Es gab Zeiten, etwa während des Umbaus der Kreisstraße, da gab es in Selm jede Menge zusätzliche Verkehrsschilder, um zum Beispiel Umleitungen zu kennzeichnen. Auch mal verwirrend. Und so mancher Autofahrer und so manche Autofahrerin oder auch LKW-Fahrer - vor allem von auswärts - haben sich damals wohl gefragt, ob das alles so richtig ist.
Einen solchen Schilderwald hat Selm nach Fertigstellung der Kreisstraße nicht wieder in dem Maße erlebt. Aber sind alle Verkehrsschilder auf Selmer Stadtgebiet notwendig? Diese Frage haben sich einige Menschen 1998 gestellt und eine Aktion initiiert, die ein bundesweites Medienecho nach sich zog, deren Ruf sogar bis nach Asien hallte.
Christo gab die Idee
25 Jahre ist das her. Die Aktionswoche „(K)ein Schild in Selm“ begann am 10. Mai 1998. Helfer zogen durch das Selmer Stadtgebiet, um Verkehrsschilder mit gelben Tüten abzuhängen. Die Idee zur Aktion hatte Günter Trunz, der damals beim Allgemeinen Deutschen Automobil Club (ADAC) Westfalen in Dortmund arbeitete.
Hintergrund waren Forschungserkenntnisse, dass Autofahrer und andere Verkehrsteilnehmer nur eine begrenzte Wahrnehmungsfähigkeit haben. Ein bis zwei Informationen können sie pro Sekunde verarbeiten, so Trunz. Stehen zu viele Schilder an einer Stelle, kann der Autofahrer sie nicht alle auf einmal sehen. Wichtige und sicherheitsrelevante Informationen könnten somit verloren gehen.
Aber wie rückt man dem Schilderwald zu Leibe? Der Verpackungskünstler Christo hatte 1995 den Reichstag verhüllt. Das gab letztendlich den Ideen-Anschub für die Aktion „(K)ein Schild in Selm“. Trunz fand in Selm eine geeignete Stadt - nicht zu groß und mit einer Verwaltung, die mitziehen wollte. Der damalige Stadtdirektor Peter Vaerst habe sofort zugesagt, als die Anfrage kam, sagt Gerhard Werminghaus, langjähriger Stadtplaner von Selm. Er war damals quasi der Koordinator für die Aktion. Wobei klar gewesen sei, dass Grundregeln der Straßenverkehrsordnung auf keinen Fall durch das Verhüllen eines Verkehrsschildes verletzt werden durften. Letztendlich wurden 600 Schilder in Selm verhüllt. Fachleute kamen in die Stadt. Bürger diskutierten mit.

Das bundesweite Medienecho war groß. Selm stand für ein paar Tage ganz vorn im Fokus der Aufmerksamkeit. Und selbst das japanische Fernsehen hatte Interesse. Eine Verkehrskommission entschied damals bei jedem verhüllten Schild: Soll die Hülle wieder weichen? Kann das Schild gleich abgebaut werden? Die Experten zeigten so auch den Bürgern gleich an Ort und Stelle, dass über die Schilder nachgedacht wird und sie nicht willkürlich verhüllt wurden. Am Ende der Aktionswoche standen an Selms Straßen 471 Schilder weniger, wie der ADAC festhielt.
Die Notwendigkeit, sich mal des Schilderwaldes anzunehmen, hat der damalige Selmer Stadtdirektor Peter Vaerst in seinem Grußwort zur Broschüre, die nach der Aktion aufgelegt wurde, unter anderem so begründet: „Der Schilderwald in unseren Städten hat im Laufe der Zeit an Dichte und Vielfalt ein nicht mehr zu akzeptierendes Ausmaß angenommen. Vom Verkehrsteilnehmer ist er kaum zu begreifen, vom Steuerzahler in Anschaffung und Unterhalt kaum mehr zu bezahlen und vom Bürger wird er als immer weniger hinnehmbares Verschandeln des Stadtbildes empfunden.“

25 Jahre nach der Aktion „(K)ein Schild in Selm“ schätzt Peter Vaerst die aktuelle Lage so ein: „Im Mai diesen Jahres wird die bundesweit beachtete Aktion zum Abbau des Schilderwaldes in Selm auf ein 25-jähriges Jubiläum zurückblicken können. Von damals 1.110 Verkehrsschildern konnten 471 Schilder, also gut 43 Prozent, als überflüssig abgebaut werden. Man darf prognostizieren, dass eine aktuelle Wiederholung der Aktion ähnliche Ergebnisse erzielen würde! Woran liegt das?“
Weiter erklärt er: „Sicher an der nie nachlassenden Regelungswut des Gesetzgebers, dem ständig wachsenden Verkehr, der bei gleichzeitiger nachlassender Beachtung der Verkehrsregeln durch die Verkehrsteilnehmer nach Ordnung ruft und sicher auch an den örtlichen Straßenverkehrsbehörden, die einerseits niemand in ihrem Schildereifer bremst und sich andererseits einem Haftungsrisiko ausgesetzt sehen, wenn sie Gefahrenstellen nicht ausreichend markieren. Schon weil die Anschaffung, Aufstellung und Wartung der Schilder mit den damit auch verbundenen Personalkosten die öffentlichen Haushalte belastet, würde sich eine regelmäßige Verkehrsschau in den Städten sehr lohnen. Dazu bedarf es aber eines Willens, den die Akteure der Aktion vor 25 Jahren nachhaltig gezeigt haben.Was überhaupt nicht gebraucht wird, ist die Anschaffung von Geräten zur Geschwindigkeitsmessung auch seitens der Kommunen. Das ist reine Geldschneiderei!“
Keine weitere Überprüfung
Wie viele Verkehrsschilder sind eigentlich seitdem in Selm wieder aufgestellt worden? In der jüngsten Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses hat Stefan Kühnhenrich (SPD) diese Frage Bürgermeister Thomas Orlowski gestellt. „Wir haben keinen Überblick, wie viele Schilder neu aufgestellt worden sind“, lautet die Antwort.
Wäre es denn denkbar, eine solche Aktion, wie sie vor einem Vierteljahrhundert gelaufen ist, zu wiederholen? Auch dazu äußerte sich Orlowski in der Ausschusssitzung: „Wir haben nicht vor, noch mal wie damals eine solche Überprüfung zu machen.“ Der Selmer Bürgermeister fügt daran aber auch an: „Wenn es Schilder gibt, bei denen uns angeraten wird, zu überprüfen, ob sie sinnvoll sind, dann machen wir das auch.“
- Was sagen Sie, liebe Leserinnen und Leser? Gibt es in Selm, Bork und Cappenberg Verkehrsschilder, die an der Stelle keinen Sinn machen? Dann nennen Sie uns die Standorte der Schilder und schreiben uns, warum das Schild aus Ihrer Sicht abgebaut werden sollte.
- Mailen Sie uns Ihre Meinung unter dem Stichwort „Verkehrsschilder“ an die Adresse selm@ruhrnachrichten.de.
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