Hölle und Himmel so nah wie nie bei Sanierung der Stiftskirche Cappenberg

© Sylvia vom Hofe

Hölle und Himmel so nah wie nie bei Sanierung der Stiftskirche Cappenberg

rn900 Jahre alte Kirche

Seit einem Jahr ist die 900 Jahre alte Stiftskirche neben Schloss Cappenberg eine Großbaustelle. Das Land NRW lässt sie sanieren. Was dabei inzwischen zu Tage kam, verblüfft selbst Experten.

Cappenberg

, 08.06.2021, 18:00 Uhr

Die Chance ist einmalig. Aus nächster Nähe einen Blick in Himmel und Hölle zu werfen, ist kaum einem gewährt - zumindest nicht zu Lebzeiten. Bei Michaela Jahnke und ihren Kolleginnen ist das etwas anderes, von Berufswegen. Die Restauratorinnen sind in den vergangenen drei Monaten in Cappenberg mit Gott und Teufel, Geretteten und Verdammten auf Tuchfühlung gegangen. An einem ihrer letzten Arbeitstage im Vierungsgewölbe zeigen sie, mit welchem Ergebnis. Ein Moment des Staunens, aber längst nicht der einzige beim exklusiven Rundgang durch die aktuell größte Kirchenbaustelle Westfalens.

Der Höllenschlund gleicht einem Drachenmaul

Die Himmelstür ist schmal und aus Holz. Der Engel hält sie nur einen Spalt weit auf. Das Gedränge davor ist entsprechend groß. Dennoch lächeln alle entspannt. Geradezu selig. Ganz anders auf der anderen Seite. Dort haben die Wartenden die Augen weit aufgerissen vor Angst. Niemand strebt voran. Damit es überhaupt weitergeht, treiben Teufel die Menschen voran - in Richtung Höllenschlund: dem Rachen eines dampfenden, roten Feuerdrachens.

So sieht es aus: das Jüngste Gericht, wie es sich der unbekannte Maler um 1400 vorgestellt und in den vier Gewölbekappen der Vierung gemalt hat. Damals war das von Gottfried, dem als Heiligen verehrten letzten Grafen von Cappenberg, gegründete Gotteshaus um die 150 Jahre alt. Die Grundsteinlegung für den bis heute weitgehend in seinem Ursprung erhaltenen romanischen Sakralbau war am 15. August 1122 auf dem Gelände der mächtigen Burganlage erfolgt.

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Stiftskirche Cappenberg wird restauriert

Spektakuläre Einblicke in ihre Arbeit gewähren die Restauratorinnen und Restauratoren in der Stiftskirche Cappenberg. Insbesondere die Malereien lassen staunen.
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Gottfried hatte sie zum ersten Prämonstratenserkloster im deutschsprachigen Bereich umwandeln lassen. Die Fertigstellung erfolgte mehr als 25 Jahre später. Damals war Gottfried längst tot. Und Otto von Cappenberg, der Patenonkel von Kaiser Barbarossa, ließ die Hälfte der Gebeine seines Bruders von dessen Sterbeort Ilbenstadt nach Cappenberg überführen.

Drama des Jüngsten Gerichts war unter Staub verschwunden

Gottfrieds Grabplatte liegt schräg unter dem Weltgericht. Das aus Stein gehauene Gesicht des als Ritter mit Schwert und Schild dargestellten Stifters lächelt nach oben. Michaela Jahnke könnte das sehen, wenn sie vom Gerüst direkt unter der Kirchendecke in die schwindelerregende Tiefe herabblicken würde. Tut sie aber nicht. Die Restauratorin hat nur Augen für die Malereien. Für die feine Mimik der Figuren. Die Kreuze, die die Zinnen des himmlischen Jerusalems zieren. Und die Flammen, die über der Hölle züngeln: Details, die vor Beginn der Kirchensanierung nicht zu entdecken waren. „Wir haben da natürlich nichts hinzuerfunden“, sagt Jahnke, „alles war da.“ Aber versteckt. Unter Staub und Ruß. Und bis etwa 1880 unter Putz. Erst bei der damaligen Restaurierung der Kirche war die figürliche Wandmalerei entdeckt und freigelegt worden - so gut das damals ging.

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„Ganz toll“, sagt Andrea Liapis. „Großartig“, bestätigt Petra Junfermann. Beide stehen neben der Restauratorin und können ihren Blick nicht losreißen vom ungeahnten Drama der Apokalypse. Selbst die beiden Verantwortlichen der Baustelle hatten nicht zu hoffen gewagt, dass so viele Kleinigkeiten sichtbar würden: vom Horn, auf dem die Teufel blasen mit zum Blumenschmuck, der das Kleid des Engels ziert. Architektin Liapis vertritt als Mitarbeiterin der Bezirksregierung Arnsberg den Bauherrn, das Land NRW, dem die Stiftskirche gehört. Und Junfermann, ebenfalls Architektin, koordiniert für den Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes die Arbeiten. So eine umfangreiche Restaurierung wie das 7,1-Millionen-Euro-Projekt in Cappenberg sei etwas ganz Besonderes, sagen beide. Das komme vielleicht alle 30 bis 40 Jahre einmal vor - ein Höhepunkt in ihrem Berufsleben.

Werkstoffe der Vergangenheit sind heute ein Problem

Susanne Bosch hat bereits zum zweiten Mal in ihrer Laufbahn mit der Stiftskirche zu tun. Das sagt die Restauratorin, ohne sich von Gottfried abzuwenden, dem steinernen Ritter im Seitenschiff, dessen Hals sie gerade mit einem Skalpell bearbeitet. Das erste Mal war vor mehr als 30 Jahren. „Damals war ich noch im Praktikum“, sagt die Süddeutsche, die einst fürs Studium der Konservierung und Restaurierung von Kunst und Kulturgut nach Köln gezogen war. Jetzt geht sie überall dorthin, wo spannende Aufgaben warten. Den lächelnden Stifter des Klosters Cappenberg fit für das 21. Jahrhundert zu machen, ist so eine. Dabei hat sie auch mit inzwischen überholten Vorstellungen ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger zu kämpfen.

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„Früher“, sagt sie, „hat man hier getöntes Kunstharz benutzt“. Mit der Zeit sei der immer dunkler geworden: ein Material, dessen Reste sie jetzt mit dem Skalpell aus dem Sandstein kratzt, nachdem sie es mit Wasserdampf angelöst hatte. Andere auf der Riesenbaustelle Stiftkirche mühen sich mit Silikon in Fensterrahmen, Insektiziden im Holz des Chorgestühls und anderen Werkstoffen, die inzwischen im Denkmalschutz keinen Einsatz mehr finden. Dass sich der gefeierte Fortschritt von einst aktuell als Übel entpuppen kann, zeigt sich auch an den beweglichen Kunstwerken des Kircheninnenraums, von denen zurzeit kein einziges mehr an Ort und Stelle ist - nicht nur, um sie während der Sanierungsarbeiten in Sicherheit zu wissen, sondern auch um sie restaurieren zu können.

Ob das berühmte Triumphkreuz, das Kunstkenner zu den weit und breit herausragenden Holzskulpturen der Zeit um 1200 zählen, oder der spätgotische Cappenberger Altar, den Jan Baegert um 1530 geschaffen hat: Alle Ausstattungsgegenstände des Kirchenraums wiesen Spuren von Schimmel auf und mussten auf Veranlassung der Kirchengemeinde aufwendig gereinigt werden: ein Phänomen, das Restauratoren landauf, landab aus Kirchen kennen.

Heizungsluft hat Schimmelbildung begünstigt

„Der Grund ist die Heizung“, sagt Petra Junfermann. Solange nicht geheizt wurde, habe es auch nie ein Problem mit dem Schimmel gegeben. Seitdem warme Heizungsluft auf noch kalte Kirchenmauern trifft, bildet sich aber regelmäßig mehr oder weniger Kondenswasser - genauso wie im Sommer ein kühles Glas Weißwein beschlägt. Nur, dass im Fall der Stiftskirche der Genuss verwehrt blieb. „Wirklich angenehm wurde es hier nie“, sagt Junfermann. Das soll sich künftig ändern. Die neue Formel: Mehr gleichmäßig verteilte Temperaturen plus regulierter Luftzustrom gleich weniger Schimmel.

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Die neue Gasheizung ist an diesem Vormittag gerade geliefert worden. Sie steht zwischen Pfarrhaus - dem nächsten Sanierungsfall - und eingerüsteter Kirche: bereit, um sie in den Keller zu bringen. Der war Anfang der 1990er-Jahre neben dem schlanken Treppenturm unterhalb des Chorraums gegraben worden. Dabei waren die Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe auf Reste der ursprünglichen Burganlage aus vorklösterlicher Zeit gestoßen. Die Steine dafür stammen ebenso wie die für die Kirche ganz aus der Nähe: aus dem Cappenberger Steinbruch am heutigen Brauereiknapp. Ein stabiler Baustoff, der - sobald das Außengerüst abgebaut ist - in neuem Glanz erstrahlen wird.

Ziel im Blick: Alles fertig bis zum Jubiläumsjahr 2022

Handwerker haben die Steine und Fugen gesäubert, gefestigt und bei Bedarf ausgetauscht. Das Hauptdach der romanischen Saalkirche ist schon erneuert, und die Seitendächer, auf denen seit Jahren nur Dachpappe klebt, werden folgen.

„Es gibt noch genug zu tun“, sagt Petra Junfermann. Bis Jahresende soll alles fertig sein - pünktlich zum Jubiläumsjahr 2022, wenn Cappenberg und mit ihm ganz NRW 900-Jähriges feiert. Gäste aus aller Welt werden dann das Weltengericht unter der Kirchendecke bestaunen. Aber keiner von ihnen so aus der Nähe, wie es das Gerüst unter der Kuppel ermöglicht hat. Seit Montag (7. 6.) wird es abgebaut.