Begeisterte Lebensmittelretter aus Selm: (v.l.) Hailey, Anica und Lucien Dreßler mit Jannis Osorio und dem Lüner Foodsaver Kai Schweizer. Der erste Abholschrank steht an der Haus-Berge-Straße 26.

© Marie Rademacher

Lebensmittelretter in Selm: Foodsharing baut Netzwerk auf

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Der erste sogenannte Fairteiler steht vor einem Haus in Selm. Ein kleiner Schrank voll Lebensmittel, die in Supermärkten vor dem Wegschmeißen gerettet wurden. Bedienen kann sich dort jeder.

Selm

, 23.07.2021, 19:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Die Rettung von Lebensmitteln ist für Anica Dreßler eine Herzensangelegenheit. Das merkt man ganz deutlich, wenn sie das Prinzip des Foodsharings erklärt. Die Selmerin gehört zu einem noch recht kleinen Kreis von sogenannten Foodsavern in der Stadt. Was Foodsharing ist, ist schnell erklärt: Der deutschlandweit arbeitenden Initiative geht es darum, Lebensmittel, die eigentlich noch gut sind, vor dem Wegschmeißen zu retten. In Privathaushalten, vor allem aber natürlich in großen - oder kleinen - Supermärkten.

Wie genau das funktioniert, sieht man am Freitagvormittag vor dem Haus der Familie Dreßler. Der Foodsaver Kai Schweizer aus Lünen hat dort gerade eine Kofferraumladung Lebensmittel abgeladen. Schokoküsse, Schokoriegel, Gemüse, Konserven. Die verpackten Sachen stehen kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums - was zwar nicht bedeutet, dass sie schlecht oder nicht mehr genießbar sind. Aber zum Beispiel der Grund, warum die Tafel diese Lebensmittel nicht annimmt.

„Egal ob Obdachloser oder Anwalt“

Die Lebensmittel hat Kai Schweizer in verschiedenen Geschäften in Lünen abgeholt, wo sie sonst im Müll gelandet wären. Einige Sachen auch im Dorfladen in Cappenberg, der mit den Foodsavern zusammenarbeitet. Anica Dreßler räumt zusammen mit ihren Kindern Lucien und Hailey und mit ihrem Mann Jannis Osorio den Schrank ein, der seit dieser Woche neben der Garage steht. Kleiner Ritter heißt der Schrank, aus dem sich jetzt jeder, der möchte, bedienen kann. Täglich von 7 bis 20 Uhr. „Uns ist auch egal ob jetzt ein Obdachloser etwas aus dem Fairteiler nimmt oder ein Anwalt, der zehn Riesen im Monat verdient. Hauptsache die Lebensmittel werden gerettet“, sagt Kai Schweizer. Wobei er es grundsätzlich natürlich gerade schön finde, wenn sozial schwache Menschen von den Lebensmitteln profitieren.

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Der Kleine Ritter ist der erste seiner Art in Selm: Das Foodsharing-Netz, das in der Selmer Nachbarstadt Lünen schon etwa 100 aktive Mitglieder hat, spannt sich in Selm gerade erst langsam aus. Etwa zehn aktive Foodsaver gibt es derzeit in der Stadt, schätzen Anica Dreßler und Kai Schweizer. Seit circa acht Wochen gibt es auch eine Facebook-Gruppe, die rund 200 Mitglieder hat.

Von dem vollen Schrank auf der Selmer Einfahrt macht Kai Schweizer am Freitag ein Bild und stellt es in diese Gruppe. So spricht sich herum, was es dort alles gibt. Kai Schweizer gehört eigentlich zum Foodsharing in Lünen - er ist aber seit ein paar Wochen der „Botschafter in Selm“. Er hilft also, hier Netzwerke auszubauen und Menschen zu finden, die sich ebenfalls für die Lebensmittelrettung engagieren wollen. Einen Lebensmittelschrank - in der Szene Fairteiler genannt - muss man sich dafür auch nicht unbedingt vors Haus stellen. Kai Schweizer zum Beispiel hat keinen eigenen Fairteiler. Er hilft aber immer beim Abholen, Sortieren und Verteilen der Lebensmittel.

„Wir brauchen noch mehr Schränke“

In Lünen gibt es mittlerweile schon mehrere Verteiler - vier normale Schränke und einen Kühlschrank. In Selm bisher nur den bei Anica Dreßler und ihrer Familie. Zu rettende Lebensmittel gibt es aber genug: „Deshalb brauchen wir auch noch mehr Schränke“, sagt die Foodsaverin, die durch eine Lüner Freundin zu der Gruppe gestoßen ist.

Bisher ist auch der Dorfladen in Cappenberg der einzige Lebensmittelmarkt in der Stadt, der mit dem Foodsavern kooperiert. „Es wäre super, wenn sich noch weitere bei uns melden würden“, sagt Kai Schweizer.

Übrigens kann man aus dem Schrank in Selm nicht nur Lebensmittel herausnehmen. Wenn man zu Hause etwas übrig hat, das zu verderben droht, kann man es auch hineinlegen. „Bestenfalls“, so sagt es Anica Dreßler, „kauft man aber so ein, dass es für den Bedarf passt. Der Fairteiler soll jetzt auch keine Tauschbörse oder so sein.“

Für sie und ihre Familie ist mit dem eigenen Fairteiler natürlich Arbeit verbunden: er muss regelmäßig gesäubert werden, verdorbene Lebensmittel werden sofort weggeschmissen. Es fällt dadurch auch deutlich mehr Müll an für die Familie. „Aber das sind alles Kleinigkeiten“, sagt Anica Dreßler. Ihr sei wichtig, mit ihrem Engagement etwas Gutes zu tun. Gute Lebensmittel zu retten und sich gegen Verschwendung einzusetzen. Einmal, so sagt sie, hatte sie auch schon 100 Kilo Kartoffeln gerettet. Da habe sie auf der Straße Autos angehalten und die Menschen darin gefragt, ob sie nicht noch welche brauchten, wie sie lachend erzählt. Durch die Initiative habe sie viele Menschen, viele Leben, viele Einstellungen kennengelernt. Ein großer Gewinn, sagt sie. „Das ist fast schon familiär, richtig schön.“

„Es werden täglich so viele Lebensmittel weggeschmissen“

Ihren Fairteiler hat die Selmer Familie „Kleiner Ritter“ genannt, weil er ein Kämpfer für etwas Gutes ist. Wenn auch erst mal nur ein kleiner. „Es werden täglich so viele Lebensmittel weggeschmissen. Und das in einer Gesellschaft, in der sich noch nicht einmal jeder diese Lebensmittel leisten kann. Es gibt viele Kinder, die ohne Pausenbrot in die Schule gehen, weil ihre Eltern kein Geld dafür haben“, sagt sie. Das Thema ist ihr eben eine Herzensangelegenheit.

Wer mitmachen möchte - ob als Privatperson oder Betrieb - kann sich entweder über die Facebookgruppe (Foodsharing Selm) oder per Mail an Kai Schweizer (k.schweizer@foodsharing.network) wenden. Der Fairteiler Kleiner Ritter von Anica Dreßler steht an der Haus-Berge-Straße 24 in Selm.