Kämmerin warnt vor Millionenverlust in Selm „Wir geraten in einen Abwärtsstrudel“

Kämmerin warnt vor Millionenverlust: „Wir geraten in einen Abwärtsstrudel“
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Zum zweiten Mal sprach Kämmerin Sylvia Engemann am Donnerstag (18. Januar) zu den Mitgliedern des Selmer Rates, um die Pläne für den Haushalt des Jahres 2024 vorzustellen. Nach der ersten Vorstellung des Investitionsprogramms im vergangenen Dezember brachte Engemann nun den gesamten Haushalt ein – mit vielen mahnenden Worten.

Wegen geplanter Änderungen der Gemeindeordnung durch die Landesregierung verzögerte sich die Vorstellung des kompletten Haushaltsentwurfes. Die Stadtverwaltung hoffte durch die neue Gesetzgebung auf Erleichterungen für den Haushaltsausgleich. Die Ernüchterung folgte laut Kämmerin kurz vor Weihnachten, wie sie in ihrer Rede deutlich machte: „Selbst unter Anwendung der geplanten Vereinfachungsregelungen wird die Stadt Selm keinen genehmigungsfähigen Haushalt aufstellen können!“

Eine strukturell auskömmliche Gemeindefinanzierung unter Berücksichtigung von Zukunftsaufgaben und einer tragfähigen Altschuldenlösung sei mit dem geplanten Gesetz nicht umsetzbar. „Damit verpufft die Hoffnung, finanzielle Entlastungen zur Erfüllung unserer notwendigen Aufgaben im Bereich der Daseinsvorsorge zu erhalten.“

Die Kritik von Sylvia Engemann: „Sehenden Auges wird weiter nicht auf die drastische und voraussichtlich langanhaltende Unterfinanzierung der kommunalen Haushalte reagiert.“

Defizit von 8.955.203 Euro

Zwar steigen die prognostizierten Erträge der Stadt im Vergleich zum Vorjahr um über 4 Millionen Euro, dennoch schreibt die Verwaltung auch 2024 deutlich rote Zahlen. Vor allem „Inflation, Lohn- und Preisspiralen sowie explodierende Soziallasten“ sorgen für ein errechnetes Defizit von exakt 8.955.203 Euro.

„Gepaart mit den Folgen, die der russische Angriffskrieg in der Ukraine auch für die Menschen in Deutschland hat, geraten wir erneut wie vor zwei Jahrzehnten in einen Abwärtsstrudel, der den finanziellen Handlungsspielraum der Stadt Selm deutlich einschränken wird“, erklärte die Kämmerin.

Auch die kommenden Jahre fallen negativ aus: Für 2025 bis 2027 prognostiziert Engemann jeweils ein Defizit zwischen 7 und 9 Millionen Euro. Insgesamt 34 Millionen Euro Schulden würde die Stadt dann allein in den nächsten Jahren anhäufen.

„Die Defizite erreichen damit eine Höhe, die selbst durch zusätzliche eigene Sparbemühungen oder die Nutzung anderer Handlungsoptionen im Planungszeitraum bis 2027 nicht kompensiert werden können“, merkte die Kämmerin an.

Standardreduzierungen

Nachdem Engemann die zuletzt positive Entwicklung beim Eigenkapital als zartes Pflänzchen bezeichnet hatte, folgt nun die Enttäuschung: „Dieses zarte Pflänzchen wird die Blütephase nicht erleben.“

Die Folge: „Wir werden alle miteinander Aufgabenkritik und Standardreduzierungen betreiben müssen und buchstäblich den Gürtel enger schnallen müssen.“ Dazu gehöre die Frage, welche Aufgaben in welcher Qualität und Quantität noch zwingend von der Stadt wahrgenommen werden müssten: „Wir haben vor Ort diese Situation nach vierjährigem Krisenmodus nicht selbst herbeigeführt, müssen aber da, wo wir die Verantwortung tragen, diese auch selber wahrnehmen.“

Der Bau des Abenteuerspielplatzes in Bork wird sich wegen des fehlenden Haushaltes verzögern.
Der Bau des Abenteuerspielplatzes in Bork wird sich wegen des fehlenden Haushaltes verzögern. © Jessica Hauck (Archiv)

Durch die notwendigen Investitionen und laufender sowie kommender Kreditverpflichtungen drohe im „Worst Case“ am Ende der Mittelfristplanung eine Gesamtverschuldung von 160 Millionen Euro – „und der Ausbau der Schulinfrastruktur mit Rechtsanspruch auf den Offenen Ganztag ist in diesen Zahlen noch gar nicht enthalten.“

Das Ehrenamt lebt

„Weniger ist mehr“ sollte die Philosophie für die von der Stadt gestaltbaren Leistungen in den nächsten Jahren sein, so Engemann weiter.

Die Kämmerin verwies in diesem Zuge auf das große ehrenamtliche Engagement der Selmerinnen und Selmer: „Wir haben Menschen, die brennen und sich für die Sache begeistern, in sozialen Projekten mithelfen, unterstützen, als Dienstleister in der Verwaltung agieren. Menschen, die Integration und Inklusion leben, die für Senioren, kranke und einsame Menschen und neu Zugewanderte da sind.“

Das Ehrenamt lebe in Selm. „Lassen Sie uns zusammenhalten und es weiter ausbauen. Wir sind dabei an Ihrer Seite und werden ehrenamtliches Engagement personell ausdrücklich unterstützen“, so das Versprechen von Sylvia Engemann.

Maßnahmen werden verschoben

Gemäß dem Sprichwort „Gegenseitige Hilfe macht selbst arme Leute reich“ rief die Kämmerin dazu auf: „Lassen Sie uns in diesem Sinne dafür sorgen, dass die Stadt Selm als Stadtgesellschaft mit ihren Bürgerinnen und Bürgern diesen Reichtum ausbaut.“

Viel Geld aus der Stadtkasse wird dafür vorerst nicht fließen können. Aufgrund der Erstellung eines Haushaltssicherungskonzeptes und der dafür notwendigen Sitzungen der Kommissionen ist eine Verabschiedung des Haushalts bis zur nächsten Ratssitzung im März nicht möglich, merkt Engemann an. Auch bis zur Sitzung am 25. April könnte es eng werden.

Bis zur Verabschiedung darf die Stadtverwaltung nur noch da Geld ausgeben, wozu sie rechtlich verpflichtet ist oder was für die Weiterführung notwendiger Aufgaben unaufschiebbar ist. Eines der „Opfer“ dieser Vorgabe zeigte sich bereits in der Sitzung des Rates: Der Bau des geplanten Abenteuerspielplatzes in Bork kann auf Nachfrage bis zur Genehmigung des Haushaltes nicht in Angriff genommen werden.

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