Kraniche über Lünen, Selm, Werne Überraschender Vogelzug in vermeintlich falsche Richtung

Überraschender Vogelzug in die vermeintlich falsche Richtung
Lesezeit

Das laute Trompeten aus der Höhe erreicht die Menschen am Boden vermeintlich zur Unzeit: Mitte der zweiten Januarwoche. Das ist fast einen Monat nach dem Ende des Herbstzuges der Kraniche und eineinhalb Monate vor dem Beginn ihres Frühlingszugs. Eigentlich, so scheint es, sollte es in dieser Zeit leise sein am Himmel über Deutschland. Daran stören sich zwei große Gruppen ebenso langbeiniger wie langhalsiger Vögel über Lünen, Selm und Werne allerdings nicht. Sie fliegen keilförmig vom Münsterland in Richtung Ruhrgebiet. Und das noch in die scheinbar falsche Richtung.

Vogelkundler schätzen, dass am Ende des für Laien unerwarteten Flugtages mehr als 1000 Vögel südwärts geflogen sind. Einer hat diesen Vogelzug vorausgesagt: Klaus Nowack. Der Ornithologe aus Werne hatte bereits am 8. Januar geraten „Heute ist mit Kranichzug zu rechnen: Kalt, Sonne, Ostwind alles passt, bin gespannt.“ Zwei Tage später folgte auf Facebook nur ein kurzer Ausruf: „Kranichzug. Kameras klar.“

Auch wer diese Zeilen nicht las, konnte die gefiederten grauen Riesen - kein anderer Vogel hat eine größere Körpergröße als der Kranich - überhören. Zu sehen waren sie da schon schwerer. Denn an dem besagten Mittwoch (10. 1.) schien die Wintersonne derart grell vom wolkenlosen blauen Himmel, dass sie je nach Blickwinkel schlecht zu verfolgen und noch schlechter zu fotografieren waren. Warum wusste Klaus Nowack, dass sie Kommen würden?

Ideales Flugwetter mit Aufwind

„Wie schon gesagt: alles hat gepasst“, sagt der Werner: „Ideales Flugwetter eben.“ Das werde weniger durch die plötzlich eisigen Temperaturen oder die weite, klare Sicht bestimmt, als vielmehr durch die Thermik. „Die Kraniche nutzen die Aufwinde.“ Wer 1,10 bis 1,30 Meter groß ist, 5 bis 7 Kilogramm wiegt und eine Flügelspannweite von 2,20 bis 2,45 Meter hat, teilt seine Kräfte auf Reisen lieber gut ein. Schließlich geht es vermutlich noch bis Südfrankreich. Vielleicht auch Spanien. Immer seltener auch Nordafrika.

Uwe Norra, Ornithologe aus Selm, hat die Züge der Kraniche in der vergangenen Woche am Himmel verpasst. Nur im Netz hat er davon erfahren. Dass es sie gab, hat ihn aber nicht gewundert. „Das ist nichts Außergewöhnliches: Bis Ende Januar fliegen sie südwärts und ab Februar nordwärts.“ Dass sich nicht alle Kraniche den großen Haupt-Zügen mit Herbst und Frühjahr mit vielen tausend einzelnen Vögeln anschließen, sei durchaus bekannt.

„Der Vogel ist ein Opportunist“, so Norra. Also jemand, der sich aus Nützlichkeitserwägungen schnell der jeweils gegebenen Lage anpasst. In diesem Fall: der Winterkälte. Nicht umsonst heißen die so spät noch südlich ziehenden Kraniche unter Vogelkundlern Winterflüchtlinge. Sie fliehen in wärmere Gefilde, sobald es an ihrem ursprünglichen Überwinterungsort zu kalt wird und sich eine gute Gelegenheit ergibt.

Klimawandel lässt grüßen

Die späten Kraniche der Vorwoche hatten sich in der Diepholzer Moorniederung im Naturpark Dümmer zurückgezogen, bis es ihnen dort zu ungemütlich wurde. Für sie war dieses Mal die Rechnung nicht aufgegangen, die inzwischen immer mehr Zugvögel anstellen. „Viele fliegen nicht mehr ihre einst angestammten Routen, sondern bleiben“, sagt Klaus Nowack: Das gelte für die Kraniche in Niedersachsen genauso wie für Weißstörche und andere.

„Die Vögel reagieren auf den Klimawandel“, so Nowack. Wer erst gar nicht weit In den Süden reise, müsse auch nicht im Frühjahr weit zurückkehren. „Und ist dann früher am Brutplatz“ - etwas, das im Konkurrenzkampf ein Riesenvorteil sein könne.

Diese Landschaft - die Diepholzer Moorniederung im Landkreis Diepholz - nutzen immer mehr Kraniche, vor allem Vögel aus Skandinavien, zum Überwintern. Einigen ist es aber zu ungemütlich geworden.
Diese Landschaft - die Diepholzer Moorniederung im Landkreis Diepholz - nutzen immer mehr Kraniche, vor allem Vögel aus Skandinavien, zum Überwintern. Einigen ist es aber zu ungemütlich geworden. © dpa

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 16. Januar 2024.

Rätselhaftes Naturschauspiel in Werne : Vogelkundler Nowack: „Hätte ich hier nie erwartet“

Bergbau: Schotterbrache in Werne-Langern wurde Schutzgebiet: „Wahnsinn, was hier alles lebt“

Kanadagans mit Kippflügel zieht von Cappenberg nach Neuss: Tierschützer siedeln sie um