Eines haben Apotheker Volker Brüning und Hausarzt Matthias Schröder gemeinsam. Auf den Bundesgesundheitsminister sind sie alles andere als gut zu sprechen. Der Inhaber der Altstadt Apotheke in Selm, dreier Apotheken in Lünen und Sprecher der Apotheker im Nordkreis, meint: „Die Arroganz von Herrn Lauterbach ist erstaunlich.“ Der Mediziner mit Praxis an der Hauptstraße in Bork beklagt sich: „Herr Lauterbach schweigt die ambulante Versorgung in den Praxen einfach tot.“
Die aus ihrer Sicht vielschichtigen Missstände wollen die beiden genauso wie viele weitere Mitarbeiter in Arztpraxen und Apotheken nicht hinnehmen. Deswegen ruft der Hausärzteverband Westfalen-Lippe dazu auf, die Praxen am 15. November (Mittwoch) spätestens ab 10 Uhr zu schließen und zentral an Online-Fortbildungen für die Praxisteams teilzunehmen. Die medizinische Notfallversorgung ist weiterhin gewährleistet. Der Apothekerverband ruft ebenfalls dazu auf, an diesem Tag die Apotheken geschlossen zu halten. Es findet eine zentrale Protestveranstaltung in Dortmund statt. Diese beginnt ab 12 Uhr im Park der Partnerstädte am Dortmunder U und endet nach einem Marsch an den Westfalenhallen. Die Apotheken hatten zuletzt bereits am 27. September nachmittags geschlossen und am 14. Juni bundesweit gestreikt.
Sorge um ärztliche Versorgung
Für Hausarzt Matthias Schröder und mehrere Mitarbeiter ist klar: Bei der Protestveranstaltung sind sie dabei. „Wir müssen uns Gehör verschaffen, aktuell stoßen wir bei der Politik einfach auf taube Ohren“, macht der Borker deutlich. Natürlich sei es jedem Arzt freigestellt, teilzunehmen, aber die aktuellen Probleme gefährden aus seiner Sicht die Zukunft der gesamten Branche. Die fehlende finanzielle Sicherheit werde sonst zu Versorgungslücken führen. „Der Hausarzt ist bei den meisten Krankheiten die erste Anlaufstelle. Ein Drittel der Ärzte gehen in den nächsten Jahren in Rente. Wenn wir keine Nachfolger finden, steht bald ein Drittel der Bevölkerung ohne Hausarzt da“, mahnt Matthias Schröder.
Rund 80 Prozent der jungen Hausärzte wollen derzeit keine eigene Praxis übernehmen, sondern als angestellte Ärzte arbeiten. Auch das sei nur möglich, wenn die finanzielle Lage stimmt. Aber die fehlende Wertschätzung seitens der Regierung habe sich auch nach der Coronakrise gezeigt. „Mitarbeiter in Krankenhäusern und Pflegediensten haben ein finanzielles Dankeschön erhalten, aber unsere Mitarbeiter in den Arztpraxen nicht“, berichtet der Borker Mediziner.

Vergütung stagniert
Dazu kommen Aussagen aus der Politik, die an der Berufsrealität der Ärzte vorbeigehen. „Ich gehe am Mittwoch nicht mittags auf den Golfplatz“, ärgert sich Matthias Schröder mit Bezug auf eine frühere Aussage von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Die rapide Umsetzung der Digitalisierung und deren Kosten für die Praxen würden die Situation zusätzlich erschweren: „Herr Lauterbach prescht so weit vor, dass wir nicht hinterherkommen.“
Volker Brüning geht nach internen Gesprächen davon aus, dass sich ein Großteil der Apotheker in der Umgebung am Streik beteiligen wird. „Es ist fünf nach zwölf. Dieses Jahr haben erstmals mehr als 600 Apotheken geschlossen“, stellt er klar. Die Vergütung auf Basis von Packungspauschalen sei seit zehn Jahren nicht mehr angepasst worden, während die Kosten um über 60 Prozent gestiegen sind. Jetzt müsse man einfach gemeinsam „ein Zeichen setzen, um Herrn Lauterbach und die Öffentlichkeit irgendwann mal darauf aufmerksam zu machen.“ Die nachvollziehbare Tariferhöhung für Mitarbeiter um rund 10 Prozent im Februar werde, wenn sich nichts ändert, zu weiteren Einbußen führen. „Dann machen nächstes Jahr 1000 Apotheken zu“, zeichnet Volker Brüning ein düsteres Bild.
Sehr viele Kunden würden im Gespräch Verständnis für den Protest zeigen, auch wenn die Apotheke einen Tag geschlossen bleibt. „Ein Tag Aktion oder in Zukunft dauerhaft geschlossen, das sind die Alternativen. Ich mache das für die Patienten und Mitarbeiter“, betont Matthias Schröder. Sein Mitstreiter aus der Apotheke macht noch einmal deutlich, dass sich in Berlin einiges ändern muss: „Im Moment sieht der Minister dabei zu, wie unser Gesundheitssystem demontiert wird.“
Der Notdienst der Apotheken ist am Mittwoch (15. November) gefragt. Die beiden nächsten verfügbaren Apotheken für alle Selmer sind die Bären Apotheke in Lüdinghausen (Neustraße 1a) oder die Delphin Apotheke in Lünen (Cappenberger Straße 86).
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