Ein Jahr kein Glyphosat auf städtischen Grünflächen
Fragen und Antworten
„Kein Tropfen Glyphosat ist im vergangenen Jahr auf städtischen Grünflächen zum Einsatz gekommen.“ Das versicherte am Mittwochabend Stadtwerke-Chef Stephan Schwager dem Umweltausschuss in Burg Botzlar in Selm. Wir klären Hintergründe zum Thema.

Um das Thema Glyphosat ging es am Mittwochabend im Umweltausschuss der Stadt Selm.
Wie hatten die Mitarbeiter der Stadtwerke reagiert, als sie vom freiwilligen Giftverzicht hörten?
„Ich war überrascht“, so Stephan Schwager. Seinen Mitarbeitern sei es wohl nicht anders ergangen. Schließlich sei das in Selm gar kein großes Thema gewesen.
Ist es eigentlich nachgewiesen, dass Glyphosat in den menschlichen Körper gelangt?
Allerdings. Nora Gerstenberg, Pressereferentin des Umweltministeriums in NRW, hat auf Anfrage der Redaktion auf eine Studie verwiesen, die das Landesumweltamt im Mai dieses Jahres vorgelegt hat. Sie hatte Glyphosat im Urin zwei- bis sechsjähriger Kita-Kinder nachgewiesen. Demnach wurden unter den 250 Kindern bei 63 Prozent Konzentrationen des Unkrautvernichtungsmittels oberhalb der Bestimmungsgrenze von 0,1 Gramm pro Liter gemessen.
Und stimmt es, dass Glyphosat Krebs erzeugt?
Daran scheiden sich immer noch die Geister. Die Weltgesundheitsorganisation WHO sagt Ja und warnt vor dem weiteren massenhaften Einsatz des Giftes. Die EU-Lebensmittel-Behörde sieht den Zusammenhang mit Krebserkrankungen dagegen nicht.
Was besagt der Selmer Glyphosat-Beschluss?
Dass die Stadt ab sofort verzichtet auf den Einsatz von Glyphosat – sowohl wenn sie, beziehungsweise die Stadtwerke, selbst das öffentliche Grün pflegen als auch wenn sie Privatfirmen dafür engagiert. Das sei im vergangenen Jahr aber gar nicht der Fall gewesen, so Schwager. Auch habe die Stadt keinen Acker auf öffentlichem Grund neu an Landwirte verpachtet. „Das Liegenschaftsamt hat aber bereits in künftige Verträge die neue Klausel eingearbeitet.“ Danach ist ein Pächter der Stadt verpflichtet, ab sofort auf Glyphosat zu verzichten.
Lassen sich die städtischen Beete und Grünflächen ohne das Gift ebenso gut pflegen?
Klares Nein von Stephan Schwager. Die Folge: „In den regenreichen Monaten April bis Juni konnten wir unseren Pflegestandard nicht aufrecht erhalten.“ Das heißt: Unkraut wucherte, wo sonst Glyphosat alles im Keim erstickt hätte. In der zweiten Jahreshälfte habe sich das gebessert – dank zusätzlicher Hilfen: in diesem Fall zehn Teilnehmer einer Arbeitsmaßnahme. Für das nächste Jahr hofft Schwager auf weitere ungelernte Helfer: Teilnehmer des Flüchtlingsintegrationsprogramms FIM etwa. „Wir brauchen einfach mehr Personal, wenn wir auf Glyphosat verzichten und dennoch wert legen auf ein vernünftiges öffentliches Erscheinungsbild.“
Ist es denn so wichtig, dass die Beete in der Stadt picobello sind?
Ja, meint Schwager: „Große Bevölkerungsteile wünschen sich einen hohen Pflegestandard.“ Ungepflegte Beete seien ein „Imageverlust für die Stadt im Allgemeinen und die Stadtwerke im Besonderen“. Außerdem befürchtet Schwager einen Zusammenhang „zwischen Sauberkeit und Sicherheit“.
Hilft denn nichts anderes als Glyphosat?
Mechanische und thermische Großgeräte – also zum Reißen und Abflämmen – sind zu groß für den Einsatz auf den kleinen Beeten. Es gibt sie auch kleiner. Die Anschaffung hält Schwager aber für zu teuer. Zumal: „An einer Hecke kann ich sowieso nicht mit Flamme Unkraut bekämpfen, ohne auch die Wurzeln der Hecke zu beschädigen. Von Raseneinsaat im großen Stil rät er ab – „zu eintönig“. Und Bodendecker und Rindenmulch würden nur vorübergehend helfen. Bleiben andere Pflanzengifte: Pelargonsäure („nicht geeignet: müsste man zu oft anwenden“) und ein Streugranulat wie Vorox („darauf könnte man zugehen“). Schwager möchte 2017 eine Kombination wählen: mehr Arbeitskräfte, anders gestaltete Beete und andere Herbizide.
Verzichten andere Städte auch auf Glyphosat?
Ja, Münster und Castrop-Rauxel etwa. Witten und Iserlohn verzichten ganz auf Pflanzengifte. Lüdinghausen ist nach politischem Hin und Her beim Glyphosat geblieben.