Liv Migdal, Geige, und Matan Goldstein, Cajòn, konzertierten im großen Saal des Bürgerhauses Selm. © Hermann-Peter Steinmüller
Jüdisches Leben
Lesung, Musik und Führung in Selm halten Erinnerung an jüdisches Leben wach
Zu wissen, wie Menschen jüdischen Glaubens leben und gelebt haben, kann helfen, Vorurteile zu entkräften, ja, Schlimmeres zu verhindern. In Selm und Bork hat es bewegende Bemühungen gegeben.
Wie ist es möglich, die Erinnerung an das schwärzeste Kapitel der deutschen Geschichte - die Verfolgung und Ermordung von Menschen jüdischen Glaubens durch die Nationalsozialisten - hoch zu halten? Und zwar so, dass es nie wieder zu Ereignissen kommt, wie ganz aktuell den gescheiterten, weil aufgedeckten Plänen eines 16-Jährigen, einen Anschlag auf die jüdische Synagoge in Hagen zu verüben. Die Antwort auf diese Frage ist: Aufklärung. Immer wieder. Egal, wie lange die Nazi-Gräueltaten her sind. Aufklärung kann auf vielfältige Weise geschehen. Was am Sonntag, 12. September, in Selm und Bork geschah, ist ein Beweis dafür, wie es gelingen kann.
„Musik & Kultur in westfälischen Landsynagogen“ lautet der Titel eines Festivals im Rahmen von „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Eine der Stationen des Festivals war Selm. Und Bork. Und diese Veranstaltung versammelte 50 Teilnehmer, nicht nur aus Selm, sondern auch von außerhalb, wie Manon Pirags, stellvertretende Leiterin der Volkshochschule (VHS) Selm, sagt. Die VHS ist Festivalpartner. Ist diese Resonanz zufriedenstellend? „Nach anfänglich sehr zögerlichen Buchungen erfüllte die Resonanz damit am Ende die Hoffnungen der Veranstaltergemeinschaft.“ Welche Generationen waren vertreten? „Zu 5 Prozent zwischen 20 und 30 Jahren, alle anderen 50+“, berichtet Manon Pirags.
Unveröffentlichter Briefwechsel
Den Programmauftakt bildete im Bürgerhaus Selm eine Lesung des bisher unveröffentlichten Briefwechsels zwischen Marga Spiegel und Imo Moszkowicz. Die aus Hessen stammende Marga Rothschild (1912-2014) verschlug es durch ihre Heirat mit dem Pferdehändler Siegmund Spiegel ins westfälische Ahlen; Imo Moszkowicz (1925-2011) lebte hier als Sohn einer ostjüdischen Schuhmacherfamilie mit sechs Geschwistern. Sie alle wurden deportiert und ermordet. Nur er überlebte Auschwitz, kehrte nach Westfalen zurück und ging ans Theater.
In Ahlen begegneten sich die beiden Überlebenden, ihre geteilten Erinnerungen und die gemeinsame Trauer um die ermordeten Familienmitglieder schufen ein unlösbares Band. Auszüge aus ihrem Briefwechsel stellte die Literaturwissenschaftlerin Iris Nölle-Hornkamp als bewegendes Zeugnis von Mut und Menschlichkeit erstmals öffentlich vor.
Manon Pirags führte die Teilnehmer an der Alten Synagoge Bork. © Hermann-Peter Steinmüller
Anschließend hieß es „Auf jüdischen Spuren in Selm-Bork“. Für die Führung wurde ein Bus eingesetzt, Treffpunkt war das Bürgerhaus. Von dort wurden der Jüdische Friedhof und die Landsynagoge im Ortsteil Bork angesteuert. Der Festival-Tag endete mit einem Konzert im Bürgerhaus. Die Bochumer Musiker Liv Migdal (Violine) und Jona Kümper (Klavier) präsentierten gemeinsam mit Matan Goldstein (Cajón) ein „Musikalisches Kaleidoskop“ unter dem Motto „Jüdische Identität und Vielfalt“.
Nie endende Verantwortung, uns der Erinnerung zu stellen
Welche Bedeutung hat ein solcher Tag mit Informationen zu jüdischem Leben, mit Konzerten und Führungen in der heutigen Zeit, insbesondere in Zeiten, in denen verbale und andere Angriffe auf Menschen jüdischen Glaubens wieder zuzunehmen scheinen? „An einer Stelle im vorgetragenen Briefwechsel zitiert Imo Moszkowicz Brecht: ,Der Schoss ist fruchtbar noch aus dem das kroch‘“, antwortet Manon Pirags. „Die Bedeutung, die Information und Begegnung über und mit jüdischem Leben heute hat, ist nicht hoch genug zu bewerten. Wir haben die ständige und nie endende Verantwortung, uns der Erinnerung zu stellen. Aber erst die Begegnung mit und das Wissen über das Judentum kann dazu führen, Vorurteile und falsches Wissen abzubauen.“
Blick in den Veranstaltungssaal: (v.l.n.r.) Manfred Keller, Festivalleiter, Zwi Rappoport, Vorsitzender des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe, Hanna Sperling und Alexander Sperling, Landesgeschäftsführer. © Hermann-Peter Steinmüller
„Geteilte Erinnerungen, der Austausch über dunkle und helle Erinnerungen, das ist eines der Ziele des ganzen Festivals“, sagt Festivalleiter Dr. Manfred Keller. Das zweite Ziel: „Lebendige Begegnungen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Menschen heute zu ermöglichen.“
Dieses alle ist wichtiger denn je. Hagen ist nur knapp 50 Kilometer von Selm entfernt.
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