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Betrug: Betreiber eines Testzentrums in Selm steht unter Verdacht
Ermittlungen
Mehr Tests abgerechnet als tatsächlich durchgeführt? Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ein Unternehmen, das in 36 Städten 54 Testzentren unterhält - eines davon in Selm.
Hat ein Bochumer Unternehmen, das bundesweit Schnelltestzentren betreibt, im großen Stil Abrechnungsbetrug verübt? Gemeinsame Recherchen von WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung legen diesen Verdacht nahe. Inzwischen ermittelt die für Wirtschaftskriminalität zuständige Staatsanwaltschaft Bochum. Wer am Samstag vor dem Hellweg-Baumarkt in Selm einen Corona-Schnelltest hat machen lassen, bekam von den Wirbel aber nichts mit.
Die Menschen stehen am späten Samstagnachmittag (29. 5.) vor dem weißen Pavillonzelt auf dem Parkplatz des Baumarktes an der Lüdinghausener Straße Schlange - und das, obwohl ein Test für das Einkaufen gar nicht mehr nötig ist: weder im Baumarkt selbst, noch anderswo. Wer aber zum ersten Mal nach Monaten wieder essen gehen möchte wie das Ehepaar Fischer aus Selm oder aus einem anderen Grund Sicherheit haben möchte, braucht weiter einen aktuellen Test. Und den gibt es an einem Samstag nach dem üblichen Geschäftsschluss hier.
Testmöglichkeit an Samstagen bis 20 Uhr
MediCan hat samstags bis 20 Uhr geöffnet - auch an diesem Samstag in Selm. In Münster dagegen bleiben die beiden Testzentren des Unternehmens am Tag zwei nach Bekanntwerden von Betrugsvorwürfen und Tag eins nach ersten Durchsuchungen von Geschäfts- und Privaträumen durch die Staatsanwaltschaft geschlossen. Die Stadt Münster hatte nach Angaben der Westfälischen Nachrichten der MediCan GmbH kurzfristig die Beauftragung entzogen.
Süddeutsche Zeitung, WDR und NDR hatten am Donnerstag veröffentlicht, dass die Firma von mehreren Teststellen in Nordrhein-Westfalen höhere Testzahlen an das Gesundheitsministerium gemeldet hatte, als vor Ort tatsächlich stattgefunden hätten. Damit konfrontiert hatte der Chef des Unternehmens laut SZ darauf verwiesen, Testungen in einigen Städten zusammengefasst übermittelt zu haben. Die Summe stimme aber.

Ralf und Doris Fischer gehören zu den Selmerinnen und Selmern, die am Samstagnachmittag gerne das Angebot eines Bürgertests angenommen haben: die Voraussetzung, die Außengastronomie im Kreis Unna zu besuchen. © Sylvia vom Hofe
Ralf und Doris Fischer, die am Samstag gegen 17 Uhr vorm Selmer Testzelt stehen, haben von den Manipulationsvorwürfen gegen den Betreiber noch nichts gehört. Und dem in Plastik-Sicherheitsanzug schwitzenden Mitarbeiter des Unternehmens, der die Rachen- und Nasenabstriche nimmt, ist dazu kein Statement zu entlocken. Er bleibt schon einsilbig, wenn er sich zum eigentlichen Test-Prozedere äußern soll und zu der an diesem Tag ungewöhnlich langen Wartezeit auf das Ergebnis. Eine halbe Stunde liegen dieses Mal zwischen Testung und Übermittlung auf das Smartphone.
Recherchen haben Betrugsverdacht zu Tage gebracht
Die Recherche von SZ, WDR Und NDR hatten am Beispiel des Bochumer Unternehmens aufgedeckt, wie anfällig das gesamte System der Bürgertests ist für Manipulationen. Diese Tests sind für Bürgerinnen und Bürger kostenlos. Die Teststellen erhalten 18 Euro pro Schnelltest. Kontrollen sind nach Recherchen des Journalistenteams mehr als dürftig. Ein Beispiel aus Essen: Dort wurden laut SZ an einem Samstag auf einem Parkplatz etwa 550 kostenlose Tests vorgenommen, gemeldet hatte das jetzt bundesweit im Fokus stehende Unternehmen aber 1743. Diskrepanzen fanden sich auch in den Angaben aus anderen NRW-Städten. Angaben aus Selm gibt es nicht.
Politik kündigt bessere Kontrollen an
Inzwischen hat sich auch die Politik eingeschaltet. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat schärfere Kontrollregeln angekündigt und nachträgliche Prüfungen der Abrechnungen bis Ende 2024.
Hellweg hatte Mitte April angekündigt, an all seinen mehr als 40 Bau- und Gartenmärkten in NRW Schnelltestzentren einzurichten. Das in Selm gehört dazu und öffnete im Mai. Das Bochumer Unternehmen MediCan betreibt nach eigenen Angaben 23 Testzentren für die Baumarktkette, darunter allein drei In Dortmund, fünf in Essen und eines in Dülmen.
Leiterin des Medienhauses Lünen Wer die Welt begreifen will, muss vor der Haustür anfangen. Darum liebe ich Lokaljournalismus. Ich freue mich jeden Tag über neue Geschichten, neue Begegnungen, neue Debatten – und neue Aha-Effekte für Sie und für mich. Und ich freue mich über Themenvorschläge für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen.
