
Dr. Gerd Dethlefs ist Kurator der Ausstellung „Barbarossa. Das Vermächtnis von Cappenberg" im Schloss Cappenberg. Er zeigt anhand eines barocken Gemäldes das, was fehlt: das Reliquienkreuz. © Sylvia vom Hofe
Barbarossa-Ausstellung in Cappenberg: Wichtiges Exponat ist verschollen
Schloss Cappenberg
Eine Sensation. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten sind sie wieder in Cappenberg vereint: Barbarossas silberne Taufschale und der berühmteste Goldkopf des Mittelalters. Etwas anderes fehlt.
Goethe hätte seine Freude gehabt an der am Mittwoch (14. 9.) beginnenden Ausstellung mit dem Titel „Barbarossa. Das Vermächtnis von Cappenberg“. Mehr als 60 Exponate sind im Schloss Cappenberg zu sehen: dort, wo vor 900 Jahren die ganze Geschichte von Rittern und Heiligen, Schuld und Sühne, Macht und Demut ihren Anfang nahm. Ein Stoff für Dramen und Romane. Die Freude des Dichterfürsten hatte aber einen anderen Grund. Er war es, der eines der wichtigsten Ausstellungsstücke eigenhändig gerettet hat. Das wirklich wertvollste Stück ist dagegen bis heute verschollen.
Ausstellungsort auf historischem Boden in Cappenberg
Dr. Gerd Dethlefs steht in einem der umfangreich erneuerten und inzwischen komplett barrierefrei zugänglichen Museumsräume des Schlosses Cappenberg: auf dem Grund und Boden, den Graf Gottfried von Cappenberg vor 900 Jahren verschenkt hat.
Aus der Burg seiner Familie hatte der letzte Graf von Cappenberg das erste Prämonstratenserkloster auf deutschem Boden gemacht. Seine 105 reich begüterten Gefolgsleute und Kampfgefährten schickte er in den Dienst des Bischofs. Und seinen Bruder Otto ließ er genauso wie seine Ehefrau Jutta allem Weltlichen abschwören und in den Orden eintreten. Eine 180-Grad-Wende im Leben. Vorangegangen war Traumatisches: Gottfried und Otto hatten im 50 Jahre dauernden blutigen Machtkampf zwischen Kaiser und Papst die Schlacht gegen Münster angeführt und den Dom in Brand gesetzt: eine Todsünde.

Auch wenn er nicht mehr als Darstellung des Kaisers Barbarossa gilt, ist der goldene Kopf nach wie vor eine der bedeutendsten Porträt-Büsten des Mittelalters. Das wertvollste Stück aus dem Cappenberger Kirchenschatz ist jetzt im Museum zu sehen. Dr. Heinrich Schulze Altcappenberg (v. l.) vom Rotary-Club Kaiser Barbarossa Selm, der die Initiative gestartet hatte zur Ausstellung, Dr. Hermann Arnhold, der Direktor des LWL-Museums Münster, wo eine parallele Ausstellung zum Thema am 28. Oktober beginnt, und LWL-Direktor Dr. Georg Lunemann schauen sich die Büste an. © Sylvia vom Hofe
Sechs Monate ist es her, dass der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und der Kreis Unna an diesem geschichtsträchtigen Platz wieder ihre Museumsarbeit aufnahmen - nach sechs Jahren Renovierungspause. Die Ausstellung anlässlich des 900. Geburtstages von Kaiser Barbarossa und des ebenfalls 900. Jahrestages der Umwandlung Cappenbergs in ein Kloster werde besondere Strahlkraft haben, hatte Dethlefs schon damals angekündigt. Er hat nicht zu viel versprochen. Denn in dem abgedunkelten Raum, in dem er an diesem Nachmittag kurz vor der Eröffnung steht, gibt es so etwas wie eine Sensation. Es kommt erstmals in Cappenberg wieder alles zusammen, was zusammengehört. Fast zumindest.
Schale und Kopf: Erstmals wieder vereint in Cappenberg
Links von Detlefs steht eine Glasvitrine, in der ein etwa 25 Zentimeter großer Teller aufrecht zu schweben scheint. Er blitzt und blinkt im raffinierten Licht der auf ihn gerichteten Spots silbern und golden. Als Goethe mehr als 200 Jahre zuvor mit seinem Freund, dem späteren Cappenberger Schlossherrn Freiherr vom und zum Stein, in Köln auf diesen Teller stieß, wird er nicht so blank gestrahlt haben. Ob das auf einem besseren Flohmarkt war oder in einem exquisiten Antiquitätenladen, lässt sich nicht mehr sagen. Fest steht: Sie erkannten in dem Teller einen Schatz. Goethe brachte ihn zu seiner Chefin, der Erbgroßherzogin von Sachsen-Weimar. Aus deren Schatzkammer kam er 1933 ins Kunstgewerbemuseum in Berlin, wo er bis heute als eines der bedeutendsten Ausstellungsstücke gilt und nur gelegentlich ausgeliehen wird. Wie jetzt.
Die Betrachter in Cappenberg müssen sich etwas bücken, um die feine Gravur in der Tellermitte genau in den Blick nehmen zu können: eine Gruppe Menschen. Die kleinste Person in der Mitte wird von zwei anderen links und rechts gehalten und mit dem ganzen Körper in einen Behälter getaucht: ein Taufbecken. Die lateinische Inschrift verrät, dass der Täufling in der Mitte Kaiser Barbarossa sei. Und der Mann links sein Patenonkel: Otto von Cappenberg. 1122 war Otto, der Bruder des letzten Grafen von Cappenberg, für die Zeremonie in Schwaben. Damals konnte er noch nicht ahnen, dass das Baby 33 Jahre später einmal einen roten Bart und eine Kaiserkrone tragen würde. Und dass die sorgsam gehüteten Taufgeschenke, die er einst von Barbarossa erhielt, einmal dauerhaft getrennt würden. Und erst 900 Jahre nach der Taufe zumindest für mehrere Wochen wieder zusammenfinden würden.

Endlich wieder zurück in Cappenberg: Die Taufschale Barbarossas war seit 1803, als das seit 1122 existierende Kloster aufgehoben worden war, nicht mehr im Schloss. © Sylvia vom Hofe
Rechts von Dethlefs steht in einer Vitrine hinter Panzerglas der berühmteste Goldkopf des Mittelalters: lockig, große Augen, schlanke Nase, gepflegter Bart und das alles verteilt auf 31,4 Zentimetern. Früher sagte man „Barbarossakopf“ zu ihm, heute weiß man es besser. Nicht den 1122 geborenen Kaiser Friedrich I. Barbarossa zeigt die wertvolle Bronzearbeit, sondern den heiligen Johannes. Das sei inzwischen unstrittig, sagt Dethlefs. Dass es sich sowohl bei dem Kopf als auch bei der Taufschale um Geschenke des Kaisers an seinen Patenonkel Otto handelt, ebenfalls. Etwas anderes dagegen nicht. Dazu hat der Historiker, der sich seit mehr als 30 Jahren auch intensiv mit Cappenberg beschäftigt, seine ganz eigene Theorie.
Byzantinisches Reliquienkreuz ist verschollen
Es geht um das Kreuz. Nicht das große Holzkreuz in der Stiftskirche nebenan, deren Grundstein ebenfalls vor genau 900 Jahren gelegt wurde. Das mag zwar auch schon zu Ottos Lebzeiten dort gehangen haben. Aber das Kreuz, das Dethelfs meint, ist bedeutend kleiner. Und kostbarer verziert: ein Reliquienkreuz, wie Dethlefs sagt. Etwas, das sowohl den Kopf also auch die Taufschale in den Schatten stelle, wenn es da wäre.
„Wir haben leider nur ein Bild.“ Dethlefs ist inzwischen in den Ausstellungsraum nebenan gegangen und steht genau vor dem Gemälde. Ein Porträt von Ferdinand Goswin Mauritz von Ketteler-Harkotten aus dem Jahr 1751. Der Mann ist in diesem Moment eher uninteressant, anders als die Kette, die er über seinem weißen Ordenskleid trägt. Sie hat einen auffälligen Anhänger: das mit Edelsteinen besetzte byzantinische Reliquienkreuz. „Ich glaube“, sagt Dethlefs, „dass es im engen Zusammenhang mit dem goldenen Kopf stand.“ Der Kopf, also der Star des Cappenberger Kirchenschatzes, sei in Wahrheit nur eine Art Träger für das kostbare Kreuz gewesen. Beide gehörten zusammen. An besonderen Feiertagen seien sie aneinander lehnend präsentiert worden.

Dr. Heinrich Schulze Altcappenberg hat deutlich gemacht, warum sich der Rotary Club Selm Kaiser Barbarossa genannt hat und weshalb ihm die Ausstellung im Jubiläumsjahr so wichtig ist. „Uns geht es darum, die gemeinsame kulturelle Identität in unserer Stadt zu stärken.“ © Sylvia vom Hofe
Anders als Schale und Kopf ist das Kreuz kein Geschenk des Kaisers. Otto hat es - ebenfalls vor 900 Jahren, aber vor dem Tauftermin - gekauft. Er und sein Bruder, vor allem auch der von ihnen verehrte Ordensgründer Norbert von Xanten, brauchten Geld für das neue Kloster in Cappenberg. Wahrscheinlich hatten sich Otto und Gottfried bereits vor Barbarossas Geburt mit dessen Vater über den Handel geeinigt: die in Schwaben liegenden ererbten Burgen Hildrizhausen und Kräheneck gegen Bares. Otto erhielt 500 Mark Silber und ein goldenes byzantinisches Reliquienkreuz mit Kette, das einem Wert von weiteren 100 Mark
Silber entsprach. „Das Kreuz“, sagt Dethlefs.
Lunemann: Erfolg von Mittelerde färbt ab auf Mittelalter
Symbole der Macht und Kämpfe zwischen den Guten und den Bösen, ohne so genau zu wissen, wo dort die Linie verläuft: Das ist derzeit erfolgreich, sagt der aus Olfen stammende LWL-Direktor Dr. Georg Lunemann mit Verweis auf die neue „Herr der Ringe“-Verfilmung. Das echte Mittelalter biete aber eine größere Spannbreite als die Geschichte von Mittelerde.
„Ok, wir haben keinen Drachen“, räumt er kurz vor der Eröffnung in Cappenberg ein, aber jede Menge spannender Protagonisten: als Pappkameraden aufgestellt entlang des Flurs. Ob Gottfried, sein verhasster Schwiegervater oder seine enttäuschte Ehefrau, Papst oder Kaiser: Ausstellungsbesucher lernen kennen, was die einzelnen umtreibt. Draußen vorm Museum sehen sie, wie unverbrüchlich eng die Beziehung zwischen Barbarossa und den Grafen-Brüdern war.

Wie sich auch die Mächtigen entschieden - ob für ein Leben als Ritter oder als Chorherr: Die abhängigen Bauern mussten ihnen folgen. Diese Szene bäuerlicher Arbeit stammt aus dem Paradies des Doms zu Münster: des Doms, der dem folgte, den die Brüder Otto und Gottfried von Cappenberg niedergebrannt haben. © Sylvia vom Hofe
„Man muss nur hinausschauen zum Giebel“, sagt Dethlefs. Dort sind drei Gesichter zu sehen. „Der mittlere ist nicht irgendein Kaiser, sondern Barbarossa, eingerahmt von Otto und Gottfried. Goethe hat das nie zu Gesicht bekommen, genauso wenig wie den goldenen Kopf. Seine Freude hätte er aber daran gehabt, genauso wie an der bis zum 5. Februar laufenden Ausstellung: dienstags bis sonntags sowie an Feiertagen von 10 bis 17.30 Uhr. Erwachsene zahlen 6 Euro (ermäßigt 3 Euro). Die Stiftskirche wird parallel zu den Öffnungszeiten geöffnet sein.
Leiterin des Medienhauses Lünen Wer die Welt begreifen will, muss vor der Haustür anfangen. Darum liebe ich Lokaljournalismus. Ich freue mich jeden Tag über neue Geschichten, neue Begegnungen, neue Debatten – und neue Aha-Effekte für Sie und für mich. Und ich freue mich über Themenvorschläge für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen.
