Gottfried von Cappenberg beschließt vor rund 900 Jahren, ein Leben für Gott für führen. Sene Ehefrau Jutta darin keinen Platz. © Grafik: Verena Hasken

Zeitreise ins Mittelalter

Jutta von Cappenberg - vergessene Ehefrau des Heiligen und Mutter des Mörders

Gottfried von Cappenberg verzichtet vor 900 Jahren auf Macht und Besitz. Lieder und Legenden erinnern daran. Über seine Frau Jutta spricht kaum jemand. Dabei hat es ihre Geschichte in sich.

Cappenberg

, 25.12.2018 / Lesedauer: 11 min

Vielleicht ist er hässlich. Oder alt. Oder ein Ausländer, der eine fremde Sprache spricht, die sie nicht versteht. Möglicherweise hat er auch ein Gebrechen. Oder er ist ein perverser Lüstling, wobei Jutta gar keine Vorstellung davon hat, was das eigentlich ist. Sie ist wohlbehütet aufgewachsen: das einzige Kind ihrer Eltern. Die Alleinerbin eines Geschlechts, das einst vom Sauerland bis zur Nordsee herrschte. Und das zu dieser einstigen Blüte zurück will - mit Hilfe einer geschickt arrangierten Ehe. Dabei geht es um Taktik und Macht und nicht um Sympathie oder gar Liebe. Jutta von Arnsberg ist 15 als sie erfährt, wen sie heiraten wird. Bei der Wahl des Gatten hätte es schlimmer kommen können.

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Gottfried ist 23 Jahre alt: ein echter Ritter aus einem der bedeutendsten Adelsgeschlechter des Reichs. Sowohl mit Karl dem Großen als auch mit dessen Widersacher Widukind soll er verwandt sein. Und überaus mächtig ist er mit Besitzungen in Westfalen, Schwaben, am Niederrhein und in der Wetterau. Seine Burg, die einzige Höhenburg im Münsterland, ist gerade einmal eine Tagesreise von Arnsberg entfernt. Und die Leute sagen, der Cappenberger Burgherr sei nicht so ein draufgängerischer Tunichtgut wie manch anderer seines Standes, sondern fromm und bescheiden. Und ganz unbekannt ist ihr auch nicht.

Die Vormundschaft der Männer

Nicht dass Jutta sich hätte weigern können. Einen Verlobungsvertrag zu schließen, ist im 12. Jahrhundert allein Sache der Männer: des Vaters, der der Vormund seiner Tochter ist und des künftigen Ehemannes, der das fortan sein wird. Frauen sind zu Juttas Zeiten grundsätzlich nicht geschäftsfähig. Da geht es den adeligen Damen nicht besser als den abhängigen Bäuerinnen - nur dass über deren Zukunft nicht nur der Vater und der nächste männliche Verwandte entscheiden, sondern auch noch der Grundherr. Ob reich oder arm: Undenkbar, dass eine Frau etwa vor Gericht öffentlich das Wort ergreift oder ihre Geschäfte selbst regelt. Das sieht das traditionelle Recht nicht vor, das der sächsische Ritter Eik von Repgow zwischen 1220 und 1230 im Sachenspiegel aufschreiben wird - mehr als 100 Jahre nach Juttas Hochzeit. Laut aufbegehrende Frauen sind nicht vorgesehen. Jutta wird eine Ausnahme sein.

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Cappenbergs Geschichte wird zum Roman

Es sind unruhige Zeiten, als Jutta und Gottfried um 1120 heiraten: Seit mehr als 40 Jahren streiten Papst und Kaiser um die Vorherrschaft in der Kirche. Dieser Zwist hat sich an der Frage entzündet, wer Bischöfe ins Amt setzen darf. Spätere Generationen werden deshalb vom Investiturstreit sprechen. Seit 25 Jahren tobt auch noch ein anderer Kampf: blutig und grausam. Unter dem Ruf „Gott will es“ brechen in immer neuen Wellen Europäer zu Kreuzzügen auf, um Jerusalem aus der Hand von angeblich Ungläubigen zu befreien. 200 Jahre wird das Gemetzel im Heiligen Land dauern. Der Kampf, bei dem der junge Ehemann Gottfried Schuld auf sich lädt, findet dagegen direkt vor der Haustür statt.

Schwiegersohn und Schwiegervater prallen aufeinander

In der Frage der Eheschließung sind sie sich noch einig: Gottfried von Cappenberg der später der Heilige heißen wird, und sein Schwiegervater, Friedrich von Werl-Arnsberg, den schon zu Lebzeiten alle den Streitbaren nennen. Wenn es aber über die Familienpolitik hinaus geht, kommen die beiden vom Temperament so unterschiedlichen Männer nicht auf einen Nenner. Ob es lauten Streit gibt? Ob Jutta versucht zu vermitteln? Ob überhaupt jemand an ihrer Meinung interessiert ist? Fest steht: Der streitbare Friedrich, der als kampfeslustig und wild gilt, steht auf der Seite des Kaisers, und der fromme Gottfried auf der des Papstes. Vor den Toren Münsters treffen Schwiegersohn und Schwiegervater aufeinander, jeweils mit einer Streitmacht im Schlepptau. Der Kampf, bei dem es um die Wiedereinsetzung eines Bischofs geht, den das kaisertreue Münster verjagt hatte, wird am 2. Februar 1121 ein verheerendes Ende finden - nicht nur für Münster.

Auf den ersten Blick geht es um kirchliche und weltliche Vorrechte. Auf den zweiten Blick um Macht. Der damals 49-jährige Friedrich hat schon mehrfach sein Fähnchen nach dem Wind gehängt und mal für die eine, mal für die andere Seite gekämpft: immer erpicht, dem Haus Arnsberg wieder zu altem Glanz zu verhelfen. Das ist Gottfried fremd. Schon sein Vater hatte auf Seiten des Papstes gekämpft und war 1106 in einer Schlacht gegen die Kaisertreuen gefallen. Jetzt die Seiten zu wechseln, kommt für den jungen Ritter nicht in Frage. Dabei wäre es strategisch gar nicht so dumm.

Warum dem Sachsenherzog ein starkes Cappenberg nicht gefällt

Ausgerechnet der, dem Gottfried in den Kampf um Münster folgt, hat großes Interesse daran, dass sein junger Gefolgsmann nicht zu erfolgreich wird. Sachsenherzog Lothar von Süpplingenburgs vermeintlich frommes Anliegen, den Bischof von Münster wieder ins Amt zu setzen, deckt sich perfekt mit seinen weltlichen Interessen. Nicht allein, weil der Bischof sein Vetter ist. Der Zusammenschluss der Arnsberger, des einst einflussreichsten Geschlechts im norddeutschen Raum, mit der starken Grafschaft Cappenberg könnte ein neues Schwergewicht im Reich formen: ein starkes Westfalen, an dem niemand vorbeikäme, auch Süpplingenburg selbst nicht. Sein eigener Einfluss bliebe auf Ostsachsen beschränkt. Da hat der ehrgeizige Herzog aber ganz andere Pläne. Der Familienstreit bei den Cappenbergs und Arnsbergs kommt dem Sachsenherzog, der in wenigen Jahren tatsächlich als Kaiser Lothar III. den Thron besteigen wird, daher nicht ungelegen.

Zu Juttas Zeiten war Cappenberg die einzige Höhenburg des Münsterlandes. Anstelle des heutigen Barockschlosses stand dort das Burggebäude, das Ehemann Gottfried zum Kloster umwidmen ließ. Die Kirche, die er bauen ließ, steht heute noch und ist rechts neben dem Wasserturn zu erahnen. © Günther Goldstein

In Fragen der Politik gibt es nicht zum ersten Mal Krach auf Cappenberg. Der junge Burgherr Gottfried kennt den streitbaren Friedrich schließlich nicht erst als seinen Schwiegervater. Nachdem Gottfrieds Vater gefallen war, hatte seine Mutter wieder geheiratet: Friedrichs jüngeren Bruder, Graf Heinrich von Rietberg. Auch der zweite Ehemann starb im Kampf gegen den Kaiser 1115. Damals kämpften die beiden Arnsberger Brüder noch einträchtig an der Seite Lothar von Süpplingenburgs und anderer Aufständischer für die päpstlichen Belange und für mehr Einfluss der Sachsen. Sechs Jahre später, an einem kalten Tag, dem 2. Februar, ist das anders.

Als Münster in Flammen aufgeht

Münster brennt: die gesamte befestigte Siedlung, Wohnhäuser, Geschäfte und auch das mächtige Gebäude in der Mitte, das als prächtigster und größter Bau ganz Westfalens gilt: der 1090 geweihte Paulus-Dom. Nur die Lamberti-Kirche übersteht das Flammeninferno. Glutnester lassen es noch Tage später qualmen. Der beißende Rauch liegt schwer in der kalten Winterluft. Zwar haben Lothar von Süpplingenburg und seine Männer einen Sieg errungen. Der aus Münster verjagte Bischof kann zurückkehren. Der Preis ist aber zu hoch, wie Lothars Gefolgsmann Gottfried meint. Wenn er die Augen schließt, sieht er immer noch die Feuersbrunst: ein Bild, das ihn nicht loslässt. Die Zerstörung von Kirchen gilt als ein Kapitalverbrechen. Und er als Hauptverantwortlicher für den Brand: eine Schuld, die sein Leben ändert. Seine Ehe sowieso.

Und plötzlich ist die Lebensplanung dahin

Hat sie es von Boten erfahren? Oder von ihrem Vater? Oder ist es Gottfried selbst, der Jutta seine Tat beichtet. Nicht nur dass er sich gegen einen strafenden Gott versündigt hat, wie er als gläubiger Christ des Mittelalters denken muss. Auch der Kaiser sitzt ihm jetzt im Nacken. Das, was er sich zu Schulden kommen gelassen hat, ist nicht weniger als Hochverrat. Die Reichsacht droht und mit ihr die entschädigungslose Enteignung des ganzen Besitzes, im schlimmsten Fall der Tod. Als sie das erfährt, verliert auch Jutta von einem Augenblick zum anderen ihr Leben: zumindest das Leben, das ihre Eltern für sie vorgesehen hatten und das sie sich von klein auf in bunten Farben ausgemalt hat: als Mutter eines neuen Grafen von Cappenberg und Werl-Arnsberg, als Repräsentantin eines aufstrebenden Hauses, dessen Söhne - wer weiß - vielleicht sogar einmal auf dem Kaiserthron sitzen würden. Und jetzt?

„Kampf“ mag ihr erster Gedanke sein. Jutta ist schließlich Tochter eines streitbaren Vaters. Die aufständischeren Sachsen müssten nur erfolgreich weiterkämpfen und diesen Heinrich V., den Kaiser, der glaubt weder auf den Papst noch auf die Fürsten Rücksicht nehmen zu müssen, endlich in die Knie zwingen. Dann muss er doch klein beigeben und ihren Gottfried in Ruhe lassen. Und ihren eigenen Lebenstraum.

Doch ausgerechnet jetzt, nach Jahrzehnten des erbitterten Streits im Reich, stehen die Zeichen auf Aussöhnung. Beim Hoftag in Würzburg einigen sich die Großen des Reichs, Frieden zu schaffen zwischen Papst, Kaiser und Fürsten des einen oder anderen Lagers. Dem tief erschütterten Gottfried ist etwas anderes noch viel wichtiger: Frieden mit sich und seinem Gewissen schließen.

Eine schicksalhafte Begegnung in Köln

Fromm ist der Graf von Cappenberg, seitdem er denken kann. Ein Onkel mütterlicherseits ist Bischof in Eichstätt , ein anderer Mönch in Hirsau. Zumindest der zweite führt ein Leben, wie Gottfried es sich gerade verzweifelt wünscht: weit weg von den Mächtigen des Reiches und ihren schwer durchschaubaren Ränkespielen, mit sich und Gott im Reinen. So stellt sich das Gottfried zumindest vor. Um die schrecklichen Bilder des brennenden Doms, die in seinen Träumen regelmäßig aufflammen, abzuschütteln, begibt er sich auf eine Pilgerreise nach Köln. Sein Bruder Otto begleitet ihn, der auch an diesen schicksalshaften Februartagen in Münster an seiner Seite war. Beide ahnen nicht, wie sehr diese Reise ihre Geschicke und die Westfalens verändern würde. Die Geschicke Juttas sowieso.

Der Mann ist die Antwort auf Gottfrieds Fragen: ein gewisser Norbert von Xanten. Etwas mehr als zehn Jahre älter als der Cappenberger, ebenfalls von adeliger Herkunft und begütert aufgewachsen. Ansehen würde ihm das aber niemand. Der Mann, der in verschiedenen Kölner Kirchen predigt, trägt einfachste Kleidung und bittet um Spenden - für seine gerade gegründete Ordensgemeinschaft der Prämonstratenser: Menschen, die sich wie er angeekelt von der allzu verweltlichten Kirche abgewandt haben und das Heil suchen in Askese und Armut statt in Annehmlichkeiten und Ämterkauf. Buße und Umkehr seien der Schlüssel dazu, ruft Norbert. Gottfried hört fasziniert zu und fasst seinen Entschluss. Ohne Jutta.

Was der Ehemann von seiner Frau verlangt

Er ist so verändert. So aufgekratzt und tatendurstig: kein Vergleich zu dem Gottfried vor der Köln-Reise, der sich mit Vorwürfen und Ängsten quälte. Jutta freut sich über die Rückkehr ihres Mannes, bis er ihr sagt, was ihn so glücklich macht: die Ahnung, eine große Tat zu vollbringen, die ihr Leben zum Besseren wenden werde: sein eigenes, das seines jüngeren Bruders und der beiden Schwestern. Und das ihre ebenfalls. Jutta versteht erst gar nicht, was er sagt, so ungeheuerlich sind seine Beschlüsse. Gottfried von Cappenberg will seine Lehen aufgeben, seinen Grafentitel und seinen gesamten Besitz, die altehrwürdige Familienburg Cappenberg in ein Kloster umwandeln und selbst dort ei. Diesen Schritt empfiehlt er auch seinen Geschwistern und seiner Ehefrau - mit Nachdruck.

Über das Vermögen, das Jutta mit in die Ehe gebracht hat, kann Gottfried verfügen als ihr rechtlicher Vormund. Aber über ihr Leben? Ob laut schreiend oder leise verzweifelt: Die 17-Jährige widerspricht. Nein! Sie will ihr gerade erst begonnenes Erwachsenenleben nicht im Frauenkloster unterhalb des Burgbergs fristen, das ihr Mann zu bauen gedenkt. Ihr Vater werde das nicht zulassen, sagt sie.

Und tatsächlich: Friedrich von Arnsberg schäumt vor Wut. Sein

Lebenstraum von einem erstarkten Westfalen, einer Vormachtstellung im Reich, einem Platz in der Geschichte als Großvater einer bedeutenden Dynastie - all das soll sich in Weihrauch auflösen? Nicht mit ihm. Er schimpft, er droht, er bewaffnet seine Männer, um sein Recht im Kampf einzufordern wie so oft. Doch dann erkrankt Friedrich der Streitbare ernsthaft und kann nicht verhindern, dass sich Westfalen tatsächlich verändert, allerdings ganz anders als er das will.

Von zwei Entführungen und ihrem unterschiedlichen Ende

Es ist der 31. Mai 1122, als sich Gottfried in Maastricht während der Reichsversammlung vor Kaiser und Fürsten sein gesamtes Hab und Gut dem jungen Orden von Norbert von Xanten zusagt. Die Grafschaft Cappenberg mit 105 Herrensitzen erhält die Kirche von Münster zugewiesen, vertreten durch den Bischof, für den Gottfried in den schicksalhaften Kampf um Münster gezogen war.

Jutta wohnt zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr in ihren alten Gemächern. Dort sind Männer eingezogen, die Gottfrieds Beispiel folgen und ein Leben in Askese und Gebet wählen: die Keimzelle des ersten Prämonstratenserklosters auf deutschem Boden. Mitstifterin ist Gottfrieds Ehefrau - bestimmt nicht überzeugt, aber nach zahllosen Gesprächen zermürbt und überredet. Jutta wird eine der ersten deutschen Prämonstratenserinnen zusammen mit Gottfrieds Schwestern Beatrix und Gebergis. Letztere bleibt nicht lange.

„Entführung“ heißt die Tat. Von einem Verbrechen redet aber niemand. Ohnehin schweigen lieber alle über das, was sich da im sogenannten Niederkloster, dem neuen Frauenkloster unterhalb der ehemaligen Burg, ereignet hat. Denn der Täter, Bernher von Erprath, und sein vermeintliches Opfer, Gebergis von Cappenbeg, scheinen sich zu kennen. Sehr gut sogar. Wahrscheinlich, wird gemunkelt, habe Gottfrieds Schwester dem Raub zugestimmt. Oder ihn sogar mit ausgeheckt. Kaum dem unfreiwilligen Klosterleben entrissen, heiratet sie ihren Entführer. Bei Jutta wird das nicht so reibungslos klappen.

Hier unten im Tal nach Langern könnte das Frauenkloster gewesen sein. © Sylvia vom Hofe

Die einst wehrhaften Mauern sind kaum noch zu erkennen. Das Gerüst der Kirche, an der seit zwei Jahren gebaut wird, auch nicht mehr. Sie haben die Cappenberger Höhen schon hinter sich gelassen, als das Hufgetrappel der Verfolger immer lauter wird. An der Spitze reitet Gottfried. Obwohl er kein Ritter mehr sein will, funktionieren noch die lange trainierten Reflexe. Als er erfuhr, dass Jutta entführt worden sei, hat er sich sofort auf den Weg gemacht. Jetzt hat er die Fliehenden erreicht und stoppt sie. Umkehr! Gottfried wird später sagen, er habe Jutta befreit. Sie wird schweigen. Dass ihr im Sterben liegender Vater es war, der die Entführer beauftragt hatte, hält sich aber hartnäckig als Gerücht. Wenige Wochen später ist Friedrich von Arnsberg tot: für Gottfried eine Befreiung. Für Jutta eine Chance.

Auf Nimmerwiedersehen: Gottfried und Jutta verlassen Cappenberg

Noch hat Gottfried sein volles Haar. Die Tonsur, diese kreisrund kahl geschorene Stelle auf dem Kopf eines jeden Geistlichen, wird er erst ein Jahr später bekommen. Nicht nur äußerlich bereitet er sich auf den neuen Lebensabschnitt als Kirchenmann vor. Ein Jahr im französischen Premontré, der Keimzelle des jungen Ordens, soll ihn mit dem geistigen Leben besser vertraut machen. Gottfried reist 1125 ab. Jutta kurz danach, allerdings in eine andere Richtung.

Dieses Ölbild von F. Pfenningsschmidt zeigt das ehmalige Waschhaus des Klosters - etwa 100 Meter östlich der Kegelbahn - , das auf das einstige Frauenkloster zurückgehen könnte. Das Gemälde befindet sich im Archiv des Grafen von Kanitz. In der 1989 erschienenen Schrift „1200 Jahre Cappenberg“ ist es abgebildet. 1808 wurde das Waschhaus zur Schule umgewidmet und bis 1894 so genutzt. © Repro Sylvia vom Hofe

Dieses Mal hält niemand die Klosterfrau wider Willen auf, als sie ihre Zelle unterhalb des Cappenberger Quinbergs auf Nimmerwiedersehen verlässt. Vielleicht atmen die anderen auch auf. Es gibt so viel zu tun auf Cappenberg, jetzt, wo Gottfried nicht da ist: den Alltag im wachsenden Doppelkloster - oben für Männer, unten für Frauen - organisieren, die Bauarbeiten für die Stiftskirche überwachen, die Kranken im gerade eröffneten Spital versorgen. Jemand, der da nicht von Herzen mitmacht, ist nur eine Belastung für den Rest. Wohin Jutta will, ist ohnehin jedem klar: nach Arnsberg, auf den Familiensitz. Eine verstoßene Ehefrau und ausgebüxste Klosterfrau als Erbin eines adeligen Hauses? Dass daraus noch etwas werden kann, verdankt Jutta ausgerechnet der Fürsprache von Gottfrieds großem Idol.

Der plötzliche Tod ist der Beginn eines neuen Lebens

Norbert von Xanten ist immer für eine Überraschung gut. Damals, als er sein angenehmes Luxusleben aufgab, um Gott zu finden. Jetzt schon wieder. Warum hat er nur zugesagt, Erzbischof von Magdeburg zu werden? Seine Anhänger verstehen das nicht. Gottfried auch nicht. Er will sich ein eigenes Bild machen und reist nach Magdeburg. Dort trifft er den Mann, der ihn vor wenigen Jahren so tief berührt hat, plötzlich verändert. Das Vorbild in Askese hält prächtig Hof und feiert mit den Mächtigen. Gottfried reist ab, obwohl er sich krank fühlt. Bis nach Cappenberg wird er es nicht mehr schaffen.

In Ilbenstadt - auch diese Burg hat er Norberts Gemeinschaft als Kloster geschenkt - stirbt Gottfried, kaum 30 Jahre alt. Ein Heiliger sei von ihnen gegangen, flüstern sofort die Gläubigen, einer, der in seinem Leben Wunder vollbracht hat. Jutta erlebt durch den unerwarteten Tod ebenfalls ein Wunder: Mit gerade einmal Anfang 20 ist es ihr möglich, ein zweites Mal zu heiraten. Wieder geht es dabei nicht um Liebe. Um Hass aber auch nicht. Der tritt erst später in das neue Leben.

Ausgerechnet Gottfried. Der Mann, mit dem Jutta doch noch ihr vorbestimmtes Leben als Ehefrau und Mutter führen wird, heißt Gottfried von Cuyx: ein angesehener Ritter aus Utrecht, der regelmäßig am Kaiserhof zu Gast ist. Eine gute Partie, die Nobert von Xanten vermittelt hat, ein Freund der Fammilie Cuyx. Auch dieser Gottfried interessiert sich nicht sonderlich dafür, Haus Arnsberg zu alter Größe zu führen, wie es sich Juttas Vater erträumt hatte. Er weilt lieber auf den Gütern in seiner holländischen Heimat, wenn er nicht auf Reisen ist. Doch es bleibt Zeit, eine neue Linie des Grafengeschlechts zu gründen. Fünf Kinder hat Jutta. Der älteste Sohn wird in die Geschichte eingehen - als der Brudermörder.

Die Sühne des Brudermörders

Ob sich Heinrich und Friedrich schon als Kinder duellieren und mit kleinen Holzschwertern aufeinander losgehen, als ob es um Leben und Tod ginge? Vielleicht lachen die Erwachsenen darüber und glauben das ungestüme Erbe des Opas erkennen zu können, der als „der Streitbare“ in die Geschichte eingegangen ist. Sein Enkel Heinrich wird als „der Brudermörder“ seinen Platz in den Annalen finden.

Ob Jutta das noch erleben muss, ist unklar. Seitdem ihre Kinder erwachsen sind, findet sie in den mittelalterlichen Chroniken keine Erwähnung mehr. Dabei hätte die Frau, die einst aufbegehrte, jetzt erneut widersprochen, lauter denn je.

Es geht wieder um Macht und Besitz. Friedrich meldet Ansprüche auf einen Teil der Grafschaft an, doch sein Bruder will nichts abgeben und schafft das Problem aus der Welt. Er lässt 1164 Friedrich gefangen nehmen und einkerkern. Ein knappes Jahr später stirbt der im Verließ: eine Untat, die großes Aufsehen im ganzen Reich erzeugt. Eine starke Allianz von Rächern zieht nach Arnsberg, belagert die Burg und zerstört sie. Heinrich gelingt gerade noch die Flucht.

Eine großzügige Sühnetat rettet sein Leben, die Jutta bekannt vorgekommen wäre: Er stiftet ein Kloster, das Prämonstratenserstift Wedinghausen, und wird später selbst Klosterbruder.

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