Rätselhaftes Naturschauspiel in Werne Vogelkundler Nowack: „Hätte ich hier nie erwartet“

Schwarm überrascht Vogelkundler Nowack: „Hätte ich hier nie erwartet“
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Klaus Nowack (63) hat gute Augen. Dennoch zweifelte er kurz an seiner Sehkraft, als er an einem Abend im Juni 2023 den Werner Abendhimmel betrachtete. Denn das, was der Vogelkundler da sah, konnte es eigentlich in diesen Breiten gar nicht geben: ein großes, schwarzes Etwas ohne feste Konturen, das vor den Wolkenbergen gerade noch harmonisch auf und ab schwebte, dann aber urplötzlich einen Haken schlug, um von Neuem mit einem rätselhaften Tanz zu beginnen.

Bei einer Aufführung dieses außergewöhnlichen Naturschauspiels blieb es nicht. Abend für Abend wiederholte es sich. Und die Zahl der schwarzschimmernd gefiederten Tänzer wurde immer größer. Erst Mitte Oktober war Schluss: genauso plötzlich und unerwartet, wie der Himmelstanz begonnen hatte. Um was es sich dabei handelte, steht längst zweifelsfrei fest. Der Ornithologe hat direkt vor der Haustür entdeckt, wofür Naturfreunde - er selbst eingeschlossen - gemeinhin weite Reisen machen müssen: einen großen Schwarm Stare. Zwar haben sich nicht mehr als eine Million Vögel zusammengeschlossen, wie es regelmäßig in Rom zu beobachten ist oder im Wattenmeer, aber immerhin viele hundert. „So viele, wie ich hier noch nie zuvor gesehen habe und auch nicht für möglich gehalten hätte“, sagt Klaus Nowack, der seit seiner Kindheit Vögel beobachtet.

Das Fernglas hat der Gründer der Interessengemeinschaft Ornithologie und Natur (IGONA) eigentlich immer dabei. Seit der Entdeckung des wachsenden Schwarms auch zusätzlich Stativ und Fotoapparat mit Videofunktion. Das ermöglichte es ihm, den faszinierenden und in der Form über Werne nie dokumentierten Tanz am Himmel im Bewegtbild festzuhalten. Denn ob sich das Spektakel 2024 so wiederholen wird, weiß noch niemand. „Genauso wenig wie wir heute wissen, warum es in diesem Jahr dazu gekommen ist“, sagt er. Er gibt lediglich Vermutungen.

Klimawandel irritiert Zugvögel

Dass der Klimawandel etwas mit dem Zugverhalten der Vögel zu tun hat, gilt inzwischen als sicher. Weltweit haben Ornithologen beobachtet, dass Kurzstreckenzieher - also Vogelarten, deren Winterquartier weniger als 2000 Kilometer entfernt liegt - aufgrund des Klimawandels weniger weit in den Süden vorstoßen. Das bekannteste Beispiel ist der Weißstorch, der inzwischen oft nur noch bis nach Spanien fliegt und nicht mehr in die Sahelzone.

Hausrotschwanz und Rotkehlchen verzichten ganz auf eine kräftezehrende Auslandsreise und bleiben gleich in Deutschland. Längst ziehen auch nicht mehr alle Stare bis ans Mittelmeer, sondern bleiben lieber in milden Gegenden Mitteleuropas, um im Frühjahr schneller zurück zu sein an ihren Brutplätzen - auch unter den Dachpfannen von Klaus Nowacks Haus und manchen anderen in Werne. Das Rätsel um den Schwarmflug ist damit aber noch nicht gelöst.

Dass sich Stare außerhalb der Brutzeit, die in der Regel Anfang April beginnt, in Trupps zusammenfinden, weiß Nowack. Oft tippeln die geselligen Vögel in kleinen Gruppen auf kurzrasigen Wiesen und Weiden herum, wo sie gut an Regenwürmer und Bodeninsekten herankommen können. Gerne umlagern sie auch Kirsch- und andere Obstbäume. Das können zum Kummer von Obst-Gärtnern dann auch schon mal größere Gruppen sein, wie der Ornithologe sagt. Aber derart große Formationen, wie er sie in diesem Jahr vorzugsweise über den Feldern und Siedlungsrändern im Werner Westen beobachtete, sah er hier noch nie. Gerade die Details, die es dabei zu beobachten gab, faszinieren ihn.

Wie ein Schwarm funktioniert

Wie schaffen es die gefiederten Individuen plötzlich als ein großes Ganzes zu funktionieren? Wie können so viele kleine Tiere unfallfrei wie ein einziger großer, nimmermüder Organismus am Himmel auf- und absteigen? Auf diese Fragen hat die Fachwelt bis heute keine abschließende Antwort. Ein Grund, warum die Schwarmbeobachtung einen großen Reiz hat, wie Klaus Nowack findet.

Immerhin konnte er aus der ersten Reihe beobachten, was inzwischen Konsens ist: Dass die Vögel und auch alle anderen Schwarmtiere wie Fische und Insekten dabei drei Regeln einhalten müssen: zusammenbleiben, gleichen Abstand halten und in die gleiche Richtung bewegen.

Konkret orientiert sich jeder Star im Vogelschwarm laut Nabu an sieben Vögeln in seiner Umgebung. Wer entscheidet aber dann, wann die große Gruppe plötzlich einen Haken schlägt am Himmel? Und warum? Das sei die Frage, meint Nowack und lacht. Offenbar gebe es keinen einzelnen Anführer, der den Schwarm steuert. Vielmehr würden Richtung und Geschwindigkeit des Schwarms durch das Verhalten einiger weniger bestimmt, die dann auch noch wechselten. Aber wann wer diese Rolle ausüben darf oder muss? Diese Fragen zur Schwarmintelligenz sind nach wie vor offen. Umso mehr wünscht sich Nowack, dass sich die Stare auch im nächsten Sommer wieder vor seiner Haustür zum Kunstflug verabreden.

Unter alten Dachpfannen finden Stare mitunter Platz, um ihre Nester zu bauen. Irgendwo auf diesem Dach in Werne muss auch dieser Star seine Jungen, die nach zwölf Tagen aus vier bis sechs Eiern schlüpfen, füttern.
Unter alten Dachpfannen finden Stare mitunter Platz, um ihre Nester zu bauen. Irgendwo auf diesem Dach in Werne muss auch dieser Star seine Jungen, die nach zwölf Tagen aus vier bis sechs Eiern schlüpfen, füttern. © Klaus Nowack

Längst ist der Star kein Allerweltsvogel mehr. Seit den 1960er-Jahren ging sein Vorkommen in Deutschland laut Naturschutzbund Deutschland (Nabu) erst schleichend zurück, mit Beginn der 1990er-Jahre dann sprunghaft. Zwar sei der Bestand zurzeit stabil, aber der Star gilt inzwischen als gefährdete Art. Denn sein Schwarmverhalten hilft nur gegen Beutegreifer wie Falke, Bussard und Co., nicht aber gegen den Menschen und seinen Drang, immer mehr Freifläche zu versiegeln.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 26. Oktober 2023.

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