900 Jahre Cappenberg

Berühmtes Maislabyrinth öffnet 2022 mit Botschaft, dass Frieden möglich ist

Als Benedikt Lünemann 2019 das Bild von Greta Thunberg in seinen Mais fräste, ist das um die Welt gegangen. Das Motiv, das der 38-jährige Landwirt jetzt schuf, ist ebenfalls international.

Cappenberg

, 10.07.2022 / Lesedauer: 4 min

Ein Bild sagt mitunter mehr als 1000 Worte. Benedikt Lünemann (38) weiß das. Jahr für Jahr sucht er sich deshalb aktuelle Themen, um die mediale Aufmerksamkeit für Botschaften zu nutzen, die ihm wichtig sind. Und die auch ohne Worte zu verstehen sind. Vorausgesetzt, man kann aus dem Himmel herabschauen - oder hat eine Drohne, oder zumindest Fotos aus der Vogelperspektive. Denn die Bilder, die Lünemann erschafft, passen auf keine Staffelei. Sie befinden sich auf einem 25.000 Quadratmeter großen Untergrund: seinem Maisacker direkt neben dem heimischen Hof in Selm-Bork.

Maislabyrinth und Hofcafé geöffnet

Benedikt Lünemann malt nicht mit Farbe und Pinsel, sondern mit dem Radlader und einem vorgebauten Gerät der Marke Eigenbau: eine schmale Kombination aus Grubber und Egge. Wie ein Rasenmäher XXL kappt er so die jungen Pflanzen, wohin er auch lenkt. Eigentlich ein Graus für einen Landwirt, vielversprechende Pflanzen zu vernichten, obwohl sie längst noch nicht erntereif sind. Der junge Familienvater tut das aber mit einem höheren Ziel: Er will Aufmerksamkeit erzielen für sein Bild und dessen nonverbale Botschaft, aber auch - nur von der Kunst alleine lebt es sich eben auch auf der Nahtstelle zwischen Ruhrgebiet und Münsterland nicht gut - Aufmerksamkeit für das hofeigene Café und das Maislabyrinth.

Jetzt lesen

Die scharfen Metallzähne entfernen den Mais, wohin der Landwirt sein so gar nicht künstlerisch anmutendes Gefährt hinlenkt. So entstehen seit mehr als zehn Jahren die Konturen für das spätere Bild. Meistens sind es mehrere Motive zu einem Thema. 2019 fräste er sein bislang bekanntestes Bild in den Acker: Das 180 mal 100 Meter große Motiv zeigte das „Fridays for Future“-Logo und darüber die Umrisse von Klimaaktivistin Greta Thunberg. Drohnenfotos davon gingen um die ganze Welt.

Corona-Impfung und Greta Thunberg

2021 prangte ein überdimensional großer Impfarzt auf dem Acker: mit Mundschutz und Spritze: ein Appell, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen und zugleich ein Dankeschön an die Forschung. 2020 setzte Lünemann der EU ein grünes Denkmal: mit Eiffelturm, Brandenburger Tor, der Karlsbrücke in Prag, dem schiefem Turm von Pisa und dem europäischen Stier. In den hatte sich laut der griechischen Mythologie der Göttervater Zeus verwandelt, um Europa, die Tochter des phönizischen Königs, zu entführen, in die er sich verliebt hatte. In diesem Jahr hat Lünemann ein besonderes Kapitel der örtlichen Heimatgeschichte illustriert und mit einem Appell an die ganze Welt verbunden.

Das Vorbild für das Acker-Bild: Die Brüder Gottfried und Otto von Cappenberg - heute ist nicht mehr auszumachen, wer wer ist - zieren dieses Epitaph in der Stiftskirche Cappenberg. © Sylvia vom Hofe

Drei kyrillische Buchstaben sind zu lesen: Myr. „Das heißt Frieden“, sagt Lünemann. Sowohl die Menschen in Russland, das die Ukraine überfallen hat, als auch die Menschen in der Ukraine bezeichnen das ersehnte Schweigen der Waffen mit demselben Wort. Ohne einen Hinweis auf den Krieg in Europa, der mit all seinen Folgen die Menschen wie kaum ein anderes Ereignis beschäftigt, hätte Lünemanns Maisacker-Kunst 2022 nicht auskommen können. Für alle, die die Vokabel nicht zu lesen verstehen, hat er sie auch noch einmal in das allgemeinverständliche Symbol übersetzt: eine Taube. Allerdings ist er mit ihr nicht ganz zufrieden. „Um ehrlich zu sein, sieht sie eher aus wie ein Hähnchen.“ Der Frieden hat es eben schwer in diesem Jahr. Das Hauptmotiv zeigt aber, dass Frieden durchaus möglich ist. Die Geschichte hat es bewiesen - im wenige Kilometer entfernten Cappenberg vor 900 Jahren.

Graf Gottfried von Cappenberg

Zwei Figuren in mittelalterlichen Waffenröcken stehen sich gegenüber. Wer wie Benedikt Lünemann in der Gegend aufgewachsen ist und die Cappenberger Stiftskirche kennt, weiß sofort Bescheid: „Das sind Gottfried und Otto“, stellt Lünemann die beiden vorsichtshalber doch noch einmal vor. Also der letzte Graf von Cappenberg und sein Bruder Otto, die im 12. Jahrhundert lebten und westfälische Geschichte schreiben. In der Stiftskirche steht im Chorraum ein Relief, das Lünemann als Vorbild diente: die zwei Ritter, die in ihren Händen kein Schwert halten, sondern das Modell einer Kirche, der Stiftskirche Cappenberg, die sie gestiftet haben.

Im Jahr 1122 hatten der Graf von Cappenberg und sein Bruder auf sämtlichen Besitz, Titel und Macht verzichtet und ihre Burg umgewidmet zum ersten Prämonstratenser-Kloster auf deutschem Boden. Ein Jahr zuvor waren sie noch dafür verantwortlich, dass bei einer Schlacht in Münster der dortige Dom in Flammen aufging. Diese Kehrtwende vor 900 Jahren feiert Cappenberg in diesem Jahr mit zahlreichen Veranstaltungen. Und mit dem Mais-Labyrinth.

Bruder füttert das Computer-Programm

„Vor zwei Jahren hatten sich Mitglieder des Kirchenvorstandes an mich gewandt mit der Frage, ob mir zu dem Jubiläum irgendwas einfalle“, sagt Lünemann. Das habe er sich nicht zweimal sagen lassen.

Benedikt Lünemann verwandelt seit 2009 seinen Maisacker in Selm-Bork Jahr für Jahr in ein neues Kunstwerk: spannend für Kinder und Erwachsene hindurchzugehen und für alle anderen, es zu beschauen. © Sabine Geschwinder (A)

Der Entwurf war schnell fertig. Benedikt Lünemanns Bruder Jan, der als Physiker in Berlin lebt, hat das Labyrinth-Motiv in Zahlen umgesetzt und damit das selbst geschriebene Computer-Programm gefüttert. das Ergebnis ist eine Abfolge genauer Koordinaten, zu denen Lünemann seinen gefräßigen Radlader lenkt - so wie jedes Jahr. dennoch war dieses Mal etwas anders.

Anstatt an der Arbeit bleiben zu können, musste er wegen anderer Termine immer wieder unterbrechen. Das Ausfräsen begann, als der Mais kniehoch war, und endete, als Lünemann nicht mehr über die Pflanzen hinwegsehen konnte. Nur so, sagt er und lacht, könne er sich auch die etwas verunglückte Taube erklären.

Vielen Dank für Ihr Interesse an einem Artikel unseres Premium-Angebots. Bitte registrieren Sie sich kurz kostenfrei, um ihn vollständig lesen zu können.

Jetzt kostenfrei registrieren

Einfach Zugang freischalten und weiterlesen

Werden auch Sie RN+ Mitglied!

Entdecken Sie jetzt das Abo, das zu Ihnen passt. Jederzeit kündbar. Inklusive Newsletter.

Bitte bestätigen Sie Ihre Registrierung

Bitte bestätigen Sie Ihre Registrierung durch Klick auf den Link in der E-Mail, um weiterlesen zu können.
Prüfen Sie ggf. auch Ihren Spam-Ordner.

E-Mail erneut senden

Einfach Zugang freischalten und weiterlesen

Werden auch Sie RN+ Mitglied!

Entdecken Sie jetzt das Abo, das zu Ihnen passt. Jederzeit kündbar. Inklusive Newsletter.

Sie sind bereits RN+ Abonnent?
Jetzt einloggen