Barbarossa
Kreuzzug-Vergleich: Prof. Jaspert greift in Cappenberg dem Kanzler voraus
Putins Krieg sei ein „Kreuzzug gegen den Westen“, sagt Kanzler Olaf Scholz. Warum die Kreuzzüge des Mittelalters bis heute aktuell sind, hatte kurz zuvor Prof. Jaspert in Cappenberg erklärt.
Der goldene Kopf mit seinen ebenmäßigen Zügen, dem lockigen Haar und den großen Augen hat äußerlich nichts zu tun mit dem Gesicht des alten Mannes, der ertrunken ist. Friedrich I., der wegen seines roten Bartes den Beinamen Barbarossa trug, starb im Alter von fast 70 Jahren in den Fluten des Flusses Saleph in der heutigen Türkei. Wenig später scheiterte der Dritte Kreuzzug, den er angeführt hatte. Dennoch: Nichts davon ging im fast 900-jährigen Strudel der Geschichte unter: weder der Kreuzzug, noch Barbarossa, der einzige Kaiser, der jemals einen bewaffneten Kreuzzug ins Heilige Land unternahm, und auch nicht der sogenannte Cappenberger Barbarossa-Kopf. Im Gegenteil. Alle sind unverwüstlich aktuell, wie Prof. Dr. Nikolas Jaspert an historischer Stätte darlegte: in der Stiftskirche Cappenberg.
Kanzler Olaf Scholz: Krieg ist „Teil eines größeren Kreuzzugs“
Als der in Heidelberg lehrende Historiker für mittelalterliche Geschichte in der frisch sanierten Kirche auf der Nahtstelle zwischen Münsterland und Ruhrgebiet ans Rednerpult trat, um über Kreuzzüge zu sprechen, hatte Olaf Scholz noch nicht seine Berliner Rede zum Ukraine-Krieg gehalten. Erst zwei Wochen später, am Donnerstag (13.10.), sollte der deutsche Kanzler von einem modernen Kreuzzug in Osteuropa sprechen. „Bei diesem Krieg geht es nicht nur um die Ukraine“, sagte Scholz. Die russische Führung sehe den Krieg vielmehr als „Teil eines größeren Kreuzzugs“: ein Kampf gegen die liberale Demokratie, gegen Freiheit und Fortschritt: „Deshalb muss sich die Ukraine behaupten.“ Ein Vergleich, den Prof. Jaspert nicht wundert.
Das berühmteste Kunstwerk der Stauferzeit. der sogenannte Barbarossa-Kopf von Cappenberg. Der Rotary-Club Kaiser Barbarossa Selm organisiert Jahr für Jahr die Mittelalter-Vorträge in der Stiftskirche Cappenberg. Er hat auch die aktuelle Barbarossa-Ausstellung im Schloss Cappenberg initiiert. © Foto: Sylvia vom Hofe
Der Begriff des Kreuzzugs sei einfach nicht totzukriegen, hatte der Historiker gesagt. Dabei gebe es davon sowohl eine negative als auch eine positive Lesart. Wer zum Kreuzzug für eine gerechtere Welt oder gegen den Klimawandel aufrufe oder - wie die Rotarier, die den jährlichen Vortragsabend zu einem Thema des Mittelalters organisiert hatten - zu einem Kreuzzug gegen die Kinderlähmung, stehe in einem guten Licht da. Daran knüpfte auch US-Präsident George W. Bush an, als er nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den „War on terror“ einen Kreuzzug nannte.
Hitlers Vernichtungskrieg hat Kreuzzugs-Begriff negativ aufgeladen
In der Regel gehe es bei den vermeintlichen Kreuzzügen des 21. Jahrhunderts aber um Kämpfe, die Ziele verfolgten, „die uns eher nicht gefallen“: eher geprägt von Blutdurst als von höheren Idealen. Wer wie Kanzler Scholz von einem Kreuzzug spricht, meine zumeist einen brutalen, ungerechten und ausbeuterischen Krieg gegen einen moralisch überlegenen Gegner. Dieses vornehmlich negativ geprägte Bild des Kreuzzugs herrscht seit Ende des zweiten Weltkriegs vor, wie der Historiker, der auch lange in Bochum lehrte, sagte. Dabei erinnerte er daran, dass 1941 der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion unter den Decknamen „Unternehmen Barbarossa“ stand: ein machtpolitisch, wirtschaftlich und rassenideologisch motivierter Vernichtungskrieg.
Vor welchem Hintergrund auch immer Menschen heute über Kreuzzüge sprechen: Sie werden dem, was damals geschah, nicht gerecht.. „Es gibt keine unmittelbare Beziehung zwischen den Grausamkeiten des Mittelalters und den systematischen, rassistisch motivierten Massenmorden des 20. Jahrhunderts“, so Jaspert. Die Kreuzfahrer hätten weder den Holocaust vorgedacht, noch den Kolonialismus. „Beides gab es in der mittelalterlichen Wirklichkeit schlichtweg noch nicht.“
Patriarch Kirill verspricht russischen Soldaten Absolution
Als Historiker müsse er sich also gegen solche Gleichsetzungen wehren, als Mythenforscher erkenne er darin aber, wie aktuell der Mythos Kreuzzug in all den Jahrhunderten geblieben sei. Das gelte nicht nur für das europäische Bewusstsein, sagte Jaspert, sondern auch für die Feinde des heutigen Israels, die - ob Hamas oder IS - die Kreuzzüge für die aktuelle Schwäche der arabischen Staaten verantwortlich machen. Dabei seien sie es doch gewesen, die die Kreuzfahrer nach knapp 200 Jahren erfolgreich geschlagen und vertrieben hätten.
900 Jahre alt ist die Stiftskirche Cappenberg. Die alljährlichen Mittelalter-Vorträge, zu denen der Rotary-Club Kaiser Barbarossa einlädt, finden damit an historischer Stätte statt. © Sylvia vom Hofe
Jaspert gehört zu denen, die die Zeit der Kreuzzüge nicht zwischen 1095 und 1291 terminieren, als das Königreich Jerusalem unterging. Alle militärischen Unternehmungen, bei denen die Teilnehmer zum Wohl des eigenen Seelenheils gegen Feinde des Glaubens kämpfen, ließen sich so bezeichnen. Also auch der Ukraine-Krieg? Nahezu zeitgleich zu Jasperts Vortrag hat Patriarch Kirill, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, russischen Soldaten im Falle ihres Todes die Absolution versprochen.
Barbarossa-Kopf wechselt von Cappenberg nach Münster
Der vor 900 Jahren geborene Kreuzfahrer Barbarossa hat das Heilige Land nie erreicht. Als er auf dem Weg dorthin ertrank, war Otto von Cappenberg, sein Taufpate, schon 29 Jahre lang tot. Ob Friedrich I. den einstigen Ritter und späteren Probst des vor genau 900 Jahren gegründeten Prämonstratenser-Klosters je in Cappenberg besucht hat, ist nicht bekannt. Dass er ihm ein wertvolles Geschenk machte, schon. Der sogenannte Barbarossa-Kopf zeigt zwar nach jüngsten Forschungsergebnissen nicht den Kaiser, sondern den heiligen Johannes. Er gilt aber längst als ein weltbekanntes Signé für die Stauferzeit.
Nikolas Jaspert hatte ihn jetzt zum ersten Mal an historischer Stätte gesehen: in der Ausstellung „Barbarossa. Das Vermächtnis von Cappenberg“. Gelegenheit, es ihm gleich zu tun, besteht nur noch kurz: Zu Beginn der Parallel-Ausstellung „Barbarossa. Die Kunst der Herrschaft“ am 28. Oktober in Münster wird er umziehen ins dortige LWL-Museum und dort bis zum gemeinsamen Ausstellungsende am 5. Februar 2023 bleiben.
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