Als „Schulten-Villa" ist das Haus mit dem Erker-Türmchen an der Langestraße 16 in Ergste bekannt.

Als „Schulten-Villa" ist das Haus mit dem Erker-Türmchen an der Langestraße 16 in Ergste bekannt. © Reinhard Schmitz

Geheimnisvolle Villa in Ergste ist im Dorf immer noch als „Schulten-Villa“ bekannt

rnVerlassenes Haus

Die verlassene Villa wuchert zu wie ein Spukschloss. Ältere Ergster wissen viele Geschichten über sie zu berichten. Bei der Stadt ist bekannt, dass es eine Absicht für Wohnbebauung gebe.

Ergste

, 09.07.2022, 19:56 Uhr / Lesedauer: 2 min

ABC und Einmaleins zu pauken, reichte alleine nicht immer. Wer gute Noten auf dem Zeugnis bekommen wollte, ging dem Herrn Lehrer auch schon mal nach Schulschluss zur Hand. Gern bei der Maloche im Garten an der Langestraße, der mittlerweile das Bild von verwunschenem Wildwuchs bietet.

Das Ergster Urgestein Friedrich-Wilhelm Vogt weiß noch gut, wie es auf dem Areal zuging, als hier noch der Lehrer Schulte wohnte. „Die Kinder mussten ihm Obst pflücken“, berichtet er. „Und dabei ständig pfeifen, damit sie bloß nichts naschten.“

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„Der Lehrer Schulte war ein Drache“

„Der Lehrer Schulte war ein Drache“, sagt auch die Vorsitzende des örtlichen Heimatvereins, Roswitha Bliese. Er lebte in dem Haus Langestraße 16, das im Dorf immer noch als „Schulten-Villa“ bekannt ist. Aber Schulten gab es etliche im Schuldienst.

Von 1910 bis 1935 habe der Hauptlehrer August Wilhelm Schulte an der Grundschule Ergste unterrichtet, entnimmt Roswitha Bliese ihren Archiven. Nach dem Weltkrieg habe er am 10. September 1945 – obwohl längst im Ruhestand – die Schule wiedereröffnet, die von 1949 bis 1963 dann noch mal von einem Rektor Wilhelm Schulte geleitet worden sei.

Die selbstgemalte Hausnummer „16" verschwindet bald hinter wild wuchernden Ranken am Backstein.

Die selbstgemalte Hausnummer „16" verschwindet bald hinter wild wuchernden Ranken am Backstein. © Reinhard Schmitz

Wenn Friedrich Wilhelm Vogt erzählt, dann meint er wohl den Älteren der beiden Lehrer, der „vor 1950 schon über 80 Jahre alt“ gewesen sei. Durch Einheirat in eine Familie Platgen sei er an die Villa gekommen, an die noch ein Fachwerkschuppen und ein Bienenhaus angebaut waren: „Er war Imker.“

Und noch eine Anekdote kann Vogt erzählen: Die Lehrersfrau habe immer samstags in der Bäckerei seiner Eltern „zehn Hefeteilchen für eine Mark“ bestellt – und weil sie so vergesslich war, mehrfach am Telefon an ihre Bestellung erinnert.

Der Dorf-Casanova ging später nach Bolivien

Der Lehrer habe auch noch einen Neffen aus Plettenberg geholt, der ebenfalls im Schuldienst stand. Im Gedächtnis geblieben ist der Friedrich-Wilhelm Vogt aber durch ganz andere Qualitäten: „Der machte die Weiber in Ergste verrückt.“ Lange hatten die aber nichts von ihrem Dorf-Casanova. Der Mann sei später nach Bolivien gegangen, um dort als Lehrer bei der Deutschen Botschaft zu unterrichten.

Ein Fenster zugemauert, ein anderes mit einer losgerissenen Plane verklebt: Nicht sehr einladend wirkt der rückseitige Anbau der Schulten-Villa.

Ein Fenster zugemauert, ein anderes mit einer losgerissenen Plane verklebt: Nicht sehr einladend wirkt der rückseitige Anbau der Schulten-Villa. © Reinhard Schmitz

An der Schulten-Villa sind diese schillernden Zeiten aber vorbei gegangen. Der Frauen-Liebling – so berichtet Friedrich-Wilhelm Vogt weiter – habe nicht in dem Haus mit dem Erkertürmchen gewohnt, das seine besten Zeit längst hinter sich hat.

Wie ein Dornröschen-Schloss verschwindet es immer mehr in einer Art Urwald von großen Büschen und Bäumen. Die Tafel mit der selbst gemalten Hausnummer, die irgendjemand an die Fassade geschraubt hat, haben Ranken schon fast überwuchert.

Für das Grundstück gibt es Wohnbebauungspläne

Eine modernere Haustür und ein paar offensichtlich ausgetauschte Fenster künden von Modernisierungs-Versuchen, die irgendwann steckengeblieben zu sein scheinen. In einer Fensteröffnung im hinteren Anbau flattert der Rest einer Plane, die der Wind längst losgerissen hat.

Ein Nachbar berichtet, dass die letzten Mieter – ein junges Paar – vor etwa zwei Jahren weggezogen seien. Er hat auch gehört, dass auf dem Areal vor 1900 eine Lohgerberei/Lederfabrik der Gebrüder Wilhelm und Heinrich Platgen betrieben worden sein solle.

Beinahe eingewachsen wie ein Dornröschen-Schloss wirkt die alte Schulten-Villa an der Langen Straße in Ergste.

Beinahe eingewachsen wie ein Dornröschen-Schloss wirkt die alte Schulten-Villa an der Langenstraße in Ergste. © Reinhard Schmitz

Das alles sind längst vergangene Kapitel aus Ergstes Dorfgeschichte, in die sich auch die Villa eines Tages einreihen könnte. Das Grundstück habe wohl ein Investor gekauft, berichtet Roswitha Bliese: „Das Hause steht in keiner Weise unter Schutz.“

Bei der Stadt ist bekannt, dass es eine Absicht für Wohnbebauung für die Langestraße 16 gebe, sagt Rathaus-Pressesprecher Ingo Rous auf Nachfrage. Derzeit liege aber weder eine Bauvoranfrage noch ein Antrag für einen Abriss vor. Ein Neubau müsse in die Umgebung passen. Einen Bebauungsplan gebe es für dieses Gebiet nicht.

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