.

Schloss Nordkirchen von oben im Februar 2021. Der barocken Gartenanlage gehörte die besondere Vorliebe des Herzogs von Arenberg. © Goldstein
Eugen Mummenhoff und Gerd Dethlefs haben in „Schloss Nordkirchen“ nüchtern aufgeschrieben, was Dr. Christa Wördemann-Czyperek erzählt: Inventar des Schlosses, das die Finanzschule nicht benötigte, sei ab 1950 „auf andere Besitzungen der Familie“ von Arenberg gebracht worden. Anderes wurde verschenkt oder „von Angestellten des Herzogs teils auch unter der Hand an Dorfbewohner verkauft“.
„Ich glaube ganz sicher, dass nicht nur in der guten Stube meiner Oma Bilder aus dem Schloss hingen“, sagt die Spenderin von Adler und Engel. Sie werde immer einmal wieder zurückkommen zum Schloss, um die beiden Gemälde zu besuchen. „Und vielleicht treffe ich dann auch künftig andere dort an.“
Leiterin des Medienhauses Lünen Wer die Welt begreifen will, muss vor der Haustür anfangen. Darum liebe ich Lokaljournalismus. Ich freue mich jeden Tag über neue Geschichten, neue Begegnungen, neue Debatten – und neue Aha-Effekte für Sie und für mich. Und ich freue mich über Themenvorschläge für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen.
