Ferdinand Zangerl Baumeister der Buddenburg in Lünen: Überfallen, geschlagen und vergessen

Baumeister der Buddenburg in Lünen: Überfallen, geschlagen und vergessen
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Schroffe, dunkle Bergmassive erheben sich da, wo der kleine Ferdinand zur Welt kommt: am 20. April 1813 auf einem kleinen Bauernhof im Stanzertal in Tirol. Dass er einmal 800 Kilometer nördlich in Lünen, wo es statt der Alpen nur Bergehalden gibt, ein großes Schloss bauen wird, hat ihm niemand an der Wiege gesungen. Dass er trotz der großen Leistung als Baumeister sowohl in Lünen als auch in Bork, wo er wohnte, nahezu vollkommen in Vergessenheit geraten würde, ebenfalls nicht.

In seiner Tiroler Heimat heißen heute viele wir er: Zangerl. Der Wirt der Après-Ski-Bar „Kitzloch“ im Wintersportparadies Ischgl etwa. Oder der Präsident der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Tirol. Wenn sie von Krise sprechen, dann meinen sie die Corona-Krise und ihre Folgen für den Tourismus. Ihre Vorfahren hatten 200 Jahre zuvor mit einer anderen Krise zu kämpfen: die äußerst geringen Bodenerträge der alpinen Region und die damit verbundene bittere Armut, die Eltern zum Äußersten trieb. Viele schickten eines oder gar mehrere ihrer Kinder zum Arbeiten in die Fremde.

Ferdinand Zangerls Grabstein steht in Bork gegenüber des Amtshauses. Die Inschrift ist nicht mehr zu entziffern.
Ferdinand Zangerls Grabstein steht in Bork gegenüber des Amtshauses. Die Inschrift ist nicht mehr zu entziffern. © Sylvia vom Hofe

Wie alt Ferdinand Zangerl ist, als er die Heimat verlässt, ist nicht überliefert. Vermutlich ist er älter als die sogenannten Schwabenkinder, die bereits mit acht Jahren in Schwaben oder anderswo fern von ihren Eltern Vieh hüten und schwere Stall- und Feldarbeit verrichten müssen. Denn Ferdinand kann immerhin noch eine Ausbildung absolvieren und wird Maurer. Doch den Menschen im Tal fehlt das Geld, um Häuser zu bauen. Den jungen Handwerker, der im selben Jahr geboren ist wie der Gesellenvater Adolph Kolping, zieht es erst nach Köln und dann weiter ins Ruhrgebiet: da, wo die Industrialisierung für Aufbruchstimmung sorgt.

Baumeister gründet in Bork Unternehmen

Zangerl lässt sich in Bork nieder: im Haus Hauptstraße 1. Dort wohnt er nicht nur, sondern gründet auch eine eigene Baufirma, die schnell von sich reden macht. Im Jahr 1845, als die Region unter einem harten Winter, Überschwemmungen und Missernten leidet, erhält er den Auftrag, von dem Baumeister träumen. Er soll nicht wie sonst ein Wohnhaus, ein Geschäft oder eine Mühle bauen, sondern ein Schloss: die neue Buddenburg in dem damals noch selbstständigen Lippholthausen.

Dieses Fotos von Schloss Buddenburg wurde um 1900 aufgenommen. Die Holzbrücke über die Lippe wurde am 18.5.1923 von französischen Besatzungssoldaten gesprengt.
Dieses Fotos von Schloss Buddenburg wurde um 1900 aufgenommen. Die Holzbrücke über die Lippe wurde am 18.5.1923 von französischen Besatzungssoldaten gesprengt. © Stadtarchiv

Bereits ein Jahr später - 1846, als Adolph Kolping den Gesellenverein als Schutzgemeinschaft für wandernde Handwerker gründet - hat es der Maurer, der über die Alpen zog, geschafft. Der klassizistische Prachtbau an der Lippe ist fertig. Haupthaus mit laternenbekrönter Kuppel und zwei vorgelagerten zweigeschossigen Pavillons, ähnlich dem Schloss Tegel bei Berlin, nur etwas größer.

Postkartenmotiv für das einstige Heilbad Lippholthausen

Ein Postkartenmotiv für die Ewigkeit, wie es scheint. Doch während der Vorgängerbau, die 1338 von Evert Vridach errichtete Buddenburg, mehr als 500 Jahre Bestand hatte, wird der vom Freiherrn August von Frydag (1802–1875) beauftragte Nachfolger bereits 131 Jahre später abgerissen werden.

Als die von Frydags in ihr prächtiges neues Zuhause einziehen, ist daran noch nicht zu denken. Obwohl: Lippholthausens Stern hatte bereits angefangen zu sinken. 15 Jahre vor dem großen Bauauftrag für Zangerl waren die Mineralwasserquellen versiegt, die Lippholthausen etwa 50 Jahre zuvor weithin bekannt gemacht hatten - als Heilbad mit Kurhaus am „Lüner Brunnen“, Spielbank, Badehaus und sogar einem Geschäft für englische und französische Modewaren.

Nur die Hecke weist darauf hin, dass auf diesem Gelände in Lippholthausen seit dem 13. Jahrhundert die Buddenburg stand. Die Hecke steht auf den einstigen Grundmauern des klassizistischen Baus aus dem Jahr 1846.
Nur die Hecke weist darauf hin, dass auf diesem Gelände in Lippholthausen seit dem 13. Jahrhundert die Buddenburg stand. Die Hecke steht auf den einstigen Grundmauern des klassizistischen Baus aus dem Jahr 1846. © Günther Goldstein

1902 stirbt der letzte Freiherr von Frydag kinderlos. Das Schloss fällt an seinen Neffen, Udo von Rüxleben. Es bringt ihm aber kein Glück. In der Nacht auf den 2. Mai 1908 erschießt die 26 Jahre alte Wanda von Rüxleben ihren Ehemann und dann sich selbst. Der mächtige Bau steht leer. In Lippholthausen, das seit 1914 zu Lünen gehört, machen Spukgeschichten die Runde.

Gruseln lässt auch der weitere Werdegang von Zangerls größtem Werk. Die Stadt Lünen übernimmt das leer stehende Haus und verpachtet es 1934 an die Nazis, die das Schloss zu einer Bildungseinrichtung für den Reichsarbeitsdienst machen. Adolf Hitler steht auf der Freitreppe, um dort eine Parade abzunehmen. Vier Jahre später bekommt das Schloss zwei Nachbarn, die das herrschaftliche Anwesen an Größe bei Weitem in den Schatten stellt: direkt nebenan das Lippewerk, das Aluminium herstellt, und etwas weiter das Steag-Kraftwerk, das den Strom für die Produktion liefert.

Nach Kriegsende geht es Schlag auf Schlag: Das Schloss wird Flüchtlingsunterkunft, Förderschule und Dependance der Dortmunder Werkkunstschule. Schließlich kaufen die Vereinigten Aluminium-Werke Schloss und Schlosspark.

So sah das Schloss von Lippholthausen  in den 1950er-Jahren aus. 1977 wurde es abgerissen
So sah das Schloss von Lippholthausen in den 1950er-Jahren aus. 1977 wurde es abgerissen. © Stadtarchiv

Auf dem Zenit ihres Schaffens - das Unternehmen hat 2000 Mitarbeiter - beschließen die VAG den Abriss für Zangerls Prachtbau. Wenig später geht es auch für das Hüttenwerk abwärts. 1993 übernimmt das Entsorgungsunternehmen Rethmann das Lippewerk.

Räuber überfallen Zangerl im Wald von DorstenNahe des Stammsitzes von Rethmann in Selm liegt Ferdinand Zangerl auf dem alten Friedhof gegenüber des Borker Amtshauses begraben. Die Inschrift des Grabsteines ist längst verblichen.

Im Frühjahr 1865 reitet Zangerl nach Dorsten zu einer seiner Baustellen. In seiner Satteltasche hat er Lohngelder für die Arbeiter. Im Naturschutzgebiet Hervester Bruch, einem Waldgebiet, überfallen ihn zwei Räuber. Sie bestehlen ihn nicht nur, sondern treten immer wieder auf ihr Opfer ein. Der Mann aus Tirol rettet sich zwar irgendwie nach Hause, kann sich aber nie mehr von den inneren Verletzungen erholen.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel ist zum ersten Mal im Juli 2022 erschienen.