Keine Lust aufs Hobby? „Spiel schlecht, mein Kind – aber hab Spaß!“
Kinder-Psychotherapeut
Wenn die Tochter keine Lust aufs Sporttraining hat und der Sohn die Klarinette zum Üben partout nicht anrühren will – was macht man da? Dr. Christian Lüdke hat dazu eine klare Meinung.
Mit Jeki fängt es an: Schon in der Grundschule haben viele Kinder die Möglichkeit, ein Instrument zu erlernen. Jeden Tag sollte man da ein wenig üben, empfehlen der Klarinettenlehrer oder die Gitarrenlehrerin.
Selten klappt das ganz von allein. Viel öfter liegen Klarinette, Gitarre oder Geige in der Ecke und setzen Staub an. Und als Elternteil kann man schon verzweifeln, wenn der Spross nach einem halben Jahr immer noch nicht das Lied „Nachbar, bind‘ den Pudel an“ auf der Gitarre spielen kann. So wird das nichts mit der Bandkarriere.
Ähnlich verhält es sich beim Sport. Bis man das Kind in die Halle oder auf den Platz geschleift hat, hat man sich lautstarke Proteste oder genervt verdrehte Augen eingehandelt. Und das zwei- bis dreimal wöchentlich.
Wozu eigentlich?, fragt man sich da oft. Wenn der Nachwuchs keine Lust hat, sollte man es doch besser ganz bleiben lassen. Oder? Wir haben mit dem Kinder- und Jugendpsychotherapeuten Dr. Christian Lüdke (62) darüber gesprochen.
Wie wichtig ist es für Kinder, ein Instrument zu beherrschen oder sich in einer Sportart oder einem anderen Hobby auszuprobieren?
Die Schweden haben ein besonderes Wort für Eltern. Sie nennen sie ,Lebenslerngelegenheitenermöglicher‘. Dieses Wort gefällt mir. Wir sollten unseren Kindern ein Leben lang Gelegenheit zum Lernen geben, zum Ausprobieren. Das fängt schon ganz früh an. Zum Beispiel mit dem Babyschwimmen, oder mit Krabbelgruppen. Und auch im weiteren Verlauf von Kindheit und Jugend bieten sich immer wieder neue Möglichkeiten.
Und wie finde ich heraus, welche Hobbys meinem Kind wirklich liegen? Und wo seine Talente sind? Denn wenn man einen talentfreien Fußballer hat, der bei den Mini-Kickern ständig die Bank drücken muss, ist das doch oft mit Frust verbunden. Oder wenn das Kind der Verwandtschaft etwas auf der Geige vorkratzt. Der Klassiker, den ich selbst durchgemacht habe. Die schmerzverzerrten Gesichter vergisst man nicht so schnell...
Zunächst macht man seinen Kindern immer nur Angebote. Letztlich entscheiden die Kinder, was ihnen gefällt. Alles, was mit Druck verbunden ist, das funktioniert ohnehin nicht. Kinder sollten ihre Hobbys doch mit Begeisterung machen. Ich würde also insgeheim sagen: Spiel schlecht Geige, spiel schlecht Fußball, mal ein schlechtes Bild. Aber tu es mit Begeisterung!
Begeisterung ist also wichtiger als Können? Ich dachte, das gehört irgendwie zusammen.
Das tut es durchaus. An der Uni in Amsterdam gibt es ein sensationelles Projekt, das sich mit der Genieforschung beschäftigt. Da wurde untersucht, ob es Gemeinsamkeiten gibt zwischen Genies wie Beethoven, Mozart oder Einstein. Die Antwort ist JA.
Das klingt spannend. Welche Gemeinsamkeiten sind das?
Man hat festgestellt: All diese Genies hatten nacheinander zwei Lehrerinnen oder Lehrer, und die kamen immer in der gleichen Reihenfolge. Der oder die erste hat die Liebe zum Objekt oder zur Tätigkeit vermittelt. Die zweiten Lehrer, das waren absolute technische Perfektionisten. Und dann kommt es zu der Kombination, dass sich die Liebe zur Tätigkeit mit technischem Können und Perfektion verbindet. Dann werden geniale Fähigkeiten und Potentiale freigesetzt.
Also schlummert in jedem Kind ein kleiner Mozart oder Einstein – solange es begeistert bleibt?
Für mich ergibt sich daraus eine Botschaft an die Eltern, die ich gerne weitergeben möchte: Die Kinder sollten Spaß an der Tätigkeit haben. Egal ob es gut ist, es geht nur um Spaß und Freude. Und wenn ich merke, dass die Kinder Feuer und Flamme sind – dann kann ich später korrigieren und Hilfen geben.
Aber das sollte man nicht zu früh tun?
Nein, man sollte bloß nicht zu früh Druck aufbauen. Dann verliert das Kind die Leidenschaft und Faszination und möchte etwas anderes machen.
Und wenn das Kind trotz aller Geduld und Nachsicht am Ende trotzdem beschließt: Das Instrument oder die Sportart ist einfach nichts für mich? Das ist doch sehr schade.
Da sollten die Eltern die Zähne zusammenbeißen. Natürlich ist es schade, wenn ein Kind nicht mehr möchte. Aber Kinder haben heute auch einen vollen Terminkalender. Sie brauchen auch Freizeit – damit meine ich Zeit, in der sie einfach mal nichts machen.
Dr. Christian Lüdke (62) ist approbierter Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut und Klinischer Hypnotherapeut. Lüdke unterstützt Kinder, Jugendliche, Familien und Paare. TV-Zuschauerinnen und Zuschauer schätzen seit vielen Jahren seine kompetenten Tipps rund um das Thema Familie und Kinder.
Er ist selbst zweifacher Vater und gibt in unserer Kolumne Tipps zu vielen Fragen rund um Familie und Kinder.
Lüdke ist erfolgreicher Autor, unter anderem der Kinderbücher zu Stella & Tom.
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