Unter den mehr als 200 Teilnehmern der Friedenskundgebung vor dem Borker Amtshaus waren auch Flüchtlinge, die in Selm eine neue Heimat gefunden haben.

© Arndt Brede

Friedensdemo in Selm: Auch Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak kamen

rnKrieg in der Ukraine

Die Solidarität mit Menschen in der Ukraine dränge das Schicksal anderer Flüchtlinge in den Hintergrund, ist zu hören. Auf der Friedensdemo in Selm gab es andere Töne - von Flüchtlingen.

Selm

, 05.03.2022, 16:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Mehr als 200 Menschen brachten während der Friedenskundgebung am Mittwoch, 2. März, vor dem Borker Amtshaus auf ganz unterschiedliche Weise ihr Mitgefühl mit den Menschen in der Ukraine zum Ausdruck. Einige durch Plakate. Einige, indem sie sich mit anderen austauschten. Andere wiederum stumm. Weil sie selber erlebt haben, wie es ist, durch einen Krieg und Verfolgung aus dem eigenen Heimatland vertrieben zu werden. Weil sie - wie aktuell Tausende von Ukrainern - geflüchtet sind. Weil sie gehofft haben, auch hier bei uns Zuflucht zu finden. Frieden zu finden.

Auch Flüchtlinge, die jetzt in Selm leben, waren bei der Friedenskundgebung. Sie haben sich nicht öffentlich und lautstark gemeldet. Aber im Gespräch mit der Redaktion nach der Kundgebung haben sich zwei geäußert. Leise. Ihre Namen möchten sie nicht nennen. Fotos von sich möchten sie auch nicht veröffentlicht sehen. Das ist aber auch okay. Was sie uns von ihrem eigenen Schicksal berichtet haben, ist nicht namenlos.

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43 Jahre alt sei sie, sagt die Frau, die bereits vor neun Jahren - also noch vor der großen Flüchtlingswelle 2015 - nach Deutschland kam und in Selm geblieben ist. „Wir sind erst für drei Jahre in Selm gewesen, wohnen seitdem in Bork“, erzählt sie in gutem Deutsch. Sie und ihre Familie fühlen sich wohl in ihrer eigenen Wohnung in Bork. „Unserer Verwandten und unser Land fehlen uns, aber die Selmer und Borker sind sehr nett.“

„Wir müssen uns alle schämen“

Sie sei ganz bewusst zur Friedenskundgebung gekommen. „Es sind ganz viele Erinnerungen in mir hochgekommen.“ Und auch wenn sie mit Angehörigen in Syrien telefoniere, kommen Emotionen hoch: „Die Kinder in Syrien haben keine Kindheit mehr.“ Die Bilder der Flüchtlinge aus der Ukraine zu sehen, erinnere sie an ihre eigene Flucht mit Frauen und Kindern. „Wir alle müssen uns schämen, was mit der Menschheit passiert“, sagt sie und kann ihre Tränen kaum zurück halten.

Man muss sich das vorstellen: Eine Frau muss ihr Land verlassen, erlebt Leid am eigenen Leibe, macht sich auf den langen Weg der Flucht, kommt nach Deutschland, findet in Selm und Bork endlich eine Wohnung. Findet Frieden, wie sie sagt. Genug erlebt, möchte man sagen. Nur zu verständlich, wenn sie sich nur um sich und ihre Familie kümmern würde. Aber nein. Sie kommt zur Friedenskundgebung, reiht sich ein in die Schar derer, die sich Sorgen um die Menschen in der Ukraine machen. „Ich wünsche mir, dass auf der ganzen Welt Frieden ist“, sagt die 43-Jährige. „Ich wünsche mir, dass alle Menschenkinder ein richtiges Zuhause finden, ein Dach.“ Was derzeit mit den Menschen in der Ukraine passiere, „kann ich nicht akzeptieren“.

„Die Asyl-Arbeitskreise sind wichtig“

Nun haben sich ja die Asyl-Arbeitskreise Selms bereit erklärt, auch ukrainischen Flüchtlingen zu helfen. Was sagt sie dazu? „Die Asyl-Arbeitskreise sind wichtig. Wir selber haben die Asylkreise Bork und Selm kennengelernt. Die haben uns geholfen, bei der Sprache, mit unseren Kindern. Manchmal gehen wir in den Laden des Asylkreises in Bork, um die Helfer einfach zu begrüßen, um uns zu unterhalten.“

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31 Jahre ist der Mann alt, der ebenfalls vor Krieg und Verfolgung geflüchtet ist. Vor sieben Jahren aus dem Irak. In Bork habe er eine Wohnung gefunden. Und eine Arbeitsstelle habe er auch. Bei der Schädlingsbekämpfung Angelkort in Ascheberg-Herbern. Er könnte eigentlich zufrieden sein. Ist er wohl auch mit seiner Situation. Mit anderem nicht: „Es ist nicht gut, was in der Ukraine passiert. Vor allem, weil da auch Zivilisten getötet und angegriffen werden.“ Deshalb sei er auch auf der Friedenskundgebung.

„Eine Stunde Aufstehen für die Ukraine“

Was er im Fernsehen und im Internet darüber sehe, bringe Erinnerungen an seine eigene Flucht zurück. „Das geht mir nicht aus dem Kopf, wenn ich das sehe.“ Die Sorge, wie es der Familie geht, die zurück bleiben musste, die jetzt viele Menschen bewege, die aus der Ukraine fliehen, die habe er auch am eigenen Leib erfahren. „Ich hatte immer Angst, was ihnen passiert. Ich habe jeden Tag angerufen.“ Mittlerweile sei seine Familie bei ihm. Und habe Frieden gefunden. Da sei es für ihn selbstverständlich, zur Friedenskundgebung zu gehen: „Eine Stunde Aufstehen für die Ukraine.“